Ein Tag im Leben
Rezension von Stephan Moers
Carsten Friedrichs, Später kommen, früher gehen, Ausgewählte Songtexte, Mainz 2022, Ventil Verlag, 213 Seiten Paperback, ISBN: 9783955751845, 17 Euro.
Was ist das noch mal, ein Tag im Leben? Was ist dieser Tag in diesem Leben? Es scheint, als hätte sich Carsten Friedrich diese Fragen immer und immer wieder gestellt. Herausgekommen sind dabei seine Betrachtungen in Lyrik und Prosa, wie sie im hier besprochenen Buch vorliegen. Gefühlt sitzt der Leser zusammen mit Friedrichs in einer heimeligen Eckkneipe: Die bereits getrunkenen Biere wurden nicht gezählt und zwischendrin wurde auch schon mal etwas Stärkeres gekippt. Und dabei lauscht man den Geschichten, Szenen und Begebenheiten, wie sie Friedrichs beschreibt.
Zum Beispiel die vom „Härtesten Mädchen der Stadt“ und man schmunzelt, denn sofort hat man ein Bild vor Augen. Doch schon danach wird es ernst. In „Das Feuerwerk ist vorbei“ schreibt der Autor:
Ich war ein gut aussehender Bursche
Ein bisschen wie Sean Connery
Ich war ein gern gesehener Gast
Und Mitglied in der Bourgeoisie
(…)
Und der Abwasch stinkt so sehr
Die Dienstboten kommen lang schon nicht mehr
Und ich trinke unter Stand
Und finde Theologie interessant
Ich bin einsam…
Und die Erinnerungen tun so weh
Die Zeit mit Dir am Comer See
Und eins und eins ergibt nicht mehr zwei
Und das Feuerwerk ist vorbei
(…)
Die Worte und Reime kommen ganz unprätentiös daher. Sprachlich fühlt man sich ein wenig an Bukowski erinnert. Es sind Worte und Beschreibungen, hinter denen sich nichts versteckt; keine weitreichenden Interpretationsmöglichkeiten, keine versteckten Bilder, nichts Stilmittelhaftes, nach dem man suchen müsste, um es zu analysieren. Gleichsam werden die Texte dadurch aber nicht anspruchslos und zeichnen sich durch eine angenehme Lebensnähe aus. Wer Alberto Manguels „Die Bibliothek bei Nacht“ gelesen hat, kennt die vielen herrlichen Beschreibungen darüber, was eine Bibliothek sein kann. Friedrichs macht es in seinem Gedicht „In der Bibliothek“ so:
Willst du dich amüsieren
Oder willst du den Verstand verlieren
Die Bibliothek öffnet jede Tür
Befriedigung gegen geringe Gebühr
Samstag geöffnet bis um vier
Wenn du mich suchst, findest du mich hier
In der Bibliothek
Interessant sind die kurzen Gedanken zu jedem Gedicht, die der Autor mitgibt. Sie bauen eine freundliche Nähe zum Leser auf, als säße man wirklich zusammen an einem Tisch und plauderte mal über Ernstes, mal über Seichtes sowie allem, was dazwischen liegen kann.
Die Prosatexte behalten den Stil der Gedichte bei. Eine Sprache, hinter der sich nichts versteckt. Es macht Spaß, den Gedanken des Autors zu folgen, zum Beispiel wenn er darüber schreibt, wie seiner Meinung nach die Musikgrößen beim Live Aid Konzert über die Frisur von Elton John gefeixt haben und dieser sich dann geärgert hat. Ein anderes Mal nimmt er den Leser mit zu den Schwabinger Krawallen von 1962 und lässt ihn diese miterleben.
Carsten Friedrichs Lyrik und Prosa ist jedes Mal „A Day In The Life“ (Ein Tag im Leben), wie es die Beatles schon beschrieben haben. Und so ist es dann auch nicht verwunderlich, wenn man schon während der Lektüre des Buches den Goethe für unterwegs aus der Manteltasche nimmt und „Später kommen, früher gehen“ hinein steckt. Eine Lesefreude für so ziemlich jeden Tag.