Der Osterwitz von Flammersheim
von Anette Dodt
Jetzt war es schon fast ein halbes Jahr her, dass der alte Pfarrer Müller gestorben ist. Beim Rosenschneiden hatte er sich eine Blutvergiftung zugezogen, und, obwohl die Ärzte alles Menschenmögliche getan hatten, musste sich der alte Mann sich zuletzt doch von dieser Welt verabschieden.
„Rosenschneiden“, dachte sein Kollege Habermuckel, „ha, Rosenschneiden! Also wenn ein Pfarrer für so etwas Zeit hat, dann taugt er sowieso nicht mehr für sein Amt.“
Pfarrer Winfried Habermuckel war jung und dynamisch. Montags hatte er frei, aber an allen anderen Tagen sah man ihn ausschließlich beim Organisieren, Strukturieren, Motivieren und Aktivieren. Nun, wo der kleinen Gemeinde Flammersheim der Pfarrer sozusagen durch die Rosenpflege abhandengekommen war, hatte Habermuckel die Vertretung übernehmen müs-sen. Die Kollegen teilten das Kirchspiel unter sich auf, und ihm war das 300-Seelen-Dorf zu-gefallen.
Leider hatte sich die Dorfgemeinde als hartes Los für ihn entpuppt. Die Leute dort waren un-glaublich. Wenn er sonntags den Gottesdienst hielt, schauten die Kirchenbesucher staunend zur Kanzel hoch, als wäre Habermuckel das Krokodil aus dem Kasperletheater. Wollte er die Dinge auf den neusten Stand bringen, stand ihm ein unüberwindliches Bollwerk aus Traditio-nen entgegen.
„Ach, Herr Pfarrer, machen wir es doch lieber so, wie wir es gewohnt sind und wie wir es ger-ne haben.“
Gut, man musste zugeben, dass kirchliche Veranstaltungen sehr gut besucht waren, aber es kamen doch nur immer wieder dieselben Gesichter.
Am Ostermorgen um halb acht stieg Pfarrer Winfried Habermuckel schweren Herzens in sein Auto, um den Ostersonntagsgottesdienst in Flammersfeld zu halten. Alles, was er im Vorfeld dem Kirchenvorstand an Neuerungen vorgeschlagen hatte, war an der Sturheit der Flammers-felder abgeprallt. Ein Osterfeuer vor der Kirche durfte nicht sein, neue Lieder waren uner-wünscht, die Idee, das Osterevangelium in griechischem Urtext zu lesen, wurde rundweg ab-gelehnt, Osterbildchen oder -bänder waren überflüssig, ja, es gab nicht einmal eine Osterkerze.
Aber Winfried gab nicht so schnell klein bei. Die Predigt war seine Sache, und da konnte ihm niemand dreinreden. Er würde einen Osterwitz erzählen, und er hatte den Gottesdienst ent-sprechend im Blättchen ankündigen lassen: 8 Uhr Gottesdienst mit Abendmahl und Oster-witz. Wahrscheinlich würden die Flammersfelder seinen Scherz nicht verstehen, womöglich würden sie sowieso niemals in ihrer Kirche lachen oder applaudieren.
„Meinetwegen“, seufzte er, „dabei finde ich den Witz richtig gut, von dem Mann, der so fest an die Wiedergeburt glaubt, dass er sich selbst in seinem Testament als Alleinerben einsetzt.“ Er, Pfarrer Winfried Habermuckel am Ostersonntag in der Kirche zu Flammersfeld, das war das sprichwörtliche Perlen vor die Säue-Werfen.
Im Dorf angekommen traf er dann auf die üblichen Kirchenbesucher mit den gewohnten stumpfen Gemütern. Wenigstens der Altar war üppig mit Narzissen geschmückt, und als man, so wie man es immer gemacht hatte, stehend und voller Inbrunst „Christ ist erstanden“ nach dem Evangelium gesungen hatte, war es Winfried doch wenigstens ein bisschen feierlich zu-mute gewesen.
Nun kam also die Predigt. Oben auf der Kanzel begann Winfried seine Ansprache mit dem alten Ostergruß „Der Herr ist auferstanden“. Aber was war das? Anstatt der erwarteten Ant-wort „Er ist wahrhaftig auferstanden“, drang zuerst ein Kichern der Küsterin in Habermuckels Ohren, dann das meckernde Lachen der alten Witwe Schmidt und schließlich hallte sogar noch das dröhnende „Hohoho“ ihres Sohnes Bruno von den Kirchenwänden wider. Die ganze Gemeinde brach lauthals in schallendes Gelächter aus.
Winfried verlor die Nerven.
„Falsch“, rief er laut von der Kanzel, „falsch, viel zu früh, der Witz kommt erst noch.“
Verzweifelt brüllte er gegen das Lachen an: „Nein! Hört auf. Es ist falsch. Dass der Herr auf-erstanden ist, ist nicht lustig, das ist eine ganz ernste Sache.“
Aber gegen das Wiehern, Prusten und Keuchen der Flammersfelder war nicht anzukommen. Winfried war vor Wut ganz flau im Magen geworden, und er musste sich auf die Stufen der Kanzel setzen. Nach einer Weile hörte er, wie Ortsbürgermeister Heck das Wort ergriff: „Lie-ber Herr Pfarrer, dass Christus uns durch seinen Tod von unserem Elend der Vergänglichkeit erlösen musste, ja, das ist eine ernste Sache. Aber dass er dann ins Leben zurückgekommen ist, dass er den Tod hinters Licht geführt und besiegt hat, und dass wir Anteil an diesem unver-gänglichen Leben haben dürfen, ist der herrlichste Witz der Menschheitsgeschichte. Darüber dürfen und sollen wir lachen und uns freuen. Ostern, das ist die Zeit, in der wir uns vor Scha-denfreude gegenüber Sünde, Tod und Teufel kringeln dürfen. Liebe Gemeinde! Lacht, lacht, bis ihr keine Luft mehr kriegt, möge unser Lachen anhalten in Freud und Leid unseres Daseins bis mindestens zum nächsten Karfreitag. Und jetzt machen wir es so wie jedes Jahr.“
Winfried hörte zwischen dem immer noch anhaltenden Gegluckse ein Scharren, Rascheln und Sich-Zurecht-Setzen. Und dann gab einer nach dem anderen aus der Gemeinde in festgelegter Reihenfolge einen Witz zum Besten. Die vierjährige Hanna erzählte kichernd, was die Folge davon war, dass Adam von der verbotenen Frucht gegessen hatte, zur Strafe musste er dann nämlich Eva zur Frau nehmen. Petrini, der Kellner in der Pizzeria „Roma“ seines Onkels war, berichtete wie einer nach einer Romreise gefragt wurde, ob er denn auch die sixtinische Kapel-le gesehen habe, und der geantwortet hatte: „Ne, die muss wohl gerade auf Tournee gewesen sein.“
Und die Witwe Schmidt schilderte, dass einer in Schiedsrichterklamotten ans Himmelstor kommt, nach seinen Sünden gefragt wird und gesteht, dass er bei einem Fußballspiel Italien – England einen falschen Elfmeter gepfiffen hat. Und als Petrus ihn fragt, wie lange das her ist, antwortet der Schiedsrichter: „30 Sekunden.“
Das Gelächter schien kein Ende nehmen zu wollen. Als Winfried schließlich verwirrt und gleichzeitig ergriffen von der Kanzel herunterkam, um in die Stadt zum eigentlichen 10-Uhr-Ostergottesdienst aufzubrechen, wurde er genötigt, seinen Witz dann ebenfalls noch zu erzäh-len.
„Der war gut“, hörte Habermuckel die Küsterin noch krakeelen, als er dann leicht angeschla-gen die Kirchentür hinter sich zuzog.
Draußen blieb er stehen, atmete die Frühlingsluft und schaute in den Himmel. Dann endlich brach es sich Bahn in ihm, zart und unwiderstehlich, sein eigenes, Pfarrer Winfried Habermu-ckels Osterlachen, und es klang mit aller Macht wie ein wundersamer Frühling, auf den man nach einem harten, langen Winter fast nicht mehr zu hoffen gewagt hatte.
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