Ein Mensch ist dann wirklich fort, wenn er vergessen wird
Ein Mensch ist dann wirklich fort, wenn er vergessen wird
von Maja Seiffermann
In unserer Gesellschaft wird viel dafür getan, dass Menschen und Ereignisse nicht in Vergessenheit geraten – und das meist zurecht; An jeder Ecke begegnet uns ein Denkmal, eine Gedenktafel oder ein Informationsschild, Stolpersteine, an bedeutenden Geburtstagen längst verstorbener Personen erinnert sogar Google an das Wirken mancher Persönlichkeiten.
Und doch passiert es, dass einst international berühmte Pionier*innen vergessen werden. Oftmals, weil ihre Tätigkeit durch die heutigen Technologien und Möglichkeiten ersetzt oder verbessert wurde.
Sollten wir sie aber deshalb einfach vergessen?
Genau das war auch der Gedanke hinter der Ausstellung und dem Dialoggespräch mit dem Titel Frieda Riess und Yva. Fotografien 1919-1937. „Mit der Ausstellung widmen sich die Opelvillen zwei deutschen Fotografinnen, die, obwohl sie zu den Pionierinnen der Fotokunst zählen, in Vergessenheit geraten sind“ schreibt die Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen in Rüsselsheim.
Von Hotels, Ausstellungen und sinnvollem Fanatismus
Die Veranstaltung war definitiv einen Besuch wert, insbesondere die Ausstellung. Die sorgfältig zusammengestellten Fotos waren zu Gesprächen einladend und reizvoll. Wer sich für die Evolution der Fotografie interessiert, einfach offen für Neues war oder gerne nach Inspiration suchte, hat an diesem Event Gefallen gefunden.
Eine so ausführliche Führung durch Yvas Leben und die Bilder sowie die Zeit (1900-1944), die sie geprägt hat, erhält man zudem nicht jeden Tag.
Zudem lieferte der Abend Anekdoten über ihr durchaus dramatisches Leben: Helmut Newton (1920-2004), fing trotz der knappen finanziellen Mittel seiner Eltern sehr früh seine Lehre bei Yva an. Ein Jahr nach Beginn seiner Ausbildung soll Yva bei seinen Eltern angerufen und ihnen verboten haben, ihr Lehrgeld für ihren Sohn zu schicken, weil er so talentiert sei.
Auch durch Helmut Newton erst erlangte Yva erneut Ansehen nach ihrem Tod; In seiner Biografie schwärmte er von ihr und ihrer Arbeit.
Insbesondere die Faszination der beiden Gäste, Jörn Vanhöfen (Fotograf und Kurator) und Joachim Rissmann (Sammler und Ex-Hotelier), war überragend und ansteckend. Interessant ist, dass Herr Rissmann sich erst mit Yvas Werken beschäftigt, seit er das Hotel führte, in dem sich einst Yvas Atelier befand. Durch seine Recherche und seine Mühe konnten viele Momente rekonstruiert, Werke analysiert sowie Bilder gefunden werden.
Schade an der Veranstaltung nur war, dass Frieda Riess unzureichend behandelt wurde, sowohl in der Ausstellung als auch im Gespräch. Und das, obwohl ihr Name im Veranstaltungstitels mit Yvas Namen gleichwertig war. Jemand Dritten eizuladen, der eine mindestens genauso große Begeisterung für Frieda hätte zutage legen können wie die beiden Gäste für Yva, wäre schön gewesen.
Wer ist Yva?
Mit Yva zu arbeiten muss eine Ehre gewesen sein. Ihre Arbeitsweise, geprägt von schneller Abarbeitung wie am Fließband sowie einem humanen entspannten Umgang mit allen Beteiligten auf der anderen Seite, brachte etwas hervor, das zugleich als Kunst und Werbung galt. Sie vereinte eben das Künstlerische mit dem Gebrauchszweck.
Das es noch keine richtigen Modelagenturen gab, arbeitete Yva mit Tänzerinnen und Schauspielerinnen. Die zu fotografierenden Produkte wurden geliefert, Yva bestimmte, wie das Set aussehen sollte, die Fotos wurden gemacht und kurz darauf wurde schon abgebaut und eine neue Lieferung traf ein.
Yva fotografierte Unmengen an Strümpfen für die Werbemagazine. Beine dienten dabei als Kunstobjekt und die Strümpfe wurden auf ihnen beworben. So schmückten Yvas Arbeiten nicht nur sämtliche Titelblätter der noch neuen Magazine, deren Titelblätter vor kurzem noch gemalt wurden, sondern wurden auch ausgestellt.
Wer schon einmal Fotos aus Yvas Atelier gesehen hat, weiß, dass sie all die Jahre über nie den Spaß am Experimentieren verloren hat. Sie tat das mit ihren Bildern, wofür Photoshop erfunden wurde. Sie liebte es, mehrere Belichtungsmethoden zu erproben oder Bildelemente zusammenzufügen. Yva ist einzigartig, auch im Vergleich zu Zeitgenossinnen wie z.B. die Hess-Schwestern, Carry und Nini.
Auch im Vergleich zu Frieda Riess war ihre Arbeit origineller. Allein, weil Frieda sich für die klassischen Versionen und Portraitfotografie spezialisierte und weniger experimentierte.
Auch das Bedürfnis Yvas, mehr zu zeigen als auf ein Bild passt, macht ihre Arbeiten individuell.
Keine Macht dem Nationalsozialismus!
Doch die erfolgreichen Zeiten mussten dem Hass des Nationalsozialismus weichen. Wie vielen anderen jüdischen Künstler*innen in Deutschland wie Franz Kafka, Marc Chagall, Charlotte Salomon, oder den Hess-Schwestern und Frieda Riess, erging es auch Yva etwas später.
Ihre Auftraggeber wurden arisiert und fielen daher oft weg. Dadurch kamen kaum mehr Kooperationen mit Tänzerinnen zustande, die nicht mehr mit jüdischen Künstler*innen zusammenarbeiten wollten. Die Angebote vieler Magazine blieben auch aus. Trotz des Berufsverbots für Juden arbeitete sie aber noch mehrere Jahre weiter und veröffentlichte in Magazinen manchmal unter einem anderen Namen. In Werbe- und Modezeitschriften dieser Art sah Goebbels aber auch sowieso keine große Gefährdung.
Obwohl Yva überzeugt war, schon 1933 auszuwandern, da die Sprache der Kunst überall sei, hielt ihr Ehemann sie aus Angst vor der Fremde und der Überzeugung, das Grauen würde bald aufhören, davon ab. Kurz vor der dann doch geplanten Auswanderung nach Amerika arbeitete sie als Röntgenassistentin. Sehr kurz vor ihrer Auswanderung wurde das Paar deportiert.
Ein Mensch ist dann nicht fort, wenn er in Erinnerung bleibt
Es ist gut möglich, dass es noch einige Bilder aus Yvas Atelier in der Welt gibt. Einige Sammler sind seit geraumer Zeit nach den Schätzen, die nach Yvas Deportation nicht rechtmäßig von Ullstein und Schostal vererbt, sondern verkauft und verschenkt wurden.
Es liegt an uns, dass wir Künstler*innen wie Yva nicht vergessen. Ihre Arbeit kann auch heute noch inspirieren. Sie war, wie ihre Genossinnen auch, ein Symbol ihrer Zeit und Pionierin für Frauen als selbstständige Unternehmerinnen. Sie war dem voraus, was damals als Standard galt.
Nach den Wurzeln der Fotografie zu forschen, ist interessant und man kann sich bestimmt noch etwas abschauen.