Die Puppenmacherin
von Carina Huestegge
„Na, du siehst aber aus wie ein richtiger Junge,“ lachte Karin.
Daniels Miene änderte sich nicht. Sie lächelte ihn an und drückte ihre Tasche näher an sich. Anschließend nahm sie einen Schluck aus der kleinen Tasse, die vor ihr stand. Der Ellbogen des Jungen ging nach oben, dann hob sich sein rechtes Handgelenk. Langsam drehte sich die Handfläche Richtung Zimmerdecke. Darin befand sich ein Geschenk. Die Frau schaute Daniel an und fragte: „Ist das für mich?“. Der Junge nickte langsam, indem sein Kopf drei Mal von oben nach unten ging. Es dauerte einen Moment, dann blitzte ein Lächeln im Gesicht der jungen Frau auf. Sie nahm das Päckchen aus der kleinen Hand und legte es auf ihrem Schoß ab.
„Mein Name ist Karin. Ich bin hier, weil ich schauen wollte, ob es dir und deiner Mutter gut geht.“
Daniels Zeigefinger ging nach vorn, dann der gesamte Arm. Er zeigte auf das Paket. „Mach auf.“
Karin schaute in sein Gesicht und senkte den Blick auf das kleine Geschenk in ihrem Schoß. Es war in eine Serviette gebunden. Sie öffnete es und nahm zwei kleine, weiße Porzellanhände heraus. Karin betrachtete sie einen kurzen Moment und schaute dann in die Puppenecke. Die eine Seite des Wohnzimmers war voller Marionetten und Puppen, die saßen, standen oder lagen und das Geschehen im Wohnzimmer beobachteten. Viele von ihnen hatten Hände, wie die, die Karin vor sich hatte. Das Geschenk legte sie auf dem Tisch ab, kratzte sich an der Stirn und sah dann wieder hoch. „Frau Lehmann, kann ich Ihnen eine Frage stellen?“
Eine stämmige Frau sah an Daniel vorbei. Der Junge saß auf ihrem Schoß. „Aber natürlich“, entgegnete sie warm lächelnd. „Was kann ich für Sie tun?“
„Ich kann Sie nicht gut sehen. Wollen wir Daniel vielleicht von Ihrem Schoß nehmen, damit wir uns besser unterhalten können?“
Frau Lehmann lächelte Karin freundlich an. „Ich denke, das wird nicht nötig sein.“
Karin senkte den Blick und schaute anschließend in die Puppenecke. Dann schaute sie Daniel freundlich an: „Möchtest du nicht hier neben mir auf dem Sofa sitzen?“ Sein Kopf drehte sich von links nach rechts und zurück. „Okay, dann wird es so gehen müssen. Frau Lehmann, ich würde gerne von Ihnen wissen, wie es Ihnen und Daniel geht?“
Die Puppenmacherin lehnte sich zur Seite: „Uns geht es sehr gut. Nicht wahr, Daniel?“ Daniel nickte. „Ja, uns geht es sehr gut.“
„Ich bin hier, weil ich mal schauen wollte, ob sie vielleicht Unterstützung brauchen. Ihre Selbstständigkeit mit ihrer Puppenmanufaktur wird Ihnen viel Zeit abverlangen, habe ich recht?“
Die rundliche Frau lächelte. „Nein, nein. Meine Arbeit macht mir Spaß.“
Sie nahm einen Keks vom Keksteller und steckte ihn Daniel in den Mund. Daniel lächelte und kuschelte sein Gesicht seitlich an die Brust der Mutter. Frau Lehmann lachte: „Bekommst du noch Luft?“ Daniel reagierte auf die Frage nicht. Da nahm sie ihn hoch und drehte ihn einmal herum.
Als Karin dem Jungen ins Gesicht sah, sprang er kurzerhand vom Schoß herunter. Das irritierte seine Mutter offenbar. „Hast du Hunger? Musst du mal?“
Daniel nickte intensiv. Frau Lehmann sprang vom Stuhl, nahm ihn an die Hand und führte ihn aus dem Wohnzimmer. Die Besucherin blieb auf dem Sofa zurück.
Nach ein paar Minuten kam die Frau ohne den Jungen zurück. „Entschuldigen Sie bitte. Kinder. Sie wissen schon. Möchten Sie noch etwas Kaffee oder etwas anderes?“ Sie lächelt, beugte sich vor und nahm eine weiße Fluse von Karins Schulter und steckte ihn in ihre Hosentasche.
Karin lehnte sich etwas zurück und kniff die Augen leicht zusammen. „Ich werde jetzt mal mit der Sprache herausrücken. Ich habe einen Hinweis bekommen, dass es Ihnen derzeit wohl nicht so gut geht, deshalb bin ich gekommen. Das ist mein Job. Ich unterstütze Menschen, die Hilfe benötigen.“
Frau Lehmann blickte zur Tür. „Wissen Sie, ich höre Daniel eben nach mir rufen. Ich bin sofort zurück.“ Frau Lehmann lief so schnell es ihre Beine erlaubten zum Badezimmer. Nach einiger Zeit kam sie zurück. Zwischenzeitig war sie wohl in der Küche gewesen. In der Hand hatte sie neue Kekse und eine Kanne Kaffee. Sie schüttete noch etwas in die fast volle Tasse, die vor der Besucherin stand, stellt die Kanne auf dem Tisch ab und setze sich auf den Stuhl.
„Wie schön, dass Sie vorbeigeschaut haben.“ Sie schaute kurz zur Zimmertür, dreht sich langsam zurück und flüsterte: „Es ist halt viel zu tun.“ Dann drehte sie sich herum und rief: „Daniel, ich komme gleich.“ Ihr Blick blieb eine Weile auf die Tür gerichtet. Es war nichts zu hören. „Daniel?“ Frau Lehmann stöhnte, stand auf und ging ins Badezimmer. Nach ein paar Minuten lief sie mit Daniel auf dem Arm in sein Kinderzimmer.
Karin nahm ihre Tasche und folgte der Puppenmacherin.
„Möchtest du mit der Eisenbahn spielen?“ fragte die Mutter den Jungen. Sie steckte ein paar Holzgleise ineinander und legte sie vor Daniel auf den Boden. Sie nahm einen Zug aus einer Kiste und stellte ihn auf die Gleise. Daniel regte sich nicht, starrte auf das Spielzeug. Er hob langsam seinen Zeigefinger. Seine Mutter gab ihm einen Kuss auf die Stirn und bewegte den Zug vor und zurück. „Du hast sicher Hunger, mein Liebling,“ fiel der Mutter ein. Sie stand auf und ging in die Küche vorbei an Karin.
Daniel saß auf dem Boden, sein Blick war leicht gesenkt. Seine Arme und Beine hingen schlapp herunter. Plötzlich schaute er Karin an und lachte. Sie erschrak. Auf den Jungen starrend, legte sie den Kopf zur Seite und runzelte die Stirn. „Ich bin mir nicht sicher, ob du ein richtiger Junge bist.“ Daniel streckte die Zunge raus. „Aber du siehst aus wie einer,“ sagte sie, dann ging sie.
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