Eine runde Sache
von Birgitta Gronau
Das Fahrrad ist frisch gewartet aus der Werkstatt zurück. Für den Sonntag habe ich mir eine schöne Route ausgearbeitet, nicht zu lang für die erste des Jahres, aber doch schon ein wenig anspruchsvoll. Fahrradtrikot, Handschuhe, Helm und Trinkflasche, zwei Energieriegel und eine Banane liegen bereit, gleich nach dem Frühstück kann es losgehen.
Die ganze Woche im Büro und besonders in diesen endlosen Besprechungen, die bis in den Abend hinein dauern, habe ich mir immer wieder dieses Bild vor Augen geholt: Wie ich auf meinem Rad durch die Felder und am Fluss entlang fahre, dann durch das kurze Waldstück und wieder am Fluss. Kilometerweit. Ich spüre die Frühlingssonne und den Fahrtwind auf der Haut, neben mir glitzert das Wasser.
Als der Wecker um sieben Uhr klingelt, ist es wider Erwarten noch nicht richtig hell. Der Blick aus dem Fenster verrät mir, warum. Es gießt in Strömen. Aber das soll mich nicht aufhalten. Wie heißt es doch: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. Entschlossen schlage ich die Bettdecke zurück. Ist das etwa ein Blitz? Das Donnergrollen folgt schon kurz darauf. Ich spüre, wie mein Gewicht die Matratze eindrückt, und meine Gedanken beginnen, um Kartoffeln zu kreisen. Kartoffeln, die still in der dunklen Erde schlummern und dann ganz langsam beginnen zu keimen. Sprossen dringen durch die braune Krume ans Licht, verfärben sich und entfalten kleine grüne Blätter. Ich bin ein Kloß, ein weicher runder Kartoffelkloß.
Der Wecker klingelt. Mein linker Arm schnellt hinüber und stellt ihn aus. Ich begutachte meinen Arm. Ich wackele mit Fingern und Zehen, sicherheitshalber werfe ich noch einen Blick unter die Decke. Arme und Beine sind alle vorhanden und einsatzbereit. Noch ein Blick auf den Wecker. Es ist schon Montag. Vorsichtig steige ich aus dem Bett. Ein Blick in den Spiegel bestätigt: Alles frisch!
„Na, wie war dein Sonntag?“, begrüßt mich Marius in der Teeküche.
„Super“, antworte ich. „Hab meine erste Radtour gemacht. 40 Kilometer am Fluss entlang.“
„Bei dem Scheißwetter?“
„Aber klar. Nur die Harten kommen in den Garten. Du weißt doch: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur…“
Die Woche zieht sich wie Kaugummi. Am Samstagabend gehe ich extra früh ins Bett. Der Wetterbericht ist vielversprechend, 20 Grad und nur leicht bewölkt. Ich bin bereit.
Sonnenstrahlen, die durchs Fenster fallen, wecken mich. Meine Matratze biegt sich schwer nach unten, über mir wölbt sich die Steppdecke. Könnten Klöße sich bewegen, würde ich mich jetzt aus dem Bett rollen. Aber, was dann?
Meine Gedanken füllen sich mit Soße. Pfifferlingrahmsoße.
„Und – wieder Rad gefahren?“, fragt Marius bei der Team-Sitzung am Montagmorgen.
„Klar. Bei dem Wetter. 45 Kilometer.“
„Du siehst erholt aus.“
„Ja, wer rastet, der rostet.“
Am folgenden Samstag schlafe ich vorsichtshalber auf der Couch. Aber es hilft nichts. Am frühen Sonntagmorgen liege ich weiß und rund auf dem Sofa. Jetzt habe ich ein wenig Angst, dass ich herunterfallen könnte.
Aber dann kreisen meine Gedanken um Preiselbeerkompott. Und Apfelmus.
„Sag mal, das Radfahren scheint dir wirklich gut zu tun.“
Marius ist beeindruckt.
„Man muss eben was für sich tun.“
„Was hältst du davon, wenn wir mal zusammen eine Tour machen. Ich hab mir gerade ein neues Mountainbike gekauft.“
„Ja, sicher. Können wir ja mal machen.“
„Nächsten Sonntag?“
„Da hat meine Mutter Geburtstag.“
„Ich dachte, die wär schon tot?“
„Friedhof. Da geh ich immer zum Friedhof. Jedes Jahr zum Geburtstag.“
Das ging gerade noch mal gut, aber irgendwas muss passieren. Tatsächlich fühle ich mich nach dem Wochenende jetzt immer sehr erholt, aber auch ein bisschen teigig.
Am Samstagabend setze ich mich aufrecht in den Sessel, schalte den Fernseher an und versuche bis zum Morgen wach zu bleiben. Das klappt recht gut. Es läuft ein Krimi, dann ein Thriller, gefolgt von einer spannenden Dokumentation. Bei der Talkshow muss es passiert sein. Ich bin eingenickt. Immerhin kann ich jetzt den ganzen Sonntag über fernsehen.
Am nächsten Samstag wähle ich einen Kanal aus, der durchgehend Kochshows zeigt.
„Und wo warst du gestern?“
Marius gibt nicht auf.
„Am Kanal. 60 Kilometer immer geradeaus.“
„Ach“, antwortet Marius, „da hätten wir uns ja treffen können.“
„Ja.“
„Ganz schön blöd das mit der Sperrung.“
Sicherheitshalber stimme ich erst mal zu.
„Ja, schön blöd.“
Sehe ich Misstrauen in Marius´ Blick?
„Der ganze Radweg aufgerissen. Und das mitten in der Saison.“
Ich nicke betrübt.
„Ja, diese Baustellen überall sind schon eine Plage.“
Meine nächste Tour muss ich besser vorbereiten. Ich checke im Internet, ob alles in Ordnung ist auf meiner Strecke.
Das klappt ziemlich gut und gehört ab sofort zu meiner Vorbereitungsroutine.
So vergeht der Sommer und dann der Herbst. Marius fragt noch ein paar Mal nach wegen einer gemeinsamen Tour, aber schließlich gibt er auf.
Für das erste Dezemberwochenende ist Schnee angesagt. Ich packe mein Fahrrad in den Keller und verstaue die Sportsachen sauber im Schrank. Für Sonntag mache ich zum ersten Mal seit langem keine Pläne, ich werde einfach mal gar nichts tun.
Auch ganz ohne Wecker werde ich um sieben Uhr wach. Ich stehe auf und gehe ans Fenster. Der Schnee fällt in dicken Flocken. Was für eine Ruhe.
Es ist die Woche nach Weihnachten, als Marius sich morgens auf den Bauch klopft, forschend zu mir herüber sieht und sagt: „Ich hab drei Kilo zugelegt über die Feiertage. Man müsste dringend mal wieder was tun. Gestern hab ich mich im Fitnessstudio angemeldet. Am Sonntag hab ich einen Einführungstermin. Komm doch mit. Ganz unverbindlich.“
Unvorsichtigerweise sage ich zu. Ich hasse Fitnessstudios. Dumpfes rhythmisches Stampfen auf Gummilaufbändern, durchdrehende Schwungscheiben, das Geräusch von Metall auf Metall. Und dann der Geruch von Schweiß, Desinfektionsmittel und Deos.
Um zehn Uhr am Sonntag früh klingelt mein Handy. Kurz darauf kommt eine Textnachricht. Dann noch eine.
Ich liege ruhig unter meiner Decke und fühle mich gut. Rank und schlank und überaus gesund. Ein bisschen sehr gelb vielleicht. Aber so sind Bananen nun mal.
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