Ein literarisches Brennglas mit Weitblick
Rezension von Stephan Moers
Walther Stonet, UnFake IT, Ein Shirin Meisig Roman in drei Teilen, Frankfurt/Main, Mai 2022, VSS-Verlag, ISBN 9789403664583, 507 Seiten, Paperback, €19,95 (D – Buch)
Walther Stonets Buch kommt zur richtigen Zeit, denn es erzählt eine Geschichte, die genau jetzt in unserer Welt passieren könnte. Und da dieses Jetzt, wie wir es jeden Tag erleben, wohl noch ein bisschen andauert, verliert das Buch wohl auch so schnell nicht an Aktualität. Aber der Reihe nach.
Ein Roman mit einem IT-Thema? Ja und schauen wir uns doch um. So sehr, wie IT unser Leben durchdringt und beeinflusst, ist dieses Thema wichtig. Man muss sich die Frage stellen, warum dieses Sujet nicht öfter herangezogen wird. Aber darüber wird noch zu sprechen sein.
Eine Heldin als Protagonistin? Ja, unbedingt! Freilich hätte der Autor sicher auch einen smarten Informatiker als Hauptfigur einsetzen können, aber schon nach wenigen Seiten des Buches wird einem klar, wie stimmig alles passt und dabei doch keine weit hergeholte Fantasie ist.
Die kluge Shirin Meiser befindet sich in einem Umbruch: Die Eltern sind verstorben, was Trauer hinterlässt, ihr es aber auch ermöglicht, ihren Plan von einem sehr selbstbestimmten Leben zu verfolgen. Gut ausgebildet als studierte Informatikerin und finanziell ordentlich ausgestattet kann sie es sich leisten, als Freelancerin einen kleinen Resthof im Schwarzwald zu erwerben, um hier so zu leben, wie sie es sich wünscht: Zurückgezogen, der Natur nahe und konzentriert auf ihre Arbeit, die gleichzeitig ihre Leidenschaft ist.
Das klingt zuerst recht utopisch, wird von Stonet aber realistisch umgesetzt. Der Elan von Shirin steckt den Leser an, die kauzig-liebenswürdigen Menschen ihrem neuen Umfeld könnte es genau so geben. Einmal mehr verstärkt sich der Eindruck, wie gut der Roman in unsere Zeit passt. Alles läuft wie am Schnürchen, und fast schon macht man es sich als Leser ein wenig zu gemütlich im Text.
Wollte der Autor das so? Vielleicht, denn zwei Ereignisse brechen über die Protagonistin herein und geben dem Roman eine neue Wendung: Einerseits ist es die sich schnell steigernde Zuneigung zwischen dem klugen und stillen Nachbarsohn, Gerd; andererseits tritt unvermittelt das hinzu, was abstrakt gesehen eine der größten Fragen unserer Zeit ist und sich real in beängstigenden Bedrohungsszenarien immer wieder gegen Menschen oder ganze Volksgruppen richtet.
Es geht um die Bedrohung von Menschen durch IT und den daraus erwachsenden moralischen Impetus. Stonet wählt -und wieder werden wir, diesmal schmerzlich, im Hier und Heute begrüßt – als beispielhafte Vorlage den Umgang der chinesischen Regierung mit den Uiguren.
Shirin sieht sich unvermittelt mit der Situation konfrontiert, dass eine ihrer genialen IT-Entwicklungen offensichtlich dazu benutzt wird, die ethnische Minderheit der Uiguren zu unterdrücken und zu kontrollieren. Die sich daraus ergebenen Fragen kommen nicht hochtrabend philosophisch daher. Der Autor gestaltet daraus Überlegungen, Zweifel und letztlich aktiven Widerstand. Die Protagonistin wird dadurch endgültig zur Heldin unserer Zeit und das ganz unpathetisch.
Spätestens ab hier erlangt die Handlung eine actionreiche Dynamik, denn Shirin ist völlig klar, dass sie ihr Können und Wissen zu Gunsten und zum Wohle der Menschen einsetzen will. Dies bringt jedoch enorme Gefahren mit sich, und es entspinnt sich eine packende Geschichte mit Handlungsorten rund um den Globus.
Walther Stonet hat mit „Unfake IT“ einen packenden Roman geschaffen, dessen Handlungsstränge so oder so ähnlich in diesen Augenblicken stattfinden könnten. Eingebettet in die Geschichte hinterfragt er das moralische Mindset der IT. Dürfen wir alles, was wir können und impliziert die Macht etwas zu können auch das Recht es zu tun?
Diese Grundsatzfragen hat Stonet in eine hervorragend erzählte Geschichte gepackt und setzt diese in eine (unsere) Welt, deren Spiegelbild sie ist. Eine ganz klare Leseempfehlung für Stonets jüngstes Werk, dessen toller Erzählstil schnell nach einer Fortsetzung ruft.
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