Modern Heart Break

Rezension von Claudia Grothus

 

Laura Melina Berling, „Modern Heart Break“, Leykamverlag,  Wien 2023,  ISBN: 978-3-7011-8302-9, 224 Seiten, Broschur mit Klappen, € 18,50

Laura Melina Berling, die sich selbst Lina rufen lässt, krempelt sich auf ihren ersten Buchseiten schonmal die Ärmel hoch – mit Recht! Sie hat sich nicht weniger vorgenommen, als über die Liebe zu schreiben. Persönlich, gesellschaftlich, wissenschaftlich – und modern.

Das Moderne liest sich sofort. Ein Buch mitten im Umbruch unserer Sprache zu schreiben, die für Diversität einfach nicht geschaffen ist, das ist an sich schon eine Herausforderung. Aber sie bekommt das hin! Gut sogar. Dankenswerterweise erklärt sie einige neue Begriffe. Und ich bin dann ganz erfreut, so einen Satz wie „Halt die Ohren steif!“ zu finden. Eine Redewendung die mindestens 100 Jahre alt ist! Puh!

Und dann ist da noch eine „Modernität“, die keine ist. Ja, ich weiß, als wir jung waren, dachten wir auch, wir würden unsere Gedanken als Erste denken, unsere gefühlt bahnbrechenden Neuerungen als Erste einfordern. Man muss eine Weile aufmerksam leben, um zu merken: Ist ja gar nicht mal so!

Revolutionen der Liebe gab es schon immer. Vielleicht nicht in so rasanter Abfolge, aber die letzten davon feierten sich in den 1920er Jahren, dann wieder in den 60ern und ab da gab es in nahezu jedem Jahrzehnt bahnbrechende Umwälzungen, die aktuell dort herumpaddeln, wo eine Autorin am Anfang ihres Buches erst einmal eine Begriffsbestimmung von männlich, weiblich und der ganzen Palette von LGBTIQA mit den dazugehörigen Gendersternchen vornehmen muss.

Und was heute Polyamorie genannt wird, wurde auch früher schon unter anderen Begriffen wie „offene Beziehung“ oder „freie Liebe“ missbraucht. Und da sind wir schon an einem Kernpunkt des Themas modernen Herzbrechens:

„Liebe ist eine schwierige Sache“

Ja, liebe Lina, ist sie. Schon immer. Und ich bin rasend gespannt, was du darüber herausgearbeitet hast. Süß, dass du über die Liebe schreibst: „Gesellschaftlich wird sie heutzutage oft als Frauenthema behandelt.“ Erlebst Du das so? Was umfasst dein „heutzutage“? In westlichen Kulturen wird Liebe seit Jahrhunderten als Frauenthema behandelt. Liebe war in der patriarchalen Welt nie ein männliches Thema. Es ist nicht neu, was du fühlst und erlebst. Es ist nur für dich und deine Generation neu. Aber das muss so sein. Das ist in Ordnung. Die Menschheit erfindet sich immer wieder in eher jugendlichem Alter neu. Denn tatsächlich ist Liebe, soziologisch und auch individuell betrachtet, nie dasselbe, was sie vor 10 Jahren war.

Auf Seite 24 entschließe ich mich, als Lesezeichen einen Knick ins Blatt zu machen. Frevel! Denn jetzt kann ich das Rezensionsexemplar, falls es mir nicht gefällt, nicht mehr verschenken. Wenn ich ein Eselsohr in eine Buchseite mache, dann bin ich bereit, eine Beziehung mit diesem Buch einzugehen. Egal was kommt. Liebe Lina, du hast also nach 24 Seiten mein Eselsohr errungen. Das schaffen nicht viele. Nicht weil ich so wahnsinnig anspruchsvoll bin, sondern einfach nur schnell gelangweilt. Mal sehen, wo wir beide noch zusammen hingehen.

Ich lese weiter und es geht jetzt richtig los. Um die nächsten Seiten zu beschreiben, möchte ich das J…-Wort vermeiden. Du berichtest, begonnen in frühester Kindheit, ausführlich davon, wie ungerecht das Schicksal dir mitgespielt hat. Immer hast du den zermatschten Teil vom großen Kuchen bekommen und die anderen, die sowieso schon ungerechterweise mit natürlicher und gerade angesagter Attraktivität gesegnet waren, löffelten sich vor deinen Augen die schönsten Sahne-Dekorationen samt Zuckerguss und Marzipanröschen rein.

Ganz klar, dass dir auch in der Liebe nur die Ignoranten, die Gemeinen, die Gleichgültigen und Feigen begegnet sind. Ich verfalle ins Spotten. Entschuldigung. Tatsächlich erwischte ich mich dabei, beim Lesen ein wenig die Augen zu verdrehen.

Und dann überlege ich: Warum zur Hölle solltest du das nicht tun? Warum sollte nicht einfach mal eine Frau (die sich vermutlich fühlt oder gefühlt hat wie der größte Teil aller Frauen in unserer Kultur) so richtig lang und breit jammern? (Jetzt habe ich doch das j-Wort benutzt …) Es IST ja auch echt zum Irrewerden, mit welchem Rollen- und Anspruchs-Memory wir aufwachsen, und es IST ja auch sowas von frustrierend, dann diesen Mann-Wesen zu begegnen, mit all den Erwartungen, die man uns ins Gehirn gepflanzt hat und unweigerlich die volle Breitseite an Versagen seitens des begehrten Partners zu erleben. Und damit nicht genug! Unsere Kulturklischees flüstern uns nach dem vollzogenen Herzensbruch umgehend ein „du bist ja selbst schuld“ mitten in den fiesesten Schmerz.

Und du Lina, gehst hin und breitest dies alles episch vor uns aus. Du leidest. Seitenweise. Mehr tell als show, aber das ist ja auch kein Roman.

Ich bin hin und her gerissen. Ist DAS das Alleinstellungsmerkmal von Modern Heart Break? Sich zu erlauben, öffentlich die große Liebesklage vorzutragen? Das, was einer im echten Leben spätestens nach der zweiten Tasse Freundinnen-Trost-Kaffee volles Rohr auf die Nerven geht?

Aber da ich nun schon Eselsohren in das Buch geknickt habe, beschließe ich, dir weiter zuzuhören. Vielleicht kommt da ja noch was.

Es kommt noch eine Menge. Nämlich die Betrachtung des Themas Liebe in all seinen historischen und gesellschaftlichen Facetten. Und wie könnte es anders sein: Das Ergebnis ist mehr als frustrierend. Jedenfalls aus weiblicher Sicht – mindestens. Der Tenor des gesamten Buches ist Frustration. Sogar das Ende lässt allenfalls ein „Wir müssen kämpfen“ zu.

Ja, klar, so kann frau das sehen.

So muss frau das sehen, wenn sie aus dem Heartbreak heraus schreibt. Du hast es stringent geschafft, die Tonalität des Liebeskummers zu treffen. Diese Verletzung und das empört-gebrochene „Das ist ja alles gar nicht so, wie ich dachte, wie sie mir das alles erzählt haben, wie es in den Filmen und den Büchern ist“.

Der Kaiser hat ja gar keine Kleider an!

Ja, Lina, herzlichen Glückwunsch zu dieser Erkenntnis und danke, dass du sie so ausführlich zu Papier gebracht hast. Das kann ja bei anderen zur heilsamen Einsicht beitragen und vor allem dieses „selbst schuld“ auslöschen.

Ich glaube, Modern Heart Break könnte ein hilfreiches Buch für junge Frauen sein, welche gerade von der Abrissbirne des ersten (oder auch zweiten bis zehnten) Liebeskummers getroffen wurden und dringend etwas brauchen, woran sie ihre karussellfahrenden Gedanken knüpfen können. Mit diesem Buch können sie sich mit ihren Kummer befassen (etwas anderes ist ja in so einer Phase sowieso nicht möglich) und dabei eine Menge Antworten auf ihr verzweifeltes „Warum?“ erhalten. Sie finden aber auch sehr brauchbare Ansätze dafür, eine bessere Haltung einzunehmen.

Und die Aufforderung zu feministischerer Liebe bringt die Lösungsmöglichkeiten für das Dilemma, glaube ich, sehr gut auf den Punkt.

Laura Melina Berling nimmt auf jeden Fall den Faden der großen Feministinnen auf und macht ihn zukunftsfähig.

Das ist schonmal eine wichtige Leistung.

Für Menschen, die aktuell nicht unter Liebeskummer leiden, ist Modern Heart Break ein bisschen schwer zu ertragen. Aber Liebeskummer ist generell schwer zu ertragen – auch für Unbeteiligte. Da müssen wir alle durch.

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