Dürrejahre
von Karina Luger
Es regnet nicht mehr. Vier Jahre Dürre in Folge.
Auch in diesem vierten Jahr kündigt sich eine kümmerliche Ernte an. Es regnet nicht mehr, und das mitten in Europa. Alle wissen es, alle sind davon betroffen. Die Medien sind darum bemüht, Zuversicht zu verbreiten aber an den vierten Super-Jahrhundertsommer in Folge glaubt schon lange keiner mehr. Die Katastrophe kann niemand mehr leugnen.
Die klamme Erkenntnis ist auch bei den Leuten in den Siedlungshäusern am Rand des Dorfes angekommen. Katastrophe. Trockenheit. Dürre. Dürrekatastrophe. Ihre Swimmingpools bleiben dieses Jahr wieder leer, der englische Rasen ist Geschichte. In den Städten ist es glühend heiß. Jetzt schon, im Mai. Die Leute fliehen in die klimatisierten Einkaufszentren. Die Freibäder werden gestürmt.
Politiker und Experten geben sich die Mikrofone in die Hand. Viele Pläne, Ideen und Gequatsche, wenig Taten. Hauptsächlich Verbote. Keine Pools befüllen, nicht das Auto waschen, den Garten nicht gießen, selbst beim Duschen Wasser sparen. Daneben Horrorbilder von leeren Stauseen, abgeschmolzenen Gletschern, Äckern mit handbreiten Rissen im Boden.
So schlimm ist es auf Roberts Feldern nicht. Trotzdem ist es schlimm genug. Die Wintergerste wird er demnächst ernten. Es gab zweimal Gewitterschauer, die haben das Allerschlimmste verhindert. Trotzdem sind die Körner klein und wenige. Was aus dem Weizen wird? Mit Glück eine geringe Ausbeute. Ganz sicher kein Brotgetreide. Das braucht einen gewissen Proteingehalt und den erreichen die Körner mit Sicherheit nicht. Getreide für den Eigengebrauch. Nicht für den Verkauf.
Die Gewissheit des möglichen Unterganges seines Hofes lässt Robert nicht mehr schlafen. Wochen, Monate schon drehen sich die Gedanken in seinem Kopf wie Mühlräder. Wenn er in der flimmernden Hitze über seine Felder schaut, denkt er wieder: „Wir müssen etwas tun. Wir Bauern. Die wenigen, die es noch gibt. Es muss bald geschehen. Gleich nach der Ernte.“
Im Winter gibt es Niederschläge. Einmal mehr, einmal weniger aber doch. Ab dem Frühjahr ist es trocken. Mit der Hitze wird die Lage beängstigend. Als er sich von den kargen Halmen abwendet, hat er eine Entscheidung getroffen. Andrea weiß von den Themen, die ihn beschäftigen. Als er ihr von seinem Vorhaben erzählt, ist sie lange still. Schließlich nickt sie, sieht ihn an und sagt: „Das finde ich gut. Das machen wir.“ Damit steht der Entschluss fest. Die Entscheidung für eine radikale Änderung ist endgültig gefallen. Je länger er mit seiner Frau darüber diskutiert, desto konkreter werden die Dinge.
Irgendwann streckt Max seine langen Beine unter Roberts Küchentisch aus und hört sich die Sache an. Sie kennen einander schon lange, wohnen in derselben Gemeinde. Ihre Ställe sind zur Hälfte leer. Sie konnten ihre Tiere nicht mehr füttern, haben sie verkauft. Für die momentanen Verhältnisse sind die Ställe zu groß.
Wird sich das wieder ändern? Wird alles wieder „normal“ werden? Wann? Für wie lange? Worauf kann man bauen?
Auch Max hat große Angst.
Auch er schweigt, als Robert ihm von seinen Plänen erzählt. Schließlich schüttelt er den Kopf, ringt sich ein ungläubiges Lächeln ab und sagt: „Du bist bescheuert. Du bist total bescheuert.“ Robert lehnt sich zurück, blickt Max fest an und sagt: „Aber es ist der einzig richtige Weg. Der einzige, Max.“
Seit zwei Jahren treibt ihn die Dürre um, der Wassermangel. Nächte hat er im Internet gesurft, jedes verfügbare Buch zu dem Thema gelesen.
Er weiß, Humus bindet Wasser im Boden. Bleiben Erntereste am Feld, verringert das die Verdunstung. Über agroökologische Anbaumethoden hat Robert sich schlau gemacht, über Klimaresilienz und Agroforstmethoden. Die Suche nach einem Ausweg aus dem Trockenheitsdesaster lenkt ihn von den Zuständen auf seinen Feldern ab. Er hat das Gefühl, er kann etwas tun, aktiv sein, muss nicht nur zusehen, wie sein Getreide verdorrt, das Gras verbrennt.
Es gibt einen Ausweg. Andrea teilt seine Meinung. Auch wenn die Ideen auf den ersten Blick verrückt erscheinen. Aber es könnte funktionieren. Robert ist sich fast sicher, es wird funktionieren. Aber die Sache braucht Mut. Mut zu etwas Neuem aber eigentlich ganz Altem.
Er will seine Felder zersplittern. Aufteilen. In viele unregelmäßige, kleine Teile zerschlagen. Jahrzehnte war den Bauern gesagt worden, je größer die Flächen, desto besser für alle. Damals war das ja unter Umständen auch richtig gewesen. Bessere Bewirtschaftbarkeit, mehr Erträge. Getreidefelder am besten bis zum Horizont. Ohne Unterbrechung. Ohne Baum dazwischen, ohne Gesträuch, Gehölz, ja selbst ohne einen Streifen Wiese. Ohne Hindernisse für den Traktor.
Robert will seine Felder zerkleinern. Er will mäandernde Gräben ziehen, die bei starkem Regen das Wasser in flache Teiche führen. Auch wenn sie im Sommer austrocknen, versickert das Wasser doch langsam, netzt es den Boden. Baumreihen will er pflanzen, Haine mitten im Feld, Gebüschinseln, Grasstreifen will Robert anlegen. Zwar nicht auf allen seinen Feldern, aber auf den zwei ganz großen.
„Und wenn es ganz schlimm kommt,“ sagt er „pflanze ich mitten in der Wiese Bäume. Wie Sonnenschirme. Nussbäume vielleicht. Aber nicht nur. Eine Streuobstwiese hat man das früher genannt. Was hältst du davon?“
Max schüttelt nur den Kopf, kommt mit dem Denken nicht nach. „Alter, warst du zu lange in der Sonne, oder was? Wie willst du das denn bewirtschaften? Willst du mit dem Trecker um jeden Baum herummähen?“
„Wir müssen raus aus zu viel Sonne. Wir müssen ganz viel ändern.“
Robert lässt sich nicht beirren. Er hat sein Konzept durchdacht.
Das Wetter ist radikal. Er will der Misere radikal begegnen. Er hat sich angeschaut, wie die Menschen im Süden das machen. Kleinteilige Landwirtschaft und Produktion großenteils für den Eigengebrauch hat dort aus unfruchtbaren, erosionszerstörten Böden Gärten und Äcker wachsen lassen.
„Ich weiß, es ist viel für dich.“, sagt er zu Max. „Es ist ganz und gar konträr zu dem, was wir gelernt haben. Es ist so verrückt anders, dass wir es im Kopf kaum aushalten, aber es ist richtig.“
15 weitere Hektar will Robert in Parzellen teilen. Es wird davon verschiedene Größen geben. Leute ohne Landbesitz, aus den Wohnblöcken am Dorfrand oder auch aus der Kreisstadt, werden sich eine Parzelle mieten können.
„Du zersplitterst deine schönen Felder, damit sich fremde Leute Gärten daraus machen?“ Max kann es kaum fassen.
Robert beugt sich vor, legt beide Hände auf den Tisch. „Die kommen sowieso. Glaub mir. Wenn ich meinen Boden nicht mit Fremden teile, kommen die sowieso. Die hohen Lebensmittelpreise, die Not wird sie auf unsere Felder treiben, und sie werden uns alles wegnehmen. Eine eigene Parzelle aber, die im Grunde immer noch mir gehört, wird jeder verteidigen. Viele Splitter bilden ein Ganzes. Wir müssen Teile herleihen, um das Ganze zu behalten. So denke ich zumindest. Wir müssen teilen, Max. Aufteilen. Wenn es so weitergeht, und wir wollen nichts hergeben, vordergründig, werden wir am Ende nichts mehr zu verlieren haben. Weil man uns alles wegnehmen wird. Unsere Pächter aber kennen wir. Vielleicht können sie bald auch die Pacht nicht mehr bezahlen, aber wir kennen sie, haben Kontakt zu ihnen. Sie können unsere Freunde werden. Gemeinsam können wir versuchen, aus der Staubwüste, die einmal unsere Felder war, eine Oase zu machen.“
„Und du denkst, dass es so weit kommt?“
„Ich weiß es nicht. In zwei Wochen kann es regnen. und wir sind für dieses Jahr gerettet. Oder auch nicht.“
Es ist dunkel geworden. Antriebslose Fliegen kreisen um die Esstischlampe. Das Fenster steht weit offen, aber es ist so heiß wie vor fünf Stunden. Erst kurz vor Sonnenaufgang wird es etwas kühler werden. Wie die letzten vier Wochen auch.
Es stellen sich noch viele Fragen. Wie will Robert die Umgestaltung bezahlen? Wie lange wird es dauern, bis die Büsche, die Bäume entsprechend gewachsen sind? Werden sie es trotz Trockenheit schaffen? Welche Sorten eignen sich?
Robert träumt davon, dass ihm einige der Pächter auch auf dem Hof helfen. Vielleicht könnte er aus der Milch der restlichen Kühe Käse herstellen, Butter, Joghurt, …
Max schwirrt der Kopf. Er hat ja gewusst, dass Robert sich in letzter Zeit viel mit neuen Konzepten für seinen Hof beschäftigt hat, aber dermaßen einschneidende Maßnahmen hat er ganz bestimmt nicht erwartet. Ehrlich gesagt zweifelt er am Verstand seines Freundes. Haben ihn die Hitze und die Sorgen verrückt gemacht?
Andererseits …
„Ich muss mit Ingrid reden“, sagt Max. „Ich bin so durcheinander, ich werde es ihr erzählen.“
„Hitzeresistente Sorten zu züchten dauert Jahre“, wendet Robert ein. „Darauf können wir nicht warten. Wir können überhaupt nicht weitermachen, wie bisher. Ich werde mir überlegen, Hirse anzubauen. Oder Soja. Da mache ich sicher was in der Richtung. Aber die großen Felder teile ich auf. Im Herbst reiße ich die Drainagerohre aus dem Boden. Ich mache das jetzt. Ich mach die zwei riesigen Felder klein. Die Pläne dazu liegen schon drüben im Büro. Meine Kinder sollen nicht sagen können, der Vater hat nichts gemacht. Es gibt Versuche in diese Richtung, aber im Prinzip ist das ein absolutes Pilotprojekt. Es ist mir eine Herzensangelegenheit. Ein bisschen agro-öko und ein bisschen konventionell. Bodenaufbau, Stallmist, Kompost, Feuchtigkeit so gut wie möglich halten, alte Methoden, neue Sorten und umgekehrt.“
Max atmet tief durch, schnauft. „Du hast keinerlei Erfolgsgarantie. Es kann alles schiefgehen.“
Robert verschränkt die Hände ineinander. „Wie hat der alte Luther schon gesagt? Hier steh ich, und ich kann nicht anders.“
Max stellt die leere Bierflasche auf den Tisch, hebt den Blick hinaus in die Nacht.
„Oft haben gerade die Spinner die Welt einen entscheidenden Schritt vorangebracht.“
Robert lächelt, schaut ihn an. „Bist du mit dabei?“
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