Ohne Allüren – Rezension
von Dieter Feist
Harald Grosskopf: „Monsieur Séquenceur – Mein Leben als Schlagzeuger und Elektronikmusiker“. Ventil Verlag, Mainz 2024. Broschur, mit Abbildungen, 276 Seiten, 25,00 €(D), ISBN 978-3-95575-234-7
Wieder einmal liegt ein Buch aus der Pop-Kultur-Sparte des Ventil Verlags vor mir. Harald Grosskopf, Schlagzeuger und Elektronikmusiker berichtet aus seinem Musikerleben. Zugegeben, ich musste erst nachschauen, mein musikalisches Gebiet ist ein anderes. Schau einer an, Wikipediaeinträge nicht nur auf deutsch, sondern auch auf der englischspracheigen und der französischen Seite, und nicht bloß reine Übersetzungen.
Ganz blank bin ich aber auch nicht: elektronische Musik in Deutschland – da sind gleich ein paar Namen parat: Tangerine Dream, Kraftwerk – war so eine Art elektronischer Instant-Pop. Klaus Schulze auch. Seine Musik hat mir besser gefallen als die von Jean-Michel Jarre, die mir zu gefällig war. Zu Schulzes „Timewind“ in Dauerschleife habe ich in grauer Vorzeit mal eine Arbeit für die Uni geschrieben – produktive Trance. Beim spektakulären Finale bin ich vor Schreck jedesmal vom Stuhl gekippt. Jedenfalls fast. Die elektronische Musik der späten 70er Jahre war für mich auch ein willkommenes Kontrastprogramm zur immer steriler werdenden Rockmusik. Nein, die elektronische Musik fand ich nicht steril – damals nicht, heute manchmal schon. Als Hörer eröffneten sich mir neue, faszinierende Klangwelten. Ganz zaghaft startete ich sogar selber ein paar Versuche, mit einfachem Gerät und überhaupt sehr schlichten technischen Möglichkeiten. Weit entfernt von den Klangräumen, die etwa Eberhard Schoener beschwor, und von den riesenhaften Schaltkästen, vor denen Walter (später: Wendy) Carlos unter gepuderter Perücke für die Plattencovers posierte. Es waren neugierige Entdeckungsreisen, keine nähere Beschäftigung. Ein bisschen kann ich das nun nachholen.
Zur deutschen Elektronik-Szene gehörte also ziemlich früh auch Harald Grosskopf.
Wie soll man sich einen Elektronik-Musiker vorstellen? Ein Nerd mit dicken Brillengläsern und fahler Haut von den Nächten am Bildschirm? Zumindest scheint klar, dass jemand, der einen mit Drähten vollgestopften Schrank zum Klingen bringt, anders arbeitet als jemand, der einem Instrument durch direkte fein- oder grobmotorische Einwirkung Geräusche entlockt.
Nun, Harald Grosskopf ist ganz offenbar kein Nerd. Vor dreißig Jahren, berichtet er im Vorwort, habe er begonnen, seine Lebenserinnerungen aufzuschreiben. Es werden so etwas wie Tagebuchaufzeichnungen gewesen sein, die erst „in eine lesbare Form“ gebracht wurden, als er sich entschlossen hatte, häufig Erzähltes in Buchform herauszubringen.
So ist es auch in gedruckter Form geblieben: hier erzählt einer aus seinem ereignisreichen Musikerleben, und bemerkenswert ist, dass er das völlig ohne Allüren tut. Viele Künstler:innen können der Versuchung nicht widerstehen, in ihren Erinnerungen ein wenig zu prahlen. Grosskopf berichtet ganz unprätentiös der Reihe nach, wie das alles so gelaufen ist, seitdem er Feuer für die Musik gefangen hatte. Und das waren nicht nur Erfolge. Da gab es bescheidene Anfänge mit selbstgebauten oder geliehenen Instrumenten und abenteuerlichen Equipments, Mordsbammel vor Premieren, große Erwartungen, nicht selten Enttäuschungen, aber auch kleine Erfolge. Natürlich kamen irgendwann auch Drogen ins Spiel, aber Grosskopf verschweigt auch nicht, dass deren bewusstseinserweiternde Wirkung nicht unbedingt zu einer höheren Qualität der Musik beitrug. Was sich manchmal wie ein sorgloses Sichtreibenlassen anhört, stößt unvermittelt an schnöde Lebensrealitäten: irgendwo muss man wohnen von irgendwas muss man runterbeißen.
Vor einiger Zeit erschien im Ventil Verlag ein Buch mit dem Titel „Kommst du mit in den Alltag“, in dem Musiker:innen sehr offen von den der Bühne abgewandten Seiten berichten, die dem Publikum verschlossen bleiben und von denen die Fans nichts wissen wollen. Grosskopfs Erzählungen passen da gut dazu: das ist der Alltag in einem Musikerleben. Dass er mit der Zeit in seinem Genre ein ziemlich bekannter Künstler wurde, erschließt sich beim Lesen eher beiläufig; mit der Nase wird man nicht darauf gestoßen.
Ich habe schon viele Biografien von Künstler:innen gelesen, und viele funktionieren nach dem Muster: ich fühle mich bedeutsam und lasse die Welt daran teilhaben. Grosskopf lässt derlei völlig vermissen und falls er sich für bedeutsam hält, schmiert er es nicht aufs Butterbrot. Stattdessen nimmt er die Leserschaft mit: Nervosität vor dem Konzert – man spürt es auch und freut sich mit, wenn dann der Auftritt gelungen war. Reisen in ferne Länder – man begleitet den Autor auf Entdeckungstouren, guckt sich mit ihm um und staunt. Hier ist kein Star am Schwadronieren.
Und dann hört die Erzählung plötzlich auf. Kein besonderer Abschluss. Schade! Ich wäre gern noch ein bisschen dabei gewesen. Aber klar, irgendwann musste das Buch schließlich in Druck gehen und Grosskopf spielt ja weiter.
Und? Empfehlung?
Unbedingt. Wer Künstler:innen-Biografien gerne liest, vor allem solche, die weder angeberisch noch larmoyant sind, sollte dieses Buch lesen.
Außerdem: hört ihn euch mal an auf den einschlägigen Portalen. Lohnt sich. Harald Grosskopf ist kein Nerd, der am Computer sterile Maschinenmusik produziert.
Gute Lautsprecher empfohlen.