Ein magisches Abenteuer in den Tiefen des Zylinderkabinetts
Rezension von Oliver Bruskolini
Fabienne Siegmund, Das Zylinderkabinett oder Das Mädchen, das nicht dorthin gehörte, Novelle, Art Skript Phantastik Verlag, Salach 2019, 1. Auflage, ISBN 978-3-945045-49-7, Taschenbuch, 108 Seiten, 7,00€.
Wenn Spielkarten lebendig werden, Tücher durch die Luft flattern, wenn es Tag und Nacht zur gleichen Zeit sein kann und ein weißes Kaninchen echten Mut beweist, dann steckt der Leser vermutlich mitten in Fabienne Siegmunds Novelle Das Zylinderkabinett oder Das Mädchen, das nicht dorthin gehörte.
In einer kurzweiligen Geschichte nimmt Fabienne Siegmund ihre Leser mit auf eine Reise in eine magische Welt. Zu dem Ort, an dem all die magischen Objekte verweilen, ehe sie auf den Bühnen der Zauberer des Paris zu Beginn des vorigen Jahrhunderts Verwendung finden. Der Ort, an dem sie auf all die Wesen und Dinge treffen, die einst magische Auftritte vollführten und nun langsam in Vergessenheit geraten sind. Eine Reise in die Tiefen des Zylinderkabinetts.
Der Protagonist der Novelle ist ein weißes Zauberkaninchen namens Puschkin. Weiß, weil Zauberkaninchen eben weiß sein müssen. Puschkin findet in den Gängen das Labyrinths eine Spieluhr und weiß sofort, dass sie nicht dorthin gehört. Die Spieluhr, eine Tänzerin, leidet unter Gedächtnisschwund und wünscht sich nichts sehnlicher, als sich erinnern und dem unbekannten Ort entfliehen zu können. Es beginnt eine abenteuerliche Reise durch das Zylinderkabinett, bei der es nicht nur Rätsel zu lösen und Gefahren zu überwinden gilt, sondern bei der auch Mut und Freundschaft eine entscheidende Rolle spielen.
Das faszinierende an der Phantastik ist die Fähigkeit, Welten entstehen zu lassen, in die Leser eintauchen können. Welten, die sie vor ihrem geistigen Auge sehen, in denen sie sich schnell zurechtfinden und die den Wunsch wecken, sie mit eigenen Augen zu sehen. Das weiß auch Fabienne Siegmund, die in ihrer Novelle gleich einen kleinen Kosmos voller phantastischer Welten erschafft. So etwa die sagenumwobene Kartestadt:
„Kein magischer Raum, der zwischen den Gängen seine Heimat hatte, war so groß und wundervoll gewesen wie diese Gefilde, in der aus Karten Häuser und Paläste errichtet worden waren. Angeordnet im Kreis, geviertelt in die Bezirke der vier großen Farben. Pik, Karo, Kreuz und Herz“ (S. 56/57).
Fast schon nebensächlich zur tragenden Handlung erfährt der Leser die spannenden und vielschichtigen Hintergründe der vorgestellten Orte und Kreaturen des Kabinetts, von denen es allerhand gibt.
Hier offenbart sich aber auch eine kleine Schwäche der Novelle. Fabienne Siegmund führt eine Vielzahl von Figuren und magischen Orten ein. Durch die Kürze, die eine Novelle so mit sich bringt, fällt es schwer, sich einzufinden. Es gelingt in jedem Fall, allerdings ist das Buch, sobald der Leser vollends im Zylinderkabinett aufblüht, schon wieder ausgelesen. Dafür hallt es mit all seinen Ideen und Farben noch eine Weile nach.
Das Zylinderkabinett oder Das Mädchen, das nicht dorthin gehörte ist in jedem Fall eine unterhaltsame Lektüre für Zwischendurch. Fabienne Siegmund vermag es, den Leser in eine fesselnde Welt zu ziehen, ohne sich extremer Grausamkeiten oder komplizierter Verknüpfungen zu bedienen. Daher eignet sich die Novelle auch oder vor allem für junge Fantasy-Fans, die ihre ersten eigenständigen Ausflüge in fremde Welten unternehmen wollen.