Cover Safyie Can Rose und Nachtigall

Das Verliebtsein ist keine Entscheidungsfrage

Rezension von Maja Seiffermann

Safyie Can, Rose und Nachtigall, Liebesgedichte, Göttingen 2020, Wallstein-Verlag, 108 Seiten, ISBN 978-3-8353-3609-4, 7 Abb., geb., Schutzumschlag, 12 x 20 cm, € 18,00 (D) / € 18,50 (A)

Ich lese keine Gedichte. Das letzte Gedicht habe ich wahrscheinlich gezwungenermaßen im Unterricht gelesen. Und am schlimmsten? Am schlimmsten waren die Liebesgedichte. Dann habe ich Safiye Cans „Rose und Nachtigall“ gelesen und fand ihre Gedichte erstaunlicherweise mehr als in Ordnung.

Denn ob man zu einer anderen Person Liebe empfindet, zum Leben, zur Suche nach Liebe oder zu einer Leidenschaft, ist im Gedichtband „Rose und Nachtigall. Liebesgedichte“ vollkommen egal. Die Autorin, Safiye Can, beweist, dass das Verliebtsein eben keine Entscheidung ist und stets mehr Konsequenzen mit sich bringt als bloß Schmetterlinge im Bauch und das eventuelle Ankommen in einem Zuhause.
„Rose und Nachtigall“ ist nicht Cans erstes Buch, auch nicht im Wallsteinverlag, aber definitiv ein besonderes. Der Titel ist nämlich mit dem Gedanken an ihre Wurzeln gewählt. Vor allem in der türkischen, arabischen und persischen Dichtung stehen Rose und Nachtigall für die Geliebte und das Begehren dieser.
Das Buch selbst ist in fünf Kapitel unterteilt. Manche Kapitel sind ein ganzes Gedicht und andere bestehen aus vielen kurzen, nicht immer zusammenhängenden, Gedichten.

Beim Aufschlagen des Buches wird man überflutet von der Einfachheit, mit der das erste Gedicht vom eigenen Kopf visualisiert wird. Ich finde die Metapher zweier Menschen, die momentan nicht beieinander sein können, aber in denselben Himmel schauen, immer beruhigend und schön. Can wählt diese Metapher ebenfalls, entschließt sich aber dazu, das Wort „Firmament“ anstatt einfach „Himmel“ zu benutzen, was ich sehr originell finde. Diese simple Entscheidung hat mir direkt zu Beginn gezeigt, in welche Richtung Cans Stil geht und worauf ich mich gefasst machen muss.
Blättert man nur wenige Seiten weiter, wird man dazu eingeladen, sich eher deprimierende Verse zu Gemüte zu führen. Die Worte, die man liest, liegen schwer, dennoch agil, auf dem Papier, sie schweben zu uns, wenn wir sie lesen und lagern sich schwer ab auf dem Herzen. Man sagt nicht umsonst, die Wahrheit tue weh und genauso ist es auch mit Cans Gedichten. Sie sprechen viele Wahrheiten und liegen schwer auf der Seele. Was man mit der Schwere macht, ist jedem selbst überlassen und das finde ich so schön.

Eine dieser Wahrheiten ist beispielsweise, dass wenn wir eine missglückte Liebe beweinen, oft die Schuld bei unbeeinflussbaren Dingen wie Sternbildern suchen – irrational, nüchtern betrachtet eher kindisch – zu dieser Realisierung kommt man jedoch erst durch Distanz oder wenn uns – so wie in diesem Falle – Cans Gedicht unser Verhalten spiegelt.
Ein zentrales Motiv ist zudem der Schmerz. Und obwohl es kein angenehmer Schluss ist, beweist Can, dass Liebe und Schmerz eben Hand in Hand gehen. Den Schmerz, den sie beschreibt, ist überhaupt nicht auslöschbar, man spürt ihn nur weniger aktiv, weil er irgendwann zur Normalität wird, indem er von anderen Emotionen überschattet wird.
Durch „Rose und Nachtigall“ wird einem so richtig klar, wie unaufhaltsam Liebe ist und dass Liebe nichts mit Entscheidungsfreiheit zu tun hat. Can macht einem bewusst, dass Liebe wie eine Droge ist; sie wirkt bei jedem anders und man weiß nie, was man bekommt. So kann Liebe, wie in manchen Gedichten eben, dreckig sein und reicht manchmal nicht allein für eine stabile Beziehung.

„Rose und Nachtigall“ führt uns jedoch auch die zarten Seiten der Liebe vor Augen. So zum Beispiel ein Gedicht, in dem Can uns zeigt, wie die Begegnung mit der richtigen Person sich anfühlen kann.

Zusammentreffen 

Als hätte ein Käfer
zu seinem Fühler gefunden
so war es
dir zu begegnen.

Was mir an „Rose und Nachtigall“ generell, aber auch an diesem Gedicht auf S. 26  gefällt, ist, dass es auch um die Liebe zu uns selbst gehen kann. Denn oft entfalten wir unser ganzes Potenzial erst, wenn wir uns selbst lieben, erst dann finden wir zu unserem Fühler.

Bewundernswert ist darüber hinaus, wie Safiye Can es schafft, so viel scheinbare Anonymität und Universalität mit dem Fakt zu vereinen, dass man sich trotzdem mit den Gedichten identifizieren kann. Die zwei Komponenten, Universalität und Anonymität, wirken zusammen nämlich um ein ganzes Stück tiefgründiger und intimer, als wenn Can sich dazu entschlossen hätte, den Personen in den Gedichten Namen zu geben, immer aus der Sicht eines lyrischen Ichs zu schreiben oder die vorkommenden Personen näher zu beschreiben.
Can bekommt es auch auf ihre eigene Art hin, mit keinem Wort dem Drang zu verfallen, alles kitschig wirken zu lassen, obwohl es um das wohl kitschigste Thema der Welt geht, die Liebe.
Der einzige Kritikpunkt, den ich gerne nennen würde, ist das eine lange Gedicht mit dem Titel „Zu Menschen anderer Sprache“. Die Autorin beschreibt die Stadt Frankfurt am Main, in der ich selbst seit meiner Geburt lebe, als rege, lebendig und authentisch. Sogar die Mäuse an den Haltestellen und die Zigarettenstummel am Boden erzählen eine Geschichte. Sie versucht die Vielfalt der Stadt in den Verszeilen einzufangen und so musikalisch und dynamisch das Gedicht auch wirkt, niemals würden 100 Strophen reichen, um Frankfurt in seinem Wahren einzufangen. Es ist ein nettes Gedicht, für mich aber auch nicht mehr. Es hat sich eher so angefühlt, als würde ich in meinem eigenen Kopf, in meiner Vorstellung herumirren, denn all das, was sie schreibt, habe ich mir mit Sicherheit nicht nur über Frankfurt schon einmal gedacht. Das Gedicht hat weder einen positiven noch einen negativen Beitrag zum Band geleistet, es war einfach existent.

„Rose und Nachtigall“ ist daher nicht zwingend ein Buch für alle Lebenslagen und auch definitiv nicht für jeden. Aber wenn man selbst nicht oft Gedichte liest und bereit dazu ist, die eigene Meinung zu ändern oder das Bedürfnis hat, etwas zu fühlen, dann kann man eine beliebige Seite aufschlagen und wird sicher nicht enttäuscht.
Man muss auch nicht (um es in Cans Worten zu sagen) die „Katze streicheln, kapitulieren“ oder die „Pflanzen gießen, die Bettdecke über den Kopf zieh´n“ (beides aus dem Gedicht Ich geh dann mal auf S. 44), um nicht an diese eine Person zu denken. Man kann einfach ihre Gedichte lesen.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert