Mara Laue: Von der Idee zum fertigen Text VSS Verlag

Von der Kunst des Prosaschreibens – Die Kunst der Perspektive

1. Die auktoriale Perspektive

Kluge Hinweise von Mara Laue

Perspektive ist die Sichtweise, aus der eine Szene, eine Geschichte oder ein ganzer Roman geschrieben ist. Anders ausgedrückt, durch wessen Augen wir das Geschehen betrachten. Wir unterscheiden:

  1. auktoriale Perspektive
  2. personale, wechselnde personale/schwebende Perspektive
  3. eingeschränkt auktoriale/semi-auktoriale Perspektive
  4. Ich-Perspektive
  5. Du-Perspektive
  6. „Mauerschau“ und „Botenbericht“

Auktoriale Perspektive

Diese Perspektive beschreibt ein Geschehen aus der Sicht der „allwissenden Erzählenden“ (der Autorin/des Autors = „auktorial“), die über den Dingen stehen und entsprechend alles wissen. Die auktoriale Perspektive betrachtet alles von außen, erzählt den Lesenden das Geschehen, aber sie lässt sie die Situation nicht durch die Augen einer Figur erleben. Dadurch wirkt sie distanziert, manchmal gefühlsarm und kann schnell langweilen. Die auktoriale Perspektive ist der typische „Aufsatzstil“ und für belletristische Werke deshalb „out“. Für Kurzgeschichten eignet sie sich manchmal gut, abhängig vom Inhalt der Geschichte, erfordert aber eine gute Beherrschung des Handwerks, um nicht ins Langweilen abzudriften.

Hinweise, dass die Allwissenden am Werk sind, finden wir in Sätzen wie: „Sie ahnte nicht, dass dies erst der Beginn ihrer Schwierigkeiten war.“ Die Person, durch deren Augen wir die Situation erleben, kann nicht in die Zukunft sehen und nicht wissen, was dort noch auf sie wartet, die allwissend Erzählenden schon. Wir begegnen ihnen auch in anderen, subtileren Fällen.

„Er folgte der Frau und stellte fest, dass sie scheinbar zum Bahnhof ging.“

Hier verrät sich das Allwissen durch das Wort „scheinbar“. Nur die Autorin/der Autor weiß, dass das Ziel der Frau nicht der Bahnhof ist und es deshalb nur so scheint, als ginge sie dorthin. Der Mann, der ihr folgt und aus dessen Perspektive wir die Szene bis dahin sehen, kann das nicht wissen, es sei denn, er könnte Gedanken lesen. Diese Form der auktoriale Perspektive ist bei einer ansonsten personalen Perspektive tabu, weil sie einen Perspektivbruch darstellt.

Aber die auktoriale Perspektive ist nicht grundsätzlich „falsch“, sondern nur an einigen Stellen unangebracht. Tatsächlich gibt es keine Roman, in dem nicht mindestens eine auktoriale Passage beziehungsweise ein auktorialer Satz oder sogar mehrere vorkommen. Auktorial erzählen wir, wenn wir z. B. eine Umgebung beschreiben (sofern wir die nicht mit den Augen einer Figur betrachten):

Eine Eule schrie. Die Nacht war kalt und der vom Mondlicht erhellte Weg nahm kein Ende. Die Silhouetten der Bäume, die sich gegen den Mond abhoben, wirkten bedrohlich.

Eine Szene, die so beginnt, ist auktorial erzählt, weil ihr eine handelnde Person fehlt: Wenn weder die Hauptfigur noch eine andere Person den Schauplatz „betreten“ hat, dann erzählen Autorin/Autor mit so einem Einstieg den Lesenden, was dort los ist, wie es da aussieht. Analysieren wir die drei Sätze, dann wird das deutlich.

  1. Eine Eule schrie. Wer hört das, wenn noch niemand die Szene betreten hat?
  2. Die Nacht war kalt und der vom Mondlicht erhellte Weg nahm kein Ende. Wer fühlt die Kälte? Wer sieht das Mondlicht und den Weg, den es erhellt? Und wer glaubt, dass der Weg kein Ende nimmt? – Zu diesem Zeitpunkt nur Sie als Autorin/Autor, da außer Ihnen noch niemand „da“ ist, der das fühlen, sehen, glauben könnte.
  3. Die Silhouetten der Bäume, die sich gegen den Mond abhoben, wirkten bedrohlich. Für wen ist dieses gespenstische Bild bedrohlich?

Ganz anders wirkt dieselbe Szene, wenn Sie schon im ersten Satz jemanden die „Bühne“ betreten lassen:

Boris setzte missmutig einen Schritt vor den anderen. Eine Eule schrie. Die Nacht war kalt und der vom Mondlicht erhellte Weg nahm kein Ende. Die Silhouetten der Bäume, die sich gegen den Mond abhoben, wirkten bedrohlich.

Hier wird durch den vorangestellten ersten Satz sofort klar, dass die folgenden Dinge das beschreiben, was Boris wahrnimmt, fühlt und glaubt. Doch kann man solche auktorialen Einleitungen durchaus als Stilmittel benutzen, um eine Atmosphäre zu erzeugen, bevor man eine Figur in sie „hineinstößt“.

Anders verhält es sich mit Einleitungen, die Erklärungen abgeben („aufzählen“), statt etwas zu beschreiben.

Schwarzlinden lag mitten im Wald. Nur ein einziger Weg führte in das Dorf. Zwar gab es noch einen zweiten Weg, aber der endete in der Schlucht von Alomar, umgeben von hohen Felswänden, die nicht einmal Bergziegen erklimmen konnten. Die Gründer des Dorfes hatten die abgeschiedene Lage bewusst gewählt, denn der Ruf des finsteren Waldes und der Schlucht als ein Hort böser Geister und Hexen garantierte ihre Sicherheit. Die wurde zusätzlich durch die Anordnung der Häuser gewährleistet, die so dicht beieinander standen, dass zwischen ihnen keine zwei Mann nebeneinander Platz fanden. Erst recht boten sie keinen Raum für Kampfhandlungen, weshalb das Dorf im Fall eines Angriffs leicht zu verteidigen war.

Hierbei handelt es sich eindeutig um eine auktoriale Schilderung, die eben deshalb = weil sie „bezugslos“ in den Raum (der Story) gestellt wird, langweilig wirkt; zumindest aber „schwerfällig“, weshalb man auf solche Einleitungen verzichten sollte. Entweder man macht darauf die Reflexion einer Figur, die einen logisch nachvollziehbaren (!) Grund hat, sich „jetzt“ über diese Dinge „im Block“ Gedanken zu machen, oder man verteilt sie häppchenweise über den Text und setzt sie als einzelne Hinweise an Stellen, wo die jeweilige Information durch die Handlung bedingt wird.

Im Gegensatz zur durchgängig auktorialen Perspektive, die sich über den gesamten Text erstreckt, werden kurze auktorialen Passagen als Einleitungen von Kapiteln oder Szenen wie die obige, in der die Eule schreit, von Verlagen und Lesenden akzeptiert, weil sie, wie gesagt, eine Atmosphäre erzeugen. Man kann das mit einer einleitenden Filmsequenz vergleichen, in der die Kamera als Erstes über einer Landschaft oder ein Stadtpanorama „fährt“, ehe eine Zoom-Einstellung oder ein Schwenk eine darin befindliche Figur zeigt. Oder mit einer Filmtonspur für Sehbehinderte, in der jemand aus dem Off den Leuten, die die Bilder nicht oder nur eingeschränkt sehen können, erzählt, was in der Szene passiert und wie es dort aussieht.

Allerdings nimmt diese Perspektive, wenn wir sie verwenden, ohne sie wirklich meisterhaft zu beherrschen, einem Text nur allzu leicht einen Teil seiner Spannung. Deshalb gilt die durchgehende auktoriale Perspektive für moderne Texte, besonders Romane, als „out“. In Kurzgeschichten kann man sie verwenden, ebenso teilweise in der Jugendliteratur („Harry Potter“ ist zum Teil auktorial geschrieben). Eine Ausnahme – und gleichzeitig das Paradebeispiel für ihre Verwendung – ist das Märchen. Schreiben wir ein Märchen im klassischen Stil (auch wenn wir es nicht mit „Es war einmal …“ beginnen), ist die Verwendung der auktorialen Perspektive angebracht.

Ein beliebter Fehler von Neulingen ist, auktorial zu erzählen, was demnächst kommen wird:

Er ahnte nicht, dass dies erst der Beginn seiner Schwierigkeiten war.

Sie wusste nicht, dass sie mit diesem Date den Tod zu sich eingeladen hatte.

Hätte ihm jemand gesagt, dass er Liz zum letzten Mal sah, hätte er sich nicht nur mit einem lässigen Winken von ihr verabschiedet.

Neulinge argumentieren gern, dass sie mit solchen Vorankündigungen die Spannung erhöhen wollen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Solche unnötigen Vorankündigungen töten die Spannung, weil sie den Lesenden verraten, was kommen wird und teilweise sogar, wie der Roman, die Geschichte endet: „Er“ wird noch einen Haufen Schwierigkeiten bekommen, „Sie“ wird bei ihrem Date ermordet werden und „Er“ sieht seine große Liebe Liz niemals wieder. Ohne diese Ankündigungen hoffen und bangen die Lesenden zusammen mit den Figuren, dass das erste Problem des Helden das Letzte war und es nicht noch schlimmer für ihn kommen wird, dass die Heldin ein tolles Date hat und sich dabei vielleicht sogar verliebt und dass der Held mit seiner Liz glücklich wird. Alles, was entgegen dieser Erwartung/Hoffnung geschieht, erhöht die Spannung, weil es unvorhersehbar war. Denn Unvorhersehbarkeit ist ein Element zur Spannungserzeugung.

Jedoch ist nicht alles auktorial, was danach aussieht. Es gibt – wie nahezu überall – Ausnahmen. Zweideutig wird es immer dann, wenn eine Person reflektiert und ihre Gedanken nicht ausspricht:

Mina überkam beim Anblick des Ortsschildes ein mulmiges Gefühl, denn sie hatte keine Ahnung, was sie in der alten Heimat erwartete.

Dies könnte tatsächlich eine auktoriale Schilderung sein, in der Autorin/Autor den Lesenden sagen, dass etwas Mina erwartet, von dem sie (noch) keine Ahnung hat. Doch wenn man den Text in wörtliche Rede setzt, wird klar, dass dies nicht der Fall ist. Mina erzählt z. B. einer Freundin, die mit ihr im Auto sitzt, welches soeben das Ortsschild passiert hat:

„Mir ist gerade ziemlich mulmig, denn ich habe keine Ahnung, was mich in der alten Heimat erwartet.“

Das ist der gleiche Text und mitnichten auktorial! Aber in die erlebte Rede (oben) versetzt, wirkt es auf manche Lesenden so. Der gravierende Unterschied ist: Mina weiß, wie sie sich fühlt, was sie empfindet und vor allem, dass sie keine Ahnung hat, was sie erwartet. Beim obigen auktorialen Beispiel („Sie ahnte nicht, dass dies erst der Beginn ihrer Schwierigkeiten war.“) berichtet die/der Verfassende von zukünftigen Ereignissen, von denen „Sie“ noch gar nichts wissen kann. Sollte man im Lektorat Ihnen einen Satz oder eine Passage in erlebter Rede als auktorial ankreiden, überzeugen Sie die Leute vom Gegenteil, indem Sie die fragliche Passage wie bei diesem Beispiel in die wörtliche Rede setzen.

Das umgekehrte Problem gibt es allerdings auch: Formulierungen, die wir nicht als auktorial empfinden, sind in Wahrheit aber genau das.

Nora wanderte durch den Wald über einen moosbewachsenen Weg, an dessen Rändern Holunder und Buchenschösslinge wuchsen. Die Luft roch nach Lavendel und der Duft wurde stärker, je näher sie dem Waldrand kam. Als sie ihn erreichte, sah sie einen See inmitten der Lichtung. Schilf wuchs an seinem Rand und das Ufer war mit alten Weidenbäumen gesäumt, zu deren Wurzeln gelbe Blumen wuchsen. In der Mitte des Sees erhob sich eine kleine Insel aus dem Wasser, die über und über mit Lavendel bedeckt war. Libellen schwirrten wir funkelnde Juwelen über dem Wasser. Ein friedvoller Anblick.

Obwohl hier gleich im ersten Satz „Nora“ eingeführt wird, ist die Landschaftsbeschreibung von ihr „abgekoppelt“. Besonders deutlich wird das in dem Satz: „Als sie ihn erreichte, sah sie einen See inmitten der Lichtung.“ Hier erzählt eindeutig jemand Allwissendes, dass Nora den See sieht. Was daran auktorial sein soll? Versetzen wir uns in Noras Lage und lassen wir Nora sich selbst das Geschehen in der Ich-Form „erzählen“: „Ich sehe einen See mitten auf der Lichtung.“ Von den im Leben extrem seltenen Situationen abgesehen, in denen wir per Funk oder Telefon jemandem etwas beschreiben, was diese Person nicht sehen kann, sagen wir zu uns selbst NIE: „Ich sehe dies, ich bemerke das, ich nehme jenes wahr usw.“ Wir stellen im Geist, um beim Beispiel zu bleiben, fest: „Ich habe den Rand einer Lichtung erreicht. In der Mitte ist ein See.“ Dass wir den „sehen“, ist selbstverständlich, weil wir ihn sonst gar nicht wahrnehmen und auch nicht sagen könnten, dass er dort ist.

Ebenso wirken Textpassagen wie die folgenden personal, sind in Wahrheit aber auktorial. Sie verraten sich in der Regel, wie schon gesagt, durch Formulierungen wie: „Er sah, dass Lisa die Schlüssel suchte.“ „Sie beobachtete, wie der Einbrecher zur Tür schlich und das Stemmeisen ansetzte.“ „Kaum war Lisa zu Hause angekommen, bemerkte sie, dass ein Fenster offenstand.“

Wenn wir in der personalen Perspektive schreiben, ist für die Lesenden alles, was wir schreiben, die Wahrnehmung der Person, deren Perspektive wir ihnen schildern. Das heißt, wir brauchen den Lesenden nicht zu „sagen“, dass „er“ etwas sieht und „sie“ etwas beobachtet oder bemerkt. Schreiben wir schlicht: „Lisa suchte die Schlüssel“, so ist zweifelsfrei klar und vor allem selbstverständlich, dass „er“ das sieht, andernfalls wir das nicht aus seiner Perspektive (be)schreiben könnten. (Wobei hier „er“ nicht wissen kann, ob Lisa in der Tasche den Schlüssel oder etwas anderes sucht; „er“ vermutet das nur.) Schreiben wir in der Perspektive unserer Figur „Der Einbrecher schlich zur Tür“, so ist das eindeutig das, was die Person in diesem Moment „beobachtet“, andernfalls das nicht beschrieben werden könnte, weil – siehe nächste Folge – wir in der rein personalen Perspektive immer nur das beschreiben können, was diese Person sieht, denkt, fühlt und weiß. Jemand anderes als „sie“ kann also den Einbrecher in diesem Moment gar nicht beobachten. Und dass „sie“ das tut, ergibt sich aus der Handlung = der Situation.

Der Satz mit dem offenen Fenster ist dagegen doppelt auktorial. Denn wenn wir uns in Lisas Perspektive befinden, thematisieren wir nicht, dass sie etwas tut, „kaum“ dass sie zu Hause angekommen ist. Denn nur wenn sie nach Hause kommt, kann sie überhaupt feststellen, dass das Fenster offen ist (vorausgesetzt, sie hat es nicht absichtlich offen gelassen und weiß das daher). In dem Fall schreiben wir: „Lisa betrat das Haus und schloss die Tür. Ein Fenster stand offen.“ Völlig eindeutig und deshalb nicht erwähnenswert, dass Lisa das „bemerkt“, andernfalls wir das offene Fenster in ihrer Perspektive nicht preisgeben könnten. Etwas, das man nicht bemerkt, sieht, beobachtet, fühlt etc. kann man auch nicht jemand anderem – in diesem Fall den Lesenden – berichten.

Auktoriale Sätze wie die obigen werden aber im Lektorat und von den Lesenden meistens anstandslos akzeptiert, obwohl sie genau genommen einen Perspektivbruch darstellen. Solange man uns die nicht „ankreidet“, spricht nichts dagegen, sie zu benutzen. Doch auch hierbei sollten wir uns grundsätzlich bemühen, unsere Texte von der Masse der „Allerweltstexte“ positiv abzuheben.

Um zweifelsfrei festzustellen, ob wir auktorial berichten, machen wir am besten den „Ich-Test“. Versetzen wir den betreffenden Satz/die Sätze in die Ich-Form und prüfen, ob WIR den dadurch entstehenden Satz tatsächlich so sagen würden, wenn wir „mit uns selbst reden“: „Kaum bin ich zu Hause angekommen, bemerke ich, dass das Fenster offen steht.“ – Nein, wir sagen allenfalls etwas wie: „Ich komme nach Hause und das Fenster ist offen. (Ich kann mich gar nicht erinnern, es offen gelassen zu haben.)“ Oder: „Endlich (bin ich) zu Hause! Oh, das Wohnzimmerfenster ist ja offen.“ Aber wir sagen sich ganz sicher nicht, dass Sie das „bemerken“.

Natürlich gibt es – wie immer – Ausnahmen und Grenzfälle. In einer Szene, in der z. B. eine Person am Schauplatz eines Verbrechens ist, die Polizei oder jemand anderen anruft und von diesem Menschen gebeten wird zu beschreiben, was er/sie sieht, können schon mal Sätze fallen wie: „Ich sehe keine Einbruchspuren.“ Im erzählenden Text: „Sie sah keine Einbruchspuren.“ Das heißt aber nicht, dass es tatsächlich keine gibt. Hier wird deshalb bewusst betont, dass „sie“ lediglich (auf Anhieb) keine entdeckt.

Tatsächlich erforderlich sind auktoriale Einschübe immer dann, wenn wir den Lesenden eine wichtige Information jetzt mitteilen müssen, unsere Figur sich aber allein auf weiter Flur befindet und niemand da ist, dem sie das im Dialog mitteilen kann und auch nicht die Möglichkeit besteht, die Infos durch einen Zeitungsartikel, einen Brief, einen Tagebucheintrag oder eine Radio- bzw. Fernsehübertragung zu vermitteln. Oft handelt es sich bei solchen Fällen um Ortsbeschreibungen oder kurze Rückblenden. Zwar sollte man versuchen, diese an passenderen Stellen unterzubringen, bevor sie „gebraucht“ werden, aber ist nicht immer möglich. In diesen Fällen sind auktoriale Einschübe sinnvoll, die man aber so kurz wie möglich halten sollte.

Beispiele:

Betritt die Hauptfigur das eigene Schlafzimmer, das bisher in der Geschichte nicht vorkam, in dem sich aber gleich etwas Wichtiges ereignen soll, muss das Zimmer manchmal beschrieben werden. Suboptimal wäre in diesem Fall – besonders wenn es sich um eine spannungsgeladene Szene handelt bzw. etwas Spannendes passieren soll –, die Person im Zimmer herumpusseln zu lassen, um auf diese Weise (Show, don’t tell!) die Einrichtung zu beschreiben. Hier beschreiben wir die für die Szene wichtigen (!) Dinge auktorial, obwohl kein Mensch ohne konkreten Anlass z. B. daran denkt, dass sein Kleiderschrank aus massivem Eichenholz ist und schon der Urgroßmutter gehört hat oder sein Bett direkt mit dem Kopfteil unter einem an die Wand gedübelten Bücherregal steht. Das wird in so einem Fall auktorial eingestreut.

Die Lesenden wissen aus einem vorherigen Band, dass der Held seine Frau durch einen tragischen Unfall mit Fahrerflucht verloren hat, der vielleicht aber ein Mord war. Neulesende, die den vorigen Band nicht kennen, wissen das nicht. Wird die Erinnerung bzw. die Information für Neulesende wichtig, aber der Held würde normalerweise in der betreffenden Situation gar nicht daran denken und haben wir nicht die Möglichkeit, das in einen Dialog zu packen (ohne dass das konstruiert klingt), erzählen wir das auktorial.

Ebenfalls müssen wir in allen Situationen auktorial erzählen, in denen auf den Figuren bekannte Dinge Bezug genommen wird, die sie aber für sich gar nicht thematisieren würden und die wir (deshalb) auch nicht in einem Dialog verpacken können. Sagt jemand zu einer anderen Person: „Du weißt doch, wie Tante Emma ist“, aber Tante Emma oder die Art, „wie sie ist“, kam im Text noch gar nicht vor, müssen wir die den Lesenden erklären. Weil die Figuren aber wissen, „wie Tante Emma ist“, klänge es aufgesetzt, wenn wir sie das in einem Dialog erzählen oder in erlebter Rede reflektieren lassen, weil man das real nicht tut. Über etwas, das man weiß und/oder seit Langem kennt, denkt man nicht nach. Etwas, das auch die andere Person weiß (hier „wie Tante Emma ist“), erzählen wir ihr nicht, weil sie das schon weiß. Hier müssen wir die fehlenden Informationen den Lesenden auktorial servieren.

Doch auch hierbei kommt die Finesse mit der Übung und Erfahrung.

In weiteren Folgen:

  1. Personale und wechselnde personale Perspektive
  2. Das Braiden
  3. Eingeschränkt auktoriale/semi-auktoriale Perspektive
  4. Ich-Perspektive
  5. Du-Perspektive
  6. Das Braiden
  7. Perspektivbrüche und ihre Folgen
  8. „Mauerschau“ und „Botenbericht“

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