Der nützliche Idiot
Kommentar von Walther
Eigentlich, so möchte man meinen, ist das kommentierende Begleiten aktueller Politik nicht gerade Aufgabe eines literarisch ausgerichteten Feuilletons. Wer recherchiert, findet im Weltweitweb ein Taschenbuch mit dem klingenden Titel „Der nützliche Idiot: Wahnsinn und Initiation bei Jean Paul und E.T.A. Hoffmann (Berliner Beiträge zur neueren deutschen Literaturgeschichte)“ aus dem Jahr 1984, verfasst von Reiner Matzker. Der Untertitel lautet „Wahnsinn und Initiation bei Jean Paul und E.T.A. Hoffmann“.
Es gibt viele, die der festen Ansicht sind, das Leben selbst schriebe die besten Satiren. Schließlich haben die Nazis, allen voran Josef Goebbels, wie Herr Höcke ein Intellektueller, nie einen Hehl daraus gemacht, dass und wie sie die Demokratie zu zerstören gedächten. Es lag und liegt immer in der Eitelkeit der Steigbügelhalter – der nützlichen Idioten – begründet, dass die Strategie aufgeht. Die Vernunft gebietet nur auf den ersten Blick, dass Stimme Stimme wäre. Schließlich würde niemand ein mit Arsen versehenes Mon Cherie Pralinee zu sich nehmen, nur weil es gleich aussieht wie eines ohne. Der Kluge äße vorsichtshalber keins, wenn sie gemeinsam gereicht würden.
Es gibt also durchaus viel kulturell und literarisch Wesentliches und Wesenhaftes an dem, das am Mittwoch, den 5. Februar 2020, um die Mittagszeit herum im Landtag von Thüringen geschah, und es ist sicher, dass Deutschland und seine Geschichte später einmal in ein Vorher und ein Nachher eingeteilt sein wird. Auch wenn das vielleicht ein wenig sexistisch anmutet, aber eine Jungfrau kann nur einmal fallen. Das mag man bzw. frau nicht für relevant halten, der Gender-Konnotation halber, aber es beschreibt sehr bildhaft das, das in dieser Wahl geschah: Ein Zurück gibt es nicht. Von einem Dammbruch zu sprechen, ist ein falsches Bild, denn ein Damm lässt sich wieder reparieren.
Es geht also wie immer um Urmenschliches: um Eitelkeit, Dummheit, Macht, Ideologie, Glaube, Wahrheit. Und es wird alle Elemente beeinhalten, die uns bereits die griechische Tragödie aufgezeigt hat. Wir werden Teil der Aufführung und täuschen uns im Glauben, wir wären nur Publikum. So wie wir das immer tun, wenn es unangenehm wird und das Zuschauen selbst bereits gefährlich werden könnte. Es gehört zu den großen Selbstlügen, die, nachdem die Hitlerei unterging, grassierten: der Mitläufer, der Zuschauer also, wäre ohne Schuld und – wenn später geboren – auch ohne Verantwortung. Dem ist nicht so, weil das alte Sprichwort „Mitgegangen mitgefangen“ keine Einschränkung kennt.
Leider brauchen wir gar nicht so weit zurückzugehen, um dieses Phänomen zu entdecken. Auch nach dem Ende der DDR besteht diese Ansicht in weiten Kreisen. Und wer feststellt, dass sich beide Fehleinschätzungen bei der Ministerpräsidentenwahl im Thüringer Landtag überlagert haben könnten, der mag einen der Gründe für das Ergebnis erkannt haben. Die Spitze der Realsatire liegt jedoch im Faktum verborgen, dass ausgerechnet ein Liberaler das Sterbeglöcklichen der deutschen Nachkriegsrepublik geläutet haben könnte. Und das, weil er wegen seiner Eitelkeit und seiner Respektlosigkeit vor dem, was den wirklichen Republikaner ausmacht, es Herrn Höcke und Konsorten ermöglichte, in seiner Gestalt die ganze Republik vorzuführen.
Denn wäre er echter Republikaner, ein lupenreiner Demokrat also, gewesen, hätte er die Vereidigung zum Ministerpräsident abgelehnt und die Wahl nicht angenommen. So aber wird er als der nützliche Idiot des Herrn Höcke in die Geschichte eingehen. Darauf gibt es Brief und Siegel.