Titel Jan Off Liebe Laube Hohngelächter

Der ist schon ’ne besondere Pflanze!

Rezension von Dieter Feist

Jan Off, Liebe, Glaube, Hohngelächter. Mainz 2022, Ventil Verlag, ISBN 978-3-95575-160-9, 176 Seiten, Hardcover, 16,00 €(D)

Ich stelle mir Jan Off als das ziemlich genaue Gegenteil von Botho Strauss vor, dem leutscheuen Literaten, der so zurückgezogen in der Uckermark lebt, dass man ihn noch nicht mal beim Semmelnholen treffen kann, und man sich fragt, wie so einer überhaupt über gesellschaftliche Themen schreiben kann. Der Unterschied zwischen den beiden besteht entschieden auch im Weltanschaulichen, denn Jan Off gilt als links-grün, steht mittendrin im Leben, treibt sich herum und beobachtet genau, um pointiert darüber zu berichten. Er ist ein writer-on-stage und wenn man über ihn recherchiert, ist nicht ganz klar, ob er nun eher ein Bühnen- oder ein Schreibtischtäter ist. Auf Wikipedia wird er als „Trash- und Punk-Autor“ bezeichnet; nun, ich kenne ihn nicht, Punk ist eine Lebenshaltung, vielleicht trifft das bei ihm zu; Trash allerdings kann ich so nicht stehen lassen, denn da geht es um das, was er schreibt, und als primitiv oder seicht, als Wegwerf-Literatur würde ich das nicht bezeichnen – zumindest nicht, was den vorliegenden Band betrifft: Liebe, Glaube, Hohngelächter*.
Gut, klassische deutsche Hochliteratur, mit der sich die „Zeit“ auf einem Viertelquadratmeter Papier beschäftigen würde, ist das nicht, und Reich-Ranicki selig, hätte, was Duktus und Stil betrifft, die Nase gerümpft, auch wenn er wohlwollend bemerkt haben dürfte, dass zumindest die „Errrotik“ nicht zu kurz kommt. Hinsichtlich Stil hätte Helmut Karasek im Literarischen Quartett sofort widersprochen (sofern er zu Wort gekommen wäre), und das zu Recht: Offs Stil hat Methode; er ist direkt, manchmal grob, spart nicht mit Kraftausdrücken und Obszönitäten, wenn es die Handlung notwendig macht, aber er steckt auch voller Nuancen. Ist der Ich-Erzähler in Hochstimmung oder, ein paar Absätze später, völlig fertig und am Boden, ein andermal gelangweilt, nachdenklich oder über die Maßen belustigt – das alles teilt sich den Lesenden unmittelbar mit.
Auf der Internetseite des Autors ist „zur Person“ vermerkt: „Jan Off war mal irgendwo und hat dort flüchtig jemanden kennengelernt, der beinahe was erlebt hätte. Dieses Ereignis wirkt bis heute nach.“ Ein Understatement. Er muss entweder ein sehr bewegtes Leben führen oder er verfügt über eine blühende Fantasie, denn fast in allen Geschichten zeigt sich eine ungemeine Lust am Fabulieren.
Jan Off beobachtet vor allem auch sich selbst, beziehungsweise sein alter-ego in den Geschichten, berichtet von seinen Interaktionen in einer ziemlich bunt gewürfelten Gesellschaft, in der er die abwegigsten Abenteuer erlebt. Oft ist die Ausgangslage schon reichlich abgefahren und die Erwartung beim Lesen geht bereits vergnügt in eine bestimmte Richtung, doch dann gibt es (mindestens) eine überraschende Wendung, und der Erzähler reitet sich und die staunende Leserschaft in immer absurdere Situationen hinein, die am Ende – schöner Kunstgriff – selten aufgelöst werden.
Da stellt der Autor zum Beispiel konsterniert fest, „dass es nicht wenige Schriftsteller gibt, die deutlich mehr Bücher verkaufen als ich selbst. Wie kann das sein, wo ich doch wesentlich besser zu schreiben verstehe?“ Ganz klar: die haben nämlich alle „mächtig einen an der Klatsche […] Ich bin dagegen vergleichsweise gesund. Das muss (s)ich ändern. Und zwar schnell.“ Also arbeitet er zielstrebig an seinem eigenen psychischen und physischen Niedergang. Mit Erfolg, denn im Zustand absoluter Verwahrlosung wähnt er sich zweieinhalb Seiten später plötzlich angekommen in der illustren Gesellschaft von u.a. Thomas Bernhard, Charles Bukowski, Rosamunde Pilcher und Ernst Jünger. Er schreit erst laut und schreibt dann still, schließlich schreit und schreibt er gleichzeitig und „weiß ganz genau: Der Ruhm ist nur noch einen winzigen Klapsen-Aufenthalt entfernt.“ („Sex und Geld“).
Die Ausweglosigkeit des Absurden, in dem die Handlung stets kurz vor ihrer Befreiung ins Leere steckenbleibt, zeigt sich auch in etlichen anderen Geschichten (z.B. „Wattwanderung“, „Hölle Harz“, „Großstädter unter Druck“, „Affekt-Inkontinenz“), besonders schön aber in der Geschichte „Für immer Knallfrosch“, in der der Erzähler sich endlich bereitfindet, doch mal wieder richtig Silvester zu feiern. In Wolfenbüttel – „nicht unbedingt für seine Ausschweifungen bekannt“ – endet die Nacht in einem veritablen Chaos.
Es ist fast der Existentialismus eines Mister Bean.

In dem kurzen Text „Altersweisheit“ bekennt Jan Off sich zu einem Vorbild oder sagen wir besser: zu einer Anregung, aus der er bei vielen seiner Geschichten zu schöpfen scheint.
„Sag mal, Hank…“
Aber beim posthumen Gedankenaustausch möchte Charles Bukowski lieber nicht an sein alter-ego erinnert werden.
„Nenn mich bloß nicht Hank, du verkappter Pazifist. Dein Glück, dass du aus Deutschland kommst.“
Das macht den Unterschied. Denn während Bukowski in seiner (realen und literarischen) Existenz am Rande der US-Gesellschaft in den 1960er-Jahren sich stets am Abgrund definiert und beim Versuch, den endgültigen Absturz abzuwenden, in einer Agonie wiederkehrender stereotyper Erlebnisse versinkt, führt Jan Off seine Abstürze kalkuliert herbei, um sich sogleich wieder lustvoll und erlebnishungrig neuen Abenteuern in der bundesrepublikanischen Jetztzeit zuzuwenden.

Viele der Geschichten in diesem Buch sind lustig, manchmal schreiend komisch, bisweilen bleibt auch was im Hals stecken, ehe es schreiend komisch werden kann. Auch Punks kommen vielleicht irgendwann ins Altersheim („Stadt, Land, Ausfluss“). Klar, erstmal wird schwadroniert über heimlich mitgeführte Drogen, bevor es zum Brettspiele-Nachmittag geht. Und so weiter, und so gruselig. Aber das Setting setzt etwas in Gang bei mir, obwohl ich kein Punk bin. Die Vorstellung, wehrlos im Rollstuhl in den Speisesaal geschoben zu werden, wo schon die Schlumpf-Gruppe des evangelischen Kindergartens gemessen aufgeregt darauf wartet, unter der Leitung ihrer Erzieherin sowie der halbwegs tastenkundigen Praktikantin abgelutschte Weihnachtlieder abzuspulen, ist mir schon lange ein Alptraum. Verdammt nochmal, ich bin mit Beat und wilder Rockmusik aufgewachsen, und jetzt das! Ich möchte lieber sterben.

Es gibt auch noch einige wirklich ernsthafte Texte. Kein Lächeln mehr beim Lesen, dafür nachdenkliches Nicken, Stutzen, Zustimmen. „Das Gefühl, die Zelle fährt“ ist keine Geschichte, sondern eine Anklage, die in dieser Sammlung sarkastischer Geschichten ähnlich wirkt, wie die bitterernsten Auftritte des Kabarettisten Georg Schramm in der TV-Übertragung eines Comedy-Stadels. Der Text handelt von Isolationshaft und ist Ulrike (Meinhof) gewidmet, aber er beginnt nur mit dem ihr zugeschriebenen Zitat, um danach davon zu berichten, dass diese Art von vorsätzlicher Persönlichkeitszerstörung heute noch auf der ganzen Welt praktiziert wird; auch in Deutschland.
Der Artikel (nein, keine Geschichte) „Wenn ich etwas gebe, gilt: Deutsche Bettler first! (alle anderen könnten ja bandenmäßig organisiert sein)“ erinnert mich an einen Text des wortgewaltigen schweizer Journalisten Niklaus Meienberg, der von einem Einbruch in seine Wohnung berichtete, bei dem seine allerpersönlichsten Sachen durchwühlt worden waren, und von dem Dilemma der politisch korrekten Einordnung, da die Tat von nachweislich bedürftigen Personen, aber gleichwohl von migrantischen „Fremden“ begangen worden war.
Und schließlich „Aus dem Tagebuch des Reiner Wandt (63 Jahre, Frührentner)“, in dem der Autor – ganz aktuell auf die Corona-Pandemie bezogen – offensiv mit unkorrekten Äußerungen spielt, um genau das herauszuarbeiten, was uns zur Zeit alle beschäftigt: die halsstarrige Borniertheit von halbgebildeten Idioten, die trotzdem weit den Mund aufreißen.

Natürlich gibt es auch Texte, die ich nicht so toll fand – eigentlich ganz normal in einem Kompendium. „Wollust in Zungen“ zum Beispiel fand ich wenig prickelnd, obwohl die „Errrotik“ nicht zu kurz kommt. Zu langatmig über fast 20 Seiten, und wieso in den Text Emojis eingefügt sind (wofür offenbar eine eigene Mitarbeiterin des Verlags beschäftigt wurde), die aber weiter keine Funktion haben, als das jeweils letzte Wort des Satzes einigermaßen zu illustrieren, hat sich mir nicht erschlossen.

Kommen wir zum Schluss: Ich nehme an, dass Jan Off viele der hier versammelten 26 Texte schon auf die Bühne gebracht hat. Einigen merkt man an, dass sie eigentlich eher gehört als gelesen werden sollten. Dazu zählen auch die fünf lyrischen Stücke – eigentlich komprimierte Geschichten, die ihren Reiz aus dem Ungesagten beziehen.
Was bleibt? Vielleicht hatte das alte Lästermaul Georg Christoph Lichtenberg ja so etwas Ähnliches gelesen, als er schrieb: „Wer zwei paar Hosen hat, mache eins zu Geld und schaffe sich dieses Buch an.“ Nun geht es hier in diesem Fall um den Gegenwert von, sagen wir, einem Schnitzel mit Pommes, Bierchen dazu, Obstler hinterher, einschließlich Trinkgeld – die Investition von 16 Euro könnte sich lohnen. Dafür gibt es eine Sammlung flott geschriebener Geschichten, über die man sich prächtig amüsieren kann; und wenn einem bei den ernsthaften Texten die bittere Message im Hals stecken bleibt, hat sich das mit dem Appetit sowieso erledigt.
Was mich betrifft: ich nehme die Lektüre als Anreißer; wenn die Kultur in diesem Land mal wieder richtig funktioniert, und Jan Off kommt zu einer Lesung in meine Gegend, dann gehe ich hin.

Netfinder:
Der Internetauftritt des Autors: http://jan-off.de/
Auf https://de.wikipedia.org/wiki/Jan_Off gibt es Informationen über den Autor und ein ausführliches Werkverzeichnis von 1996 bis heute mit bibliografischen Verweisen.
Auch auf den Ventil Verlag, in dem etliche von Jan Offs Büchern erschienen sind, sei am Schluss wegen seines vielversprechenden, breitgefächerten Verlagsprogramms noch hingewiesen: https://www.ventil-verlag.de/

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