Von der Kunst des Prosaschreibens – Dialoge – eine Kunst für sich
Kluge Hinweise von Mara Laue
4. Dialekte und Fremdsprachigkeit
Das Wichtigste vorweg: Wenn wir einen Dialekt benutzen, sollten wir sparsam mit ihm umgehen, sofern wir keine Mundartliteratur schreiben. Für viele Lesenden ist ein ihnen nicht geläufiger Dialekt unverständlich. Kommt er zu häufig vor oder ist eine Passage mit ihm zu lang, lesen sie ihn nicht, weil er ihnen schwer verständlich und entsprechend schwer zu lesen ist.
Beispiel:
„Det sin doch olle Kamell’n. Red’n wa ma lieba darüber, dat Ihre Nuschen von Bullen meene Maschine zaleecht hahm. Die hahm ma wejen nüscht un wieda nüscht fafolcht wie en Fabrecha.“
Nicht jeder versteht dieses beste Berlinerisch auf Anhieb. Manche Wörter müssen wir zweimal, alles aber in jedem Fall erheblich langsamer lesen als einen hochdeutschen Text. Obwohl diese Sprechweise der Herkunft und dem sozialen Milieu des Sprechers vollkommen entspricht, klingt diese Form besser:
„Det sind doch olle Kamellen. Reden wa mal lieber darüber, dat Ihre Idioten von Bullen meine Maschine zerlegt haben. Die haben mich wegen nix und wieder nix verfolgt wie ’n Verbrecher.“
Das ist zwar nicht mehr original Berlinerisch, da aber die Lesenden wissen, dass die Handlung in Berlin spielt, sind die paar Restbrocken Berlinerisch ausreichend, um das glaubhaft zu untermauern.
Ähnlich und doch anders ist es, wenn eine unsere Figuren einen Migrationshintergrund haben und Deutsch nicht ihre Muttersprache ist. Wer zweisprachig aufgewachsen ist, beherrscht in der Regel beide Sprachen akzentfrei und perfekt. Wer Deutsch als Fremdsprache erlernt hat, spricht, je nach Dauer des bisherigen Erlernens und der Übung, unter Umständen zwar sehr gut Deutsch, aber doch mit einem mehr oder weniger deutlichen Akzent. Der ist oft auch noch nach Jahren oder sogar Jahrzehnten in der Wahlheimat hörbar. Bei erst kürzlich erlernten Sprachkenntnissen ist oft auch noch die Syntax falsch, die Satzstellung, weil die Fremdsprachigen sich an der Satzstellung ihrer Muttersprache orientieren.
Wenn wir solch einen Hintergrund für unsere Figuren verwenden, sollten wir gründlich recherchieren, wie die Satzstellung in der Muttersprache der Figur ist und deren Deutsch dann entsprechend anpassen. Ein englischer Muttersprachler würde, wenn er noch nicht allzu lange oder allzu gut Deutsch spricht, den Satz „You haven’t thought of that, have you?“ wörtlich übersetzen als „Sie haben/du hast nicht gedacht an das, haben Sie/hast du?“, statt korrekt „Daran haben Sie nicht gedacht, oder/nicht wahr?“ Und dass nicht nur Englischsprechende, in deren Sprache es nur einen Artikel („the“) gibt, Schwierigkeiten haben, die drei deutschen Artikel korrekt anzuwenden, ergibt sich von selbst. Wir dürfen deshalb aus dem Ausland stammende Figuren also ruhig schon einmal „das Hund“, „die Bräutigam“, „der Auto“ sagen lassen. Doch auch solche Dinge sollten wir, wie alles, nicht übertreiben.
Wir dürfen auch den Akzent der Sprechenden kenntlich machen, indem wir im Dialog die Wörter so schreiben, wie die Fremdsprachigen sie aussprechen:
„Isch ’abe nischt gewusst, dass Madame ist ver’eiratet.“ (Franzose, der – noch – kein h und ch sprechen kann)
„Berrnd särr nätterr Mensch.“ (Russe; das gerollte R der slawischen Sprachen wird durch die doppelten R ausgedrückt, das Fehlen des Hilfsverbs „ist“ ist typisch fürs Russische.)
Wir können auch einige (wenige) fremdsprachige Sätze in unsere Dialoge einflechten, wenn Ausländische sprechen. Nicht nur Menschen, die eine fremde Sprache (hier Deutsch) noch nicht allzu gut beherrschen, sondern auch alle, die emotional angespannt sind, nehmen zu ihrer Muttersprache Zuflucht, weil ihnen wegen der Anspannung die Begriffe in dieser Sprache schneller einfallen als die deutschen.
Bei dieser Variante sind zwei Dinge wichtig:
- Die korrekte Übersetzung in die fremde Sprache. Dafür sollten wir aber bitte nicht den Google-Übersetzer benutzen. Die von dem gelieferten Übersetzungen sind so oft falsch, dass wir uns unter Umständen blamieren, wenn wir uns auf ihn verlassen. Besser wir fragen Muttersprachige oder Lehrkräfte, die die Sprache unterrichten, falls wir nicht selbst fit in der entsprechenden Sprache sind. Manchmal finden sich aber auch gängige Floskeln in herkömmlichen Wörterbüchern, die wir online oder in einer Bibliothek einsehen können.
- Wir müssen den Lesenden die fremden Ausdrücke zumindest sinngemäß übersetzen, wenn auch nur selten wörtlich.
„Filio di putana!“, giftete Scarlatti den Polizisten an.
„Was hat er gesagt?“, wollte Klaus wissen.
Bernd schüttelte den Kopf. „Wenn ich das richtig verstanden habe, hat er den Polizisten einen Hurensohn genannt.“
Die Frau stieß einen Schwall russischer Wörter aus, von denen Gereon kein einziges verstand. Er blickte seinen Kollegen fragend an.
„Sie sagt, ihr Nachbar hat ihren Hund vergiftet, weil der letzte Woche seine Katze gebissen hat“, übersetze Kaminski.
„Vete al diablo, cabrón!“
Juan schien wohl daran gewöhnt zu sein, von einer wütenden Frau zum Teufel gewünscht und ein Arschloch genannt zu werden, denn er zuckte mit keiner Wimper.
„I haven’t the slightest idea“, murmelte John. Auf Monas verständnislosen Blick wiederholte er auf Deutsch: „Ich habe nicht die leiseste Ahnung.“
Auf diese Arten geben wir unseren ausländischen Figuren authentische Stimmen und lassen die Lesenden trotzdem nicht ohne Übersetzung im Regen stehen. Was wir aber niemals tun sollten (außer in Sachtexten) ist, Übersetzungen als Fußnote einzufügen. Fußnoten reißen die Lesenden aus der Geschichte heraus und werden als störend empfunden. Denn wie an den obigen Beispielen ersichtlich ist, geht es auf mehr als eine Weise auch anders.
Haben wir relativ viele fremdsprachliche Dialogteile, können wir als Vorbemerkung vor den gesamten Roman den Hinweis setzen, dass ein Glossar der ausländischen Begriffe mit den Übersetzungen sich am Ende des Buches befindet. Dort erstellen wir dann ein „Wörterbuch“. Dafür sind die Lesenden immer sehr dankbar, besonders wenn wir uns zusätzlich die Mühe machen, auch die korrekte Aussprache anzugeben:
Tha mi neo-chiontach (sprich: ha mi no chiuntach) – Gälisch: Ich bin unschuldig
Außerdem bleibt es dadurch den Lesenden überlassen, ob sie von dem Wörterbuch Gebrauch machen wollen oder nicht.
Wenn im Text zwei Ausländische/Fremdsprachige miteinander reden, die dieselbe Muttersprache haben, wäre es unrealistisch oder es müsste sehr gut begründet werden, wenn sie trotzdem Deutsch miteinander sprechen. Denn in der Regel nutzen Menschen, die im Ausland leben, jede sich bietende Gelegenheit, einmal wieder ihre Muttersprache zu benutzen. Wenn wir ein solches Paar oder eine Gruppe eine Unterhaltung führen lassen, sollten wir ein Szenario konstruieren, in dem wir das Gespräch aus der Perspektive einer der beteiligten Personen schildern. In dem Fall spricht diese mit der anderen Person zwar kein Deutsch, aber ihre Perspektive, ihre Gedanken und Empfindungen, werden den Lesenden auf Deutsch geschildert, weil das die Erzählsprache des Romans, der Geschichte ist. Hierbei muss man den Lesenden nur vorher mitteilen, dass die Personen z. B. Tschechisch miteinander sprechen:
Václav war unendlich froh, mal wieder mit jemandem Tschechisch sprechen zu können. „Dobrý den“, begrüßte er seinen Landsmann. „Jak se máte? – Wie geht’s?“
Den gesamten darauf folgenden Dialog schreiben wir in Deutsch. Um die Lesenden am Schluss des Gespräches daran zu erinnern, dass die beiden Tschechisch gesprochen haben, können wir den Abschiedsgruß wieder auf Tschechisch schreiben („Ahoj!“ – „Tschüss!“; „Na shledanou!“ – „Auf Wiedersehen!“). Alternativ können wir Václav reflektieren lassen, dass ihm die Unterhaltung auf Tschechisch einen heftigen Anfall von Heimweh verursacht hat. Oder wir lassen ihn etwas anderes denken/empfinden, das den Lesenden die fremde Sprache der Unterhaltung ins Gedächtnis ruft. Dies ist aber nur erforderlich, wenn das Gespräch länger gedauert hat, wir seinen Inhalt also über mindestens eine Seite oder mehr geführt haben.
Wir können auch (eine) weitere (unbeteiligte) Person(en), die die fremde Sprache kennt (kennen), das Gespräch belauschen und für die Lesenden übersetzen lassen. Hierbei ist wichtig, dass wir nicht den (gesamten) fremdsprachigen Dialog in der Originalsprache wiedergeben und wörtlich übersetzen, sondern den/die Lauschende den sinngemäßen Inhalt reflektieren lassen:
Boris hörte dem Gespräch seiner Landsleute zu, während er rauchte und den Flug der Vögel am Himmel betrachtete, als interessiere ihn das Ganze nicht. Dabei hatte er seine Ohren so weit wie möglich gespitzt, damit ihm kein Detail entging. Es war schon interessant zu erfahren, dass Igor an dem fraglichen Abend gar nicht bei Katja gewesen war und dass Sergej um halb acht mit dem Wagen weggefahren war, ohne dass jemand wusste, wohin. Somit hatten beide kein Alibi.
Wir sollten, wenn unsere fremdsprachige Person eine Haupt- oder wichtige Nebenfigur ist, die häufig Dialoge hat, die oben genannten Methoden miteinander kombinieren, um die Dialoge abwechslungsreich zu gestalten.
In der nächsten Folge:
- Nonverbale Dialoge
- Innerer Monolog, erlebte und indirekte Rede
In weiteren Folgen:
- Rückblende
- Setting
- Titelfindung