Feuerzeichen über der Ukraine – es brennt in Europa
Rezension von Jutta Lindekugel
Peter Paul Wiplinger, Feuerzeichen Вогняні знакі. Gedichte zum Krieg gegen die Ukraine. Ukrainisch / Deutsch, Wien 2023, Löcker Verlag, ISBN 978-3-99098-185-6, 118 Seiten, 20,5 x 12,5 cm Broschur, 19,80 €
aber niemand hat das recht
und niemand hat die pflicht
auf befehl gehorsam zu töten
niemand wird euch vergeben
ihr werdet lebenslang mörder
und zivilisationszerstörer sein
(aus: Verflucht seid ihr)
Peter Paul Wiplinger ist keiner, der schweigt. Im Gegenteil reflektiert er in seiner Lyrik seit jeher kritisch, was im Nationalsozialismus geschah, der ihn wie auch der Zweiten Weltkrieg geprägt hat. Dabei war es ihm egal, wenn er seinen Zeitgenossen unliebsam war. Der streitbare Dichter, Autor und Essayist erinnert mit seiner engagierten Literatur stets vehement daran, wie etwa im Nationalsozialismus Mitmachen und Wegsehen Verbrechen ermöglicht haben, mahnt unermüdlich, Wahrheiten auszusprechen und tritt für Menschlichkeit ein. Ihn beschäftigt vor allem, dass so viele Täter nie bereuten, vielmehr einen Schlussstrich zogen und weitermachten.
Sein Gedichtband “Feuerzeichen”, erschienen 2023 bei Löcker in Wien, ist nun Putins Vernichtungskrieg in der Ukraine gewidmet und findet ebenso deutliche Worte für den russischen Angriff auf die Ukraine. Hier zeichnet Wiplinger seinen Protest und sein Entsetzen angesichts neuer Verbrechen auf. Der Dichter positioniert sich eindeutig, nennt Dinge beim Namen und verurteilt das Geschehen und die Täter aufs Schärfste.
Viele Gedichte befassen sich mit Putin, dem Zaren, Diktator, KGB-Offizier, Kriegsverbrecher, Volkstribun, einfach nur Herr Putin oder gar Kreml-KGB-Diktator-Zar, der sein Volk belügt und eigentlich auch sich selbst. Was Wiplinger von Putin hält wird etwa im Gedicht “Gleichzeitigkeit” deutlich:
(…)
ein kleiner kgb-agent ist zwar
ein welterpresser geworden
wieder ein großreich aufzurichten
das ist sein infantiler kindertraum
(…)
Vielfach richtet sich Wiplinger jedoch auch an die zahllosen Menschen, die mitmachen, Putin folgen, sich nicht auflehnen, anderen Leid bringen und anschließend heimkehren zu ihrer Familie, in ihr normales Leben. In Fragen (warum?, was?) und Appellen wendet sich der Dichter insbesondere an die russländischen Männer und Mütter, die er gern aufrütteln, zu Protest, Befehlverweigerung und Menschlichkeit animieren möchte, etwa in “Appell an den Patriarchen”, “Das Undenkbare”, “Verflucht seid ihr” oder “Nachher”:
(…)
niemand hat euch gezwungen
zum morden auch noch zu klatschen
doch ihr habt zugeschaut und gesehen
wie brutal die vermummte polizei war
nachher werden wieder viele sagen
wir haben nicht gewußt daß krieg war
es war nur irgendeine militärintervention
(…)
Entsprechend sind Zivilisation, Menschlichkeit, Mord, Krieg, Befehl, Gehorsam, Gerede, Banalitäten, Lüge, Wahnsinn, aber auch U-Bahn-Schächte zentrale Begriffe. Angst und Aushalten im Bunker, Propagandalügen sowie das Selbstverständnis der Täter oder den Umgang mit ihnen nach dem Krieg kennt Wiplinger aus eigener Erfahrung. Zudem prangert er den Knicks der ehemaligen österreichischen Außenminister Karin Kneissl vor Putin an (“Zweierlei Wirklichkeiten”).
Wiplingers Feuerzeichen besitzen vielerlei Strophenformen, doch aus allen sprechen Atemlosigkeit, der Drang, sich schnell und direkt mitzuteilen, dem Gegenüber die eilige Botschaft eindringlich klarzumachen, drängender Protest und Wut. Die Botschaft Wiplingers ist so wichtig, dass er meist auf Satzzeichen oder Groß- und Kleinschreibung verzichtet, sogar verzichten muss, um den fordernden, drängenden Charakter der Gedichte zu kreieren. Zahlreiche Anaphern, Alliterationen und oft eher kurze Zeilen tragen zum Stakkato bei, das auf den Leser einprasselt. In anderen Gedichten, die aus einer einzigen Strophe in längeren Zeilen bestehen, entsteht wiederum der Eindruck, die Botschaft werde in einem einzigen schnellen, dringenden Schwall hervorgesprudelt.
Die in Wien ansässige Autorin und Übersetzerin Hanna Hnedkowa hat Wiplinger kongenial ins Ukrainische übertragen. Ohne wortwörtlich zu übersetzen, gelingt es ihr sowohl die formal kreierte Dringlichkeit von Wiplingers Anliegen als auch die Essenz seiner Gedanken zu erfassen und zu übertragen. Dafür übernimmt sie den scharfen Ton sowie die grundlegenden Stilmittel und bildet die oben genannte Atemlosigkeit einer drängenden Botschaft nach. Sie nutzt die Gegebenheiten der ukrainischen Sprache geschickt für Lautmalereien und Alliterationen. Auch das Vokabular eines wohlbekannten deutschen Kinderliedes (“Kinderlied”) gießt sie in Reime. Den kontrapunktischen Kontrast zwischen friedlichem Wiegenlied und grausamem Inhalt zu setzen, gelingt ihr auch im Ukrainischen. Im Gedicht “Alle die Töten”, in dem Wiplinger in der ersten und letzten Strophe wiederholt, dass die Verantwortung für Vernichtung, Krieg und Tod nicht nur bei einzelnen wie Hitler, Stalin oder Putin liegt (sondern auch bei den vielen, die mitmachen), steigert Hnedkowa die Aussage sogar noch, indem sie die erste Strophe affirmativ formuliert (Es liegt nur an Hitler, Stalin, Putin) und erst anschließend bekräftigt, dass das gar nicht stimmt, sondern, dass es immer viele braucht, die mitmachen.
Fazit:
Feuerzeichen/Вогняні знакі ist ein wichtiges Buch, das große Aufmerksamkeit verdient hat und in der aktuellen Situation des Krieges zwischen Russland und Ukraine Klarheit bringt. Wiplinger ist eine Stimme, die weiterhin mahnen, anprangern und Wahrheiten ungeschönt aussprechen wird.