Berichte von der Insel – 3. Im Getriebe
Eine Prosaminiatur von Walther
Als ich heute auf den Strand hinunterging, um meine asthmatischen Bronchien bis zum Platzen mit einer ordentliche Meeresbrise zu fluten, sah ich, wie die steife Ausgabe derselben Sandschwaden bodennah über die harten, weil angefrorenen, Sandfläche trieb. Ich blieb stehen und filmte das Schauspiel mit dem Smartphone. Man will (und muss!) die Zu-Hause-Gelassenen an seinen Erlebnissen teilhaben lassen. Sie könnten ja auf die falsche Idee kommen, man sei nur zum Spaß in der Kur.
Ist man nicht, ihr lieben Zuhausegebliebenen. Kuren ist harte Arbeit.
Blende.
Sand im Getriebe. Genau, dieses Asthma ist der Sand in meinem Getriebe. Es schränkt mein Treiben ein. Es zwingt mich, aus dem alltäglichen Getriebensein auszusteigen, mich am Strand herumzutreiben. Es bringt meine Gedanken auf Trapp.
Körpermitte; Powerhouse: Mir kommt das erste Pilates-Training in den Sinn, es war mehr eine Art Einführung für hoffnungslos Eingerostete wie mich (wiewohl noch andere, erheblich stärkere verrostete Kurgäste ebenfalls daran teilgenommen haben; solches hat mich nicht sehr beruhigt ob meiner körperlichen Verfassung, höchstens daran erinnert, dass es noch ärger kommen wird). Man solle sich mehr um seine Mitte kümmern, meinte die Trainerin. Ob Pilates diese Gedanken im Sinn hatte, als er sein Kräftigungstraining besonders für den Bauchraum entwickelte?
Jedenfalls befeuerten sich meine Assoziationen mit jedem Schritt in Richtung Dünen, deren Bauherr, der Wind, mit seinem Material, dem Sand, ganze Arbeit leistete, rund um die Uhr, ohne Anfang, ohne Ende.
Blende.
Treibsand. Auch das: Nach dem Mittagessen sollte Strandsport stattfinden. Der Wind hat noch ein wenig aufgefrischt. Naja, ein wenig ist stark untertrieben. Der Sand hatte bereits Senken gefüllt und die Buhnen an der der Windrichtung zugewandten Seite mit fast perfekten Schiefen Ebenen versehen, der Physiklehrer hätte an ihnen seine wahre Freude gehabt. Dahinter fielen sie bis zu einem Meter gerade ab. In und auf diesen helleren Flächen war das Gehen beschwerlich. Gegen den Wind hatte die Luft gelegentlich Biss.
Es war spannend, vor an den Buhnen, da, wo der Wind die Wellen gegen die Buhnen trieb, sich Enten verschiedener Ausformung gesetzt hatten, die dort offensichtlich reichlich Futter fanden; sonst hätten sie sich der heranpfeifenden kalten Luft sicherlich nicht so lustvoll und mit großem Tatendrang ausgesetzt. Wir ließen uns, auf dem Rückweg von unserem tapferen Strandspaziergang, wie der Sand über den Strand vor dem Wind hertreiben. Das Gehen war deswegen sehr angenehm. Man wurde durch den nur gelegentlich merklichen an- und abschwellenden Winddruck regelrecht (an-)geschoben.
Die Sandschwaden waren schneller als wir.
Blende.
Sandkorn im Weltall. Wenn man in die Weite schaute, hinüber zum Weltkulturerbe der Seehundbank, danach bis zum Schiff, das dahinter vorbeischipperte, danach ins Nichts, hinter dem irgendwann Grönland aufschiene, verhinderte dies nicht die Krümmung des Globus in Form des Horizonts, bekam man eine Ahnung der eigenen Kleinheit. Das Sandkorn würde sicherlich das Gleiche denken, wäre es in der Lage, sich zu uns Menschen in Beziehung zu setzen – größen-, nicht bisstechnisch.
Diese Gedankenkette konnte man beliebig weiterspinnen; ich erinnerte mich, dass am Vorabend der Vollmond und die untergehende Sonne genau gegen über am Himmel standen. Sie hätten sich zublinzeln können. Ob der Mann im Mond das vielleicht sogar tat, entzog sich meinem Blick. Dazu waren die höheren Luftschichten wiederum zu diesig.
Die wieder aufflammende Berichterstattung über den Blutmond führte mich zu Astro-Alex, dem deutschen Twitternauten, der die vorherige ISS-Besatzung kommandierte und kurz vor Weihnachten gesund wieder auf der Erde landete. Er richtete damals einen flammenden Appell an seine Zuseher, indem er davon sprach, möglicherweise seinen Enkeln einen weniger schönen Blauen Planeten zu hinterlassen, als er und seine Generation ihn vorgefunden hätte.
Entstanden war dieses Universum bekanntlich durch einen Lidschlag des Zufalls, eine kleinste Veränderung, die zum Urknall führte und nun dazu, dass wir uns Gedanken machten über uns, den Planeten, das Sonnensystem, die Milchstraße, den Galaxienhaufen, zu dem unsere Galaxie gehört, über Schwarze Löcher, den Ereignishorizont, die Weltformel und darüber, dass wir nur ein Sandkorn wären in all diesen unfassbaren Unendlichkeiten. Wobei das noch übertrieben war, denn genauer wäre der Vergleich, wenn wir uns als Lichtquantum verstünden.
Blende.
Sand im Getriebe. Zurück auf Anfang: Das Sandkorn „Asthma“ würde mich nicht daran hindern, weiterhin das Sandkorn im Getriebe zu sein, wo es nottut. Dessen war ich mir sicher geworden auf meinem Spaziergang. Ich würde mein Sandkorn nicht mehr aus dem Getriebe herausbekommen, aber ich würde es schaffen, das Getriebe selbst in einer Form zu ölen und zu schmieren, dass es jedenfalls heute noch nicht den Kolbenfresser bekommt. Das hatte ich mir vorgenommen.
Und dann mich wieder der Natur, dem Rauschen der Brandung und des Windes und mir selbst zugewandt. Die Sandschlieren eilten ohne irgendeine Regung ihren Zielen zu, irgendwo dort, wo der windige Gesell sie hinhaben wollte. Keine menschliche Mauer würde sie nicht auf ewig aufhalten können. Der Wind war unendlich. Wir Menschen waren es nicht.
Blende.
Ende.