Das Wunschdings oder Matzes Verdammnis von Sabine Reifenstahl
Das Wunschdings oder Matzes Verdammnis
Ähnlichkeiten mit lebenden oder untoten Personen und Leuten aus beliebten Fratzenbuch-Gruppen sind rein zufällig.
So wie jeden Tag kugelte auch an diesem wunderbaren Sonntagmorgen Matze Erschöpfing aus den Federn seines altmodischen Bettes, zog ein paar verirrte Daunen aus dem lichter werdenden Blondschopf und tappte blindlings zur Kaffeemaschine. Auf dem Weg dorthin studierte er schon seinen besten Freund: ein Smartphone in Tablet-Größe. Hilfegesuche von Weißnix, Denkkaum und Hohlbirne blinkten ungeduldig.
Mit andächtigem Lächeln schnupperte Erschöpfing und sog den Duft von frischem Kaffee ein. Ein Weiblein konnte er zwar nicht zum Einzug bewegen, doch immerhin eine programmierbare Brühmaschine, die frühmorgendlich für wohltuende schwarze Plempe sorgte.
Matzes Tag war gerettet, und er dankte dem Schöpfer für sein Glück. Dabei plätscherte teerfarbene Brühe in den riesigen Kaffeebecher.
»Ein Gott zu sein ist schwer!«, prangte dort in goldenen Lettern.
Leider stammte der Spruch von jemand anderem, obwohl er so schön passte. Und noch mehr bedauerte der Herr der Buchstaben, den Gebrüdern Strugatzki nie mit seinem umfangreichen Wissen behilflich sein zu dürfen, nur geschuldet dem unglücklichen Umstand des vorzeitigen Dahinscheidens der russischen Autoren.
Aufkommende Wehmut schnell verdrängend, wurde der Tag freudig begrüßt. Andere Publizisten warteten begierig auf den Rat des selbsternannten Bücher-Gurus.
So streifte Erschöpfing durch den virtuellen Blätterwald, hob hier ein Pamphlet an, überflog dort die ersten Zeilen eines Traktates. Zugegeben, was sich heute so Autor schimpfte, hätte der Mob in früheren Zeiten geteert und gefedert oder einfach in die nächste Bleimine verfrachtet, um dort ein nützliches, wenngleich kurzes Leben zu führen. Doch diese Zeiten waren glücklicherweise vorbei, und so konnte Matze all die Ahnungslosen mit seinem Halbwissen beglücken, was ihm schnell den Ruf eines höheren Wesens eintrug: Der Gott der Selfpublisher.
»Der Herr der üblen Ergüsse!«
Hinter dem aufgeklappten Laptop kicherte es schrill.
Matze zog eine helle Braue in die Höhe, überlegte kurz, ob er der Sache nachgehen sollte, entschied sich dann jedoch für die existentielle Frage einer Followerin.
»Lekorat oder niecht Letorat? Waas meinnt ihr, liebe Schreibgemeine?«
»Fang lieber an zu Malen oder ab in den Steinbruch mit dir! Mit deiner Rechtschreibung ist Schweigen Gold!«, schallte es bereits unverblümt von einer monströsen Blondine, die auf eventuelle Krankheiten wie eingebildete LRS so gar keine Rücksicht nehmen wollte und den freundlichen Umgang unter den Eiferern gefährdete.
Flüchtig checkte Matze das Profil, dann warf er Esselt Wolfen kurzerhand aus dem Kreis der privilegierten Getreuen. Mit solch unliebsamen Frauenzimmern wollte er nichts zu tun haben. Stattdessen streichelte er das Ego seines Groupies und riet hilfsbereit, die Bestseller »Wie schreibe ich einen Hit« und »Romantik für Dummies« von Matze Erschöpfing zu erstehen.
»Danach schickst du mir dein kostbares Manuskript. Ich kenn einen wunderbaren Schreibfink, der dir für schlappe 9,99 Euro pro Normseite alle Arbeit abnimmt!«
Schnell waren die Zeilen getippt, und Matze lehnte sich zufrieden zurück. Selbst wenn Hohlbirne es nur auf 200 Seiten brachte, wäre der Kaffeevorrat für die nächsten Jahre gesichert.
Es lohnte wirklich, die gleiche Lektorats-Sau alle paar Tage durchs Netz zu hetzen. Der Bücher-Guru konnte sich darauf verlassen, dass jedes Mal ein paar Neulinge auf diese Masche einstiegen.
In den nächsten Minuten tippte er noch die eine oder andere Antwort mit gut gewählten Fake-Profilen. Für Anfänger ist es wichtig, den uneingeschränkten Rückhalt der Gruppe zu spüren und das Ego gestreichelt zu bekommen. Sonst käme keiner der Buchstabenbrei fabrizierenden Schreiberlinge auf die einträgliche Idee, sein Machwerk mit Matzes Hilfe zu veröffentlichen.
Eine Win-Win-Situation – zumindest aus Erschöpfings Sicht. Sein nächster Coup wurde bereits vorbereitet: Der Club der nichttrinkenden Autoren – die Elite der Schreibzunft. Schon der Name trieb die Mitglieder zu ihm.
Mit der selbst geschaffenen Scheinwelt hochzufrieden, faltete der Autorenbeglücker die Hände über dem beginnenden Bauchansatz und betrachtete wohlgemut die Übersicht seines Kontos. Kleinvieh macht auch Mist!
»Aber das Produkt bleibt immer noch Scheiße!«, murmelte es hinter dem Laptop.
Nun reichte es Matze doch, und er klappte seinen zweitbesten Freund zu.
Dort hockte sie, zierlich und liebreizend, in einem mit Buchstaben bedruckten Kleidchen, kess einen Federkiel im Haar und ein Tintenfass wie einen Tornister auf dem Rücken.
»Was treibst du hier? Dich hab ich schon lang nicht mehr gesehen!«
Die kleine Fee wippte auf den Zehenspitzen.
»Du hattest drei Wünsche. Wollte mal sehen, was draus geworden ist!«
Sie sah sich um und nickte.
»Wie ich erkenne, funktioniert dein Kaffeevollautomat immer noch automatisch und begrüßt dich allmorgendlich mit belebenden Gebräu. Also war dieser Wunsch nicht vergebens!«
Matze nippte am Kaffeebecher und evaluierte den Slogan darauf.
»Könnte göttlicher schmecken!«
»Dann wolltest du noch von Menschen verehrt werden. Wenn ich so sehe, wie sie dich umschmeicheln und an deinen Zeilen kleben, wenn ich mir dein Motto anschaue, denke ich, auch dieser Wunsch ist erfüllt!«
»Das sind nur Dumpfbacken! Kaum fähig, einen Satz in wohlgefälligem Deutsch zu formulieren!«
»Von großen Geistern war nie die Rede, Erschöpfing, nur eine Fangemeinde sollte es sein, die dich in den Himmel hebt! – Wunsch erfüllt!«
»Wenn du es sagst!«
Der Blondschopf betrachtete die Elfe misstrauisch.
»Aber der dritte Wunsch ist offen!«
Frenetisch tanzte die Fee Inspiration auf dem Schreibtisch, sprang auf den Deckel des Laptops und trampelte dort in Manier irischer Stepptänzer zu exzessivem Dudelsackgetröte, das sie aus dem Ärmel schüttelte.
Der Bücher-Guru musterte das wilde Ding, seufzte resigniert, überlegte, wie die Fans auf die Abwesenheit ihres Gönners reagieren würden; waren sie es doch gewohnt, dass er mit Rat und Tat und unverzüglich …
»Sie werden es überleben, denn du bist nun zu Höherem berufen!«
Nach einem Fingerschnippen schwebte ein einzelnes Blatt aus der Luft herab und landete auf dem Deckel von Erschöpfings zweitbestem Freund, dem Laptop. Erstaunt las der Buchstaben-Jongleur das Großgedruckte. Mit der kleineren Schrift am Ende hielt er sich nicht auf.
»Der Verlags-Riese Radom-Hose will, dass ich für ihn arbeite?«
»Du wolltest gutes Auskommen in einem renommierten Verlag. Voilà, damit wäre dann der dritte Wunsch erfüllt!«
Beschwingt wedelte die Elfe mit den Ärmchen, und Tablet und PC lösten sich in Wohlgefallen auf; mit ihnen die Anhänger von Matze, dem Bücher-Guru, all die Weißnixe, Hohlköpfe und Hirnfaulen.
Von ihm nicht mehr unterstützt, galt die ungeteilte Aufmerksamkeit wieder früheren Hobbys: Kakteen züchten, stricken, häkeln oder klöppeln. Damit ersparten sie der Welt eine Menge trivialer Ergüsse und der Fee Zahnschmerzen.
Das selbst erschaffene Universum von Matze Erschöpfing brach zusammen. Polternd krachte der Kaffeebecher zu Boden. Im Freudenrausch taumelte die Seele des Selfpublisher-Gottes in den Orkus der Literaten – zu Radom-Hose, dem Giganten ohne Inspiration, der nur um des schnöden Mammons Willen die schlechtesten Bücher im Erdenkreis herausbrachte und diese zu Bestsellern deklarierte.
Inspiration schwang sich mit einer Pirouette in die Luft und brach auf zu neuen Gefilden. Stets in der Erwartung, von jemandem zum Bleiben aufgefordert zu werden, um jenen mit der Macht einer Muse zu küssen.
Die Hoffnung starb zuletzt, und solange die Elfe Flügel und verlockende Lippen besaß, bestand zumindest die Möglichkeit auf Erfolg!
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