Aus den Memoiren eines Zeittotschlägers
Aus den Memoiren eines Zeittotschlägers
Ich konnte mich noch nie damit abfinden, dass Lyrik brotlose Kunst sein soll. Also habe ich mir Beispiele aus den Bereichen des kunstlosen Brotes herangezogen und habe versucht, Lyrik für die reale Arbeitswelt zu adaptieren.
Ich denke, man muss Literatur direkt an den Mann und an die Frau bringen. Man muss die Verlage und Agenten einfach umgehen. Ich rede hier nicht von Self-Publishing. Ich rede davon, von Tür zu Tür zu gehen und meine Werke direkt an der Wohnungstür zu verkaufen – wie ein Staubsaugervertreter. Wenn man auf diese Art Haushaltsgeräte verkaufen kann, dann…
Konsequent bin ich von Haustüre zu Haustüre gepilgert und habe versucht, den einsamen Hausfrauen meine Werke anzupreisen. Im Direktvertrieb sozusagen. Die Damen wollten meine Gedichte nicht kaufen und haben stattdessen nach Staubsaugern und Tupperware verlangt. Hätte ich damit dienen können, wäre ich in dieser Phase vermutlich stinkreich geworden. Aber meine Werke hatten leider keinen Nutzwert.
Ich habe mir überlegt, wie man Lyrik einen Nutzwert abtrotzen kann, und bot meine Dienste mehreren Geheimdiensten an. Schnell hatte ich meine schwierigsten Werke sortiert und bot mich für Lesungen in diversen Folterkellern an. Freundlich lächelnd hat mich ein Geheimagent darauf aufmerksam gemacht, dass heutzutage nicht mehr in Kellern gefoltert würde sondern in Flugzeugen, die in rechtsfreien Zonen herumflögen. Zudem gäbe es Folter gar nicht mehr, sondern nur erweiterte Verhörtechniken. Man bot mir an, zwischen zwei Fragen an einen Terroristen oder feindlichen Agenten ein wenig meiner Lyrik vorzutragen. Aufgrund meiner Flugangst musste ich das Angebot leider ablehnen.
Demütig auf dem Boden der Realität zurück, versuchte ich Literatur für jedermann individuell zurecht zu schneidern, auf die individuellen Wünsche potentieller Leser einzugehen. Ich montierte eine alte mechanische Schreibmaschine auf einen Bauchladen, lief in der Stadt herum und bot arglosen Passanten meine Dienste an. Wie ich feststellen durfte, gehen Leser bei der Wahl der Lektüre ziemlich willkürlich vor und haben keine wirklich greifbaren, nachvollziehbaren Präferenzen. Oder man orientiert sich am Massengeschmack und kauft Werke so genannter Bestsellerautoren.
Heutzutage ist ja jeder Autor ein Bestsellerautor. Das behaupten clevere Marketingmenschen. Wer würde einem Autor auch gerne das Etikett „armer Poet“ ankleben wollen?
Wenn sich etwas verkauft wie geschnitten Brot, dann muss es wohl taugen. Kein Problem, dachte ich. Dann werde ich halt Bestsellerautor. Alles nur eine Frage der Verpackung. Bald war eine Marketingfirma engagiert, die ein dementsprechendes Profil gefälscht und eine gigantische Marketingkampagne in Gang gesetzt hat. Schnell war ich in den Medien als Bestsellerautor bekannt.
Problematisch war nur, dass meine Werke nicht meinem Image entsprachen. Erst recht fühlten sich diverse Literaturkritiker dazu genötigt, den berühmten Bestsellerautoren (mich) in aller Öffentlichkeit zu demütigen und meine Kunst zu diskreditieren. Das Fazit lautete: Nicht alles, was sich verkauft wie geschnitten Brot, schmeckt auch so. Außer Spesen nix gewesen. Die Rechnung der Marketingagentur liegt noch immer neben meinen selbstverlegten Lyrikbändchen im Papierkorb.
In der Gosse liegend kam ich nicht umhin, mich für meine Kunst zu prostituieren und meine Werke dem Kommerz zu opfern. Ich fand mich in einem Bordell wieder, ließ sexuelle Handlungen an mir durchführen, während ich schlüpfrige, erotische Literatur verfasste. Ich ging auch dabei leider leer aus. Der Zuhälter kündigte mich fristlos und hat mich auf Schadensersatz verklagt, mit der Begründung, ich habe meine Arbeitskraft gefälligst meiner primären Tätigkeit zu widmen. Die Schriftstellerei sei ein nicht genehmigter Nebenerwerb während der regulären Arbeitszeit.
Ein Verlag wies mich freundlich darauf hin, dass sich erotische Literatur nur dann gut verkauft, wenn sie von ehemaligen Porno-Darstellern verfasst und medienwirksam beworben wird. Eine Karriere als Porno-Darsteller nachzuholen, in meinem fortgeschrittenen Alter, hielt ich dann doch für unverhältnismäßig und unwürdig für einen achtzigjährigen Intellektuellen.
Also habe ich mich auf traditionelle Werte zurückbesonnen und Werke geschrieben, die ich alten Meistern unterschieben wollte. Tatsächlich war es mir möglich, die Machart eines Charles Bukowski zu kopieren oder den Stil eines Thomas Mann nachzuahmen.
Über einen zwielichtigen Buchhändler habe ich versucht, die gefälschten Werke als unentdeckte Manuskripte großer Meister zu verkaufen. Das hätte beinahe funktioniert. Aufgrund meiner Egozentrik habe ich leider, etwas kopflos, die Werke auf einem handelsüblichen Tintenstrahldrucker das Licht der Welt erblicken lassen. Wichtige Literaturkenner erkannten schnell, dass damals weder Charles Bukowski noch Thomas Mann einen PC ihr Eigen nannten.
Die Spur des medienwirksamen Betrugsversuchs führte über den zwielichtigen Buchhändler direkt zu mir und in meine Schreibstube, die von einer GSG 9 Spezialeinheit ordentlich auf den Kopf gestellt wurde.
Man könnte meinen, dieser Aufwand sei etwas unangemessen und mein Vergehen unerheblich. Aber der zuständige Richter, ein Literaturliebhaber, wollte in seinem persönlichen Interesse ein Exempel an mir statuieren. Im Knast musste ich mir gezwungenermaßen das Rauchen abgewöhnen, da keiner meiner Mithäftlinge seine wertvollen Zigaretten gegen meine Lyrikbändchen tauschen wollte. Nach der Zivilklage einiger Erben der Autoren, die ich kopiert hatte, blieb mir nicht mehr als meine siebenundvierzig Kartons unverkaufter Lyrikbände, die ich auf eigene Kosten hatte drucken lassen. Nicht mal der Gerichtsvollzieher konnte meinen lyrischen Werken einen Wert beimessen. Stattdessen wurden von dem tapferen Beamten die Bäume betrauert, die für meine gedruckten Worte sterben mussten.
Auch der von mir herbeigesehnte zweifelhafte Ruhm nach dem medienwirksamen Schauprozess blieb leider aus, weil der einzige interessierte Redakteur einer Literaturzeitschrift meinen Namen falsch notierte und seine Anfrage nach einem Exklusiv-Interview mich leider nie erreicht hat.
Woher ich das weiß?
Nun, der Redakteur bekam die Zelle neben mir, weil man ihm vorwarf, Interviews berühmter Autoren zu fälschen. Ich habe ihn nie nach dem Namen des zuständigen Richters gefragt. Aber ich kann mir denken, wer diese Lappalie zu seiner privaten Fehde machen musste. Ich habe dem Richter dennoch einen Dankesbrief zukommen lassen. Denn wenigstens hatte ich jetzt jemanden, mit dem ich fachsimpeln konnte.
Nachdem ich, wegen guter Führung, vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wurde, habe ich erstmals mit harter Arbeit mein Brot verdienen müssen. Dies gehörte zu meinen Bewährungsauflagen. Etwas weltfremd in Bezug auf den Bedarf an Dienstleistungen in der realen Welt dachte ich daran, als Geschäftsmann meine eigene Nische zu finden. Ich wollte nicht einfach nur ein Transportunternehmen gründen. Nein. Es mussten Spezialtransporte sein!
Und so heuerte ich ein paar starke Kerls an, die ich im Knast kennen und schätzen lernte und ließ die schweren Jungs Eulen nach Athen tragen und den Käse zum Bahnhof rollen. Die Geschäfte liefen bemerkenswert gut, bis ich feststellen musste, dass meine Geschäftspartner in den Eulen und im Käse größere Mengen Rauschgift schmuggelten, die leider nicht mehr als Eigenbedarf klassifiziert werden konnten. Meine Geschäftspartner konnten den Drogenschmuggel mir in die ausgelatschten Schuhe schieben, und so war ich nicht undankbar dafür, im Gefängnis erneut kostenlose Kost und Logis zu bekommen. Zudem hatte ich, frei von wirtschaftlichen Zwängen, wieder mehr Zeit zum Schreiben. Dachte ich.
Mein Beschützer, der mich während meines ersten Gefängnisaufenthaltes vor Prügel und Vergewaltigung bewahrte, wurde inzwischen aus dem Knast entlassen. Aber wer verprügelt und vergewaltigt schon einen achtzigjährigen mittellosen Schriftsteller? Ich nahm an, mein Beschützer hat nur unter fadenscheinigen Vorwänden Schutzgeld von mir erpresst.
Aber tatsächlich finden sich im Knast immer irgendwelche Perverse, die nicht davor zurückschrecken sich auch an alten Tatterärschen wie mir zu vergreifen. Während ich also im Gefängnis als eine Art Wanderpokal die Runde machte, musste ich zu meinem Entsetzen mit anhören, wie mich jemand einen nichtsnutzigen Zeittotschläger nannte, der arbeitsfaul und unter dem Vorwand, schlechte Lyrik schreiben zu müssen, der Welt die Zeit stiehlt und totschlägt, anstatt ehrlicher oder unehrlicher Arbeit nachzugehen. Es gibt so etwas wie eine Gauner-Ehre. Leider habe ich noch nie von einer Dichter-Ehre gehört. Meine Zellengenossen offensichtlich auch nicht.
Ich starb im Gefängnis an gebrochenem Herzen. Böse Zungen behaupten, schlechter Sex im Knast hätte meiner geschundenen Pumpe den Rest gegeben. Wie dem auch sei. Mein letztes Werk, die „Memoiren eines Zeittotschlägers“ sollten als Grabbeilage dienen. Insgeheim hoffte ich auf posthumen Ruhm und darauf, dass jemand dieses Werk einmal ausgräbt, wenn später, viel später, mal jemand den Wert meines Werkes zu würdigen wüsste. Aufgrund eines Formfehlers fiel mein letztes Werk einer Feuerbestattung zum Opfer.
Meine siebenundvierzig Kartons unverkaufter Lyrikbände wurden dem Papierrecycling zugeführt. Wenn ich daran denke, wie viele Menschen sich jetzt mit dem Recycling-Klopapier den Hintern wischen, überkommt mich im Jenseits das warme Gefühl, doch noch der Nachwelt etwas von Nutzen hinterlassen zu haben.
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