Thinking of Teeny-Age
Thinking of Teeny-Age
von Katrin Arnast
Fuck. Da steh ich am Bahnhof und muss auch noch ihm begegnen. Gerade mit Moni über ihn gesprochen. Schwups kam ihr Zug, und wer steht vor mir: Er. Gerade heute, wo ich mich grottenhässlich fühle. Pickel über Pickel. Meine gesamte Pubertät sprießt aus mir heraus wie die freudig erwartete Krokussaat im Frühling.
„Hallo“ sagt er.
Wie es mir so geht. Und dass er mich lange nicht gesehen hat.
Habe mir diesen Moment so oft ausgemalt, aber bitte nicht heute.
So ein Tag hätte zum Beispiel so aussehen können: Ich drehe mir Papilotten ins Haar mit dem Ergebnis einer wunderschönen Lockenpracht. Meine Haut ist geschmeidig wie Samt und Seide und verleitet sofort zum Reinbeißen. Der neue Jeansoverall, auf den ich spare, schmeichelt meiner Figur wie eine Eins.
Fühle mich nicht in der Lage ihm zu antworten. Stammle ein paar wirre irrsinnige Sätze über das Wetter und dass ich heute noch auf die Matheschulaufgabe lernen muss. Und dass ich in Mathe eigentlich ganz gut bin. Menno. Er denkt bestimmt so eine Streberin! Was glotzt er mich jetzt so an?
„Uahh – hat die Pickel!“ werden seine Gedanken sein und dass ich auch schon mal schlanker war. Dabei habe ich doch heute nur ein Duplo gegessen. Ein Duplo entspricht 101 kcal. 6 g Fett. 1,60 m und 49,8 kg ist doch okay oder vielleicht doch etwas zuviel.
Jetzt ist er auf einmal kurz angebunden. Wirkt nervös. Verabschiedet sich mit: „Man sieht sich!“
Bin ihm bestimmt auf den Keks gegangen, und er findet mich so etwas von unattraktiv. Die Heidi-Klum-Mädels gefallen ihm bestimmt besser. Bin jetzt so durcheinander, dass ich mich später garantiert nicht aufs Lernen konzentrieren kann.
Aber wie sagt meine Mum immer: „Wenn du nicht lernst, wirst du wie die Reiser Mädels! Den ganzen Tag in einem Shopping-Center an der Kasse stehen. Möchtest du so enden? “
Woher will sie wissen, dass die so nicht glücklich sind? Aber bei uns in der Familie haben ja alle studiert bis auf Onkel Erich. Der hält sich sein Leben lang schon mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Meist handwerkliche Tätigkeiten. Lebt wie ein Eremit in einer kleinen Hütte. Ich mag ihn. Für die Anderen ist er der komische Kauz. Der Nichtstudierte.
Mum spricht immer für uns und ist eigentlich gar nicht an meinen Bedürfnissen interessiert. Sie kennt bestimmt meine derzeitige Lieblingspopgruppe nicht oder dass ich ihm den Spitznamen „den Weißen“ gegeben habe. Weil er im Freibad immer ganz in weiß aufkreuzt und so seine Bräune noch mehr zu Geltung kommt. Und vor allem, dass ich total in ihn verknallt bin. Dass ich abends im Bett oft weine, weil ich vor der Zukunft Angst habe, checkt sie auch nicht.
Oma ist da anders. Wenn ich bei ihr bin, soll ich erst einmal runterkommen vom stressigen Alltag.
„Nicht närrisch machen“ sagt sie immer!
Und dann erzählt sie mir von früher. Von den Bedürfnissen der jungen Lisbeth. Ihren Träumen und Sehnsüchten. Und fragt mich über mein Befinden. Und dann stehen wir einfach am Fenster und beobachten die Vögel im Garten, und sie erzählt mir was sie die nächsten Tage kochen möchte. Das bringt mich runter.
Ja, ja, ich soll nicht undankbar sein. Meint Mum immer, wenn ich aufmucke. Sie haben mir soviel ermöglicht. Den teuren Klavierunterricht gezahlt! Dabei weiß ich selbst nicht, ob ich noch in die Tasten hauen möchte. Mir ist das neben der Schule einfach zuviel!
Die Sätze im Konjunktiv: „An Deiner Stelle würde ich…“
„Glaubst Du nicht es wäre besser…“
„Hättest Du lieber…“
Hätte, hätte – Fahrradkette. Das geht mir so was von auf den Senkel…
Halb sechs ist es schon. Die ExtraVolumen Mascara, wie sie derzeit alle aus der Klasse haben, hole ich mir jetzt nicht mehr. Oder würde ich ihm so gefallen? Lisa hat mir erzählt, dass nach dem Knutschen die gesamte Mascara im Gesicht verschmiert ist. Haha….
Betrifft mich ja wohl nicht. Von einem Freund weit entfernt. Geküsst habe ich schon.
Ganz viele Mädels aus der Klasse haben schon mal. Ge-poppt. Ge-fickt. Ge-bumst.
Sagen sie.
Klingt nicht gerade romantisch. So mechanisch. Gesagt habe ich natürlich nicht, dass ich noch nie. Einer wollte mehr. Mir wurde richtig übel. Musste würgen. Mensch, dabei bin ich doch erst 15.
Darf ich nicht Kind sein, so lange ich möchte? Meinen Rhythmus leben? Nach meinem Tod heißt es doch nicht, was ich war, sondern wer ich war?! Formt die Gesellschaft nur so langweilige Robotermenschen? Mit den gleichen Fratzen? Die ihr Ich vergessen und die einzelnen Lebensstationen, wie sie gelebt werden müssen, abhaken wie die Einkaufsliste im Supermarkt?
Ich möchte nicht verwurstet werden! Coming of age heißt Selbstfindung. Seinen Weg bestreiten. Sein Kapitän sein.
Welcome Depression and Sadness, sag ich da nur.
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