Fremde Federn: Hokuspokus Fokus
Dieser Text wird mit Zustimmung der Redaktion „Das Blättchen“ und des Autors vorgestellt. Er erschien erstmals in „Das Blättchen“ Nummer 18 vom 28. August 2017. Wir danken sehr dafür, diesen Text präsentieren zu dürfen.
Die Redaktion
Hokuspokus Fokus
von Jürgen Brauerhoch
Im Reich der Begriffe gibt es offensichtlich keine Demokratie, keine Gleichberechtigung, auch keine Würde der Worte, die ja angeblich unantastbar sein soll; denn wie sonst konnte eine ganze Familie rund um den Begriff Mittelpunkt quasi ausgelöscht werden durch die Mainstream-Floskel Fokus, die im Sprachgebrauch von Medien und Politikern alles verdrängt hat, was an durchaus griffigen Synonymen zur Verfügung stünde. Man hat heutzutage eben nichts mehr im Visier, stellt nichts mehr ins Zentrum, widmet einer Sache seine Aufmerksamkeit oder nimmt sie sich zu Herzen – Nein, man stellt sie in den Fokus, richtet den Fokus darauf, fokussiert alles nur Denkbare: Hokuspokus Fokus! Dieser arg gebeutelte Fokus ist nicht der einzige arme Hund, der in allen Reden, Interviews, Ansprachen, Konzepten, Gutachten, in wichtigen Papieren wie auch ganz simplen Nachrichten krampfhaft bemüht wird, nein, er hat zahlreiche Leidensgenossen, darunter die Nachvollzieherei. Vielleicht könnte man die Dinge ja verstehen, sich zu eigen machen oder sein Augenmerk auf sie lenken, aber man muss sie, ob’s passt oder nicht, nachvollziehen! Wenn beispielsweise ein Reporter gefragt wird, wie viele Tote wohl unter den Trümmern liegen, heißt die Antwort womöglich, er könne das nicht nachvollziehen. Soll er froh sein! Es genügt doch, wenn er es nicht weiß, nicht abschätzen, nicht begreifen kann.
Modewörter sind böse Buben, die sich überall einschleichen und dafür sorgen, dass Politiker,die vielleicht den Ausspruch eines anderen einfach dumm finden, auch das nicht einfach sagen, sondern ihn nicht nachvollziehen können, was übrigens auch niemand verlangt hat! Ein ähnliches Schicksal hat auch das harmlose Verb umsetzen erfahren, in diesem Falle nicht aus Plumpheit, sondern beinahe in betrügerischer Absicht; denn wenn eine Absicht gut ist und nur noch umgesetzt werden muss, heißt das erfahrungsgemäß inzwischen, dass eine Realisierung gar nicht vorgesehen war, also gar nicht geplant ist. Das macht: Die Qualität des Vorhabens besteht in der Idee, nicht in der Umsetzung! Die immer wieder hinausgeschobene Inbetriebnahme des neuen Berliner Flughafens, wo diese Philosophie beispielhaft exerziert wird, könnte Vorbild sein für alle möglichen Absichten wie Wahlprogramme und Manifeste. Wer denkt da schon an Umsetzung? Vielleicht an Absetzung, Besetzung, Zersetzung – geht alles ohne um!
Unser kleiner Ausflug in die bedrohlich um sich greifende Schluderei in und mit unserer eigentlich sehr anschaulichen deutschen Sprache ist leider längst nicht zu Ende. Schließlich geben sich die sogenannten Medien, geben sich Presse, Funk und Fernsehen, besonders gern auch Personen des öffentlichen Interesses aus Politik, Kultur und Wirtschaft alle Mühe, inflationär verwendete Floskeln mit – wie es so schön heißt – Leben zu füllen. Zu diesen missbrauchten Adverbien gehören zeitnah und ergebnisoffen. Beide sollen infam über Entschlusslosigkeit hinwegtäuschen; denn mit zeitnah (Duden: fix, kurzfristig, rasch, schnell, sofort …) legt man sich nicht fest, das kann morgen oder am Sankt-Nimmerleins-Tag sein. Noch feiger ist die Verwendung von ergebnisoffen. Wer derart diskutieren will, will in der Regel dem schon „Ausdiskutierten“ den nötigen Applaus verschaffen; denn natürlich muss jede Aussprache ergebnisoffen sein, sonst ist es keine oder eben nur eine scheinbare. Hoch beliebt ist auch der Davonausgeher. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwer von irgendwas ausgeht. Namentlich Politiker im Fernsehen, aber auch Funktionäre aller Art, Journalisten und sonstige professionelle Vor- und Nacherzähler gehen gern von etwas aus, bevor sie etwas sagen, falls sie überhaupt etwas zu sagen haben und nicht gleich davon ausgehen, dass sie mit dem Davonausgehen bereits alles gesagt haben – wovon man mitunter ausgehen kann. In erster Linie ist es nämlich die leidenschaftliche Lust an Ausflüchten, die den Denker, Meiner, Annehmer, Vorsteller oder Vermuter zum routinierten Davonausgeher werden lässt. Zu dessen Karriere gehören auch die Freude am Vernebeln, der Spaß am Vertuschen, die Begabung, mit vielen Worten nichts zu sagen – was man lernen kann, falls man die charakterliche Disposition dazu hat. Da lohnt sich die härteste Schule, weil sich der Fokus in jedem Bereich der modernen Gesellschaft auf die Up-to-date-Personen richtet, die mit dem Davonausgehen geschickt umgehen können.