Die Unbezähmbaren
Rezension von Claudia Grothus
Cornelia Koepsell, “Die Unbezähmbaren”, Geest-Verlag, Visbek 2023, ISBN 978-3-86685-3, 250 Seiten, Taschenbuch, € 13,80
Zu Beginn dieses Buches mit dem vielversprechenden Cover folgen wir spotlightartig den Erinnerungen des kleinen Mädchens Luise aus den 1950er Jahren. Die Eltern sind Vertriebene, die innerhalb kürzester Zeit von wohlhabend und einflussreich in bettelarm und ausgegrenzt abgestürzt sind. Man wird bescheiden, freut sich über Urlaub am nahen Ostseestrand. Luise ist einsam, wird in der Schule gehänselt und leidet unter einer Gesellschaft, einer Zeit, die sie nicht versteht.
Zum Glück ist da ihre Tante Frieda, eine alleinstehende Frau, die ihre Generation gnadenlos hinterfragt. Frieda bringt das Kunststück fertig, die weiblichen Lebensrealitäten der Sechziger auf den Hintergrund des 2. Weltkriegs zu pausen und zu erkennen, warum alles so ist, wie es ist. Warum sich zum Beispiel Luises Lehrerinnen so hart und abweisend, ja sogar grausam verhalten: Sie sind zum Kriegsende den Russen in die Hände gefallen. Und Frieda spricht ihrer inzwischen zum Teenager herangewachsenen Nichte gegenüber aus, was damals niemand zu sagen bereit war: Was die russischen Besatzer wirklich mit den Frauen gemacht haben.
Luise und Frieda sind einander Zuflucht und Inspiration. Sie fassen ihre Fragen und ihre Wut in Kurzgeschichten, die sie sich gegenseitig vorlesen, die aber in der Schule Unmut erregen: So etwas schreibt man nicht! Und wenn die beiden an die Grenzen ihres Verständnisses stoßen, wenn sie nicht mehr weiterwissen, dann backen sie zusammen Kuchen.
Frieda pflegt einen ausgeprägten Männerhass, der sich insbesondere auf Machtstrukturen und die damals übliche Bevormundung von Frauen bezieht. Und doch verliebt sie sich in ihren Chef und duldet die ganze Bandbreite der männlichen Ignoranz und Überheblichkeit.
Etwas später gibt es einen Bruch im Buch. Luise blickt mit Mitte Fünfzig zurück. Sie entdeckt, dass Erwachsene aus ihrer Kindheit alte Nazis waren, dass die Ideologie des Dritten Reichs nach dem Krieg ungebrochen in den Schulen, den Behörden und Familien weitergelebt wurde. Dass das große Schweigen ihrer Elterngeneration, die Gefühlskälte, die Fixierung auf Ordnung und Konsum nichts anderes waren, als die ständige, krampfhafte Abkehr von Erinnerungen. Eine traumatisierte Generation hat eine wurzellose Generation großgezogen.
All dies sind wichtige Themen für das Verständnis unserer heutigen Zeit. Nicht nur für die neurotischen Verhaltensweisen der Kriegskinder und Kriegsenkel, sondern auch zur Verdeutlichung dessen, welch tiefgreifende gesellschaftliche Wunden die Herrschaftsform des Nationalsozialismus nach sich zieht.
Es muss aber auch ein Wort zur Sprache von „Die Unbezähmbaren“ gesagt werden. Sie ist absolut authentisch für die sechziger Jahre. Wer Kriegskinder als Eltern hat, erkennt es sofort wieder. So redete man damals. Und damit meine ich nicht nur die Wortwahl, die typischen Ausdrücke und Phrasen. Ich meine eine verhaltene Sprache, die immer nur distanziert über etwas erzählt, die nie das wirkliche Empfinden der Protagonistinnen erlebbar macht. Will sagen: Das Buch ist gut und flüssig zu lesen, aber man hat das Gefühl, in das unbeholfene Tagebuch einer Fünfzehnjährigen zu schauen. Die Sprache ist plakativ, geprägt von Naivität, voller Phrasen und Wiederholungen. Diese Authentizität muss man akzeptieren.
Männer jeder Generation kommen in „Die Unbezähmbaren“ pauschal ganz schlecht weg. Bei aller vollkommen berechtigten und belegten Kritik und Empörung über die schwierigen Bedingungen der Frauen im Wirtschaftswunder, wäre ein kleines Bisschen mehr Differenziertheit schön gewesen. Mitgefühl erhalten Männer in diesem Buch nur, wenn sie von Nazis ermordet oder vom Vater misshandelt wurden. Alle andern männlichen Personen stellen sich früher oder später als Totalversager und schlechte Menschen heraus. Das Credo lautet: Frauen, lebt am besten ohne Männer, denn Ehe und Partnerschaft bedeuten zwangsläufig Unterdrückung, Abhängigkeit und womöglich Gewalterfahrungen.
Ja, die Frauen hatten im Deutschland der Nachkriegszeit bis weit in die Siebziger viel zu wenige Rechte und wurden massiv klein und dumm gehalten. Das sind unbestrittene und bittere Tatsachen. Die Frauenbewegung hat einiges geleistet, damit wir da ankommen konnten, wo wir heute sind (und wo wir noch lange nicht genug erreicht haben).
„Die Unbezähmbaren“ klagt dieses Leid stringent von Anfang bis Ende durch, ohne Lösungen anzubieten.
Diese Einseitigkeit nervt!
Man wird der Glorifizierung der Tante Frieda schnell überdrüssig. Zumal die von Frieda verfassten Kurzgeschichten, die immer wieder den Text unterbrechen, keine wirklichen Highlights darstellen.
Ich habe in diesem Buch vergeblich die „Unbezähmbaren“ gesucht. Am Schluss hat Luise zwar durchgesetzt, dass sie unverheiratet, ja sogar ohne jede Beziehung zu einem Mann lebt, aber ihre Situation hat schon in jungen Jahren mehr mit Verbitterung als mit Zufriedenheit oder gar Glück zu tun. Es geht ihr so schlecht, dass sie sich permanent in Fantasiegespräche mit der inzwischen längst gestorbenen Frieda flüchtet. Sie klagt der toten Tante ihr Leid in ständig wiederkehrenden Schleifen und das Buch findet einfach keinen Ansatz eines „hin zu“ anstatt „weg von“.
Alles in allem ist „Die Unbezähmbaren“ ein seltsam distanziertes Buch, das voller Empörung und Bitterkeit in authentischer Sprache, eine Zeit repräsentiert, in der die ersten verbotenen Fragen laut ausgesprochen wurden – aber keine Antwort erhielten.
Die Sachinhalte, die Analyse der Situation von Frauen in der Nachkriegszeit, sind wichtige Themen, die nachvollziehbar und gnadenlos auf den Punkt gebracht werden. Aus dieser Perspektive ist „Die Unbezähmbaren“ absolut lesens- und empfehlenswert. Es ist zusammenfassend eine flüssig lesbare, etwas einseitige und sich sehr bald in Wiederholungen ergehende Auseinandersetzung mit einer traumatisierten Generation, die zu keinem Fazit führt, sondern in Frustration strandet.
Aber auch hier findet sich wieder Authentizität: Denn genau so erleben wir das Lebensresumé vieler, jetzt sehr alter Frauen, denen wenig anderes blieb, als sich in Konsum, Schweinebraten, gebügelte Tischdecken und goldgeränderte Kaffeeservices zu flüchten.
In diesem Sinne ist „Die Unbezähmbaren“ mehr als gelungen.