Hannah Wahls Plädoyer für eine gerechte Welt
von Maja Seiffermann
Hannah Wahl: Radikale Inklusion. Ein Plädoyer für Gerechtigkeit, Leykam Leucht:Schriften, 2023, ISBN: 978-3-7011-8278-7, 124 Seiten, 14,50 € (D)
Unsere Gesellschaft, und das ist staatenübergreifend gemeint, grenzt Menschen mit Behinderungen systematisch aus, bietet ihnen nicht annähernd gleiche Chancen und unterdrückt sie als marginalisierte Gruppe in allen Lebensbereichen.
Genau dieses konstruktive Finger-in-die-Wunde-Stecken-und-drin-Rumbohren durchzieht Hannah Wahls ganzes Plädoyer über radikale Inklusion.
Mit ihrer ausführlichen Recherche möchte die Journalistin uns die massive Diskrepanz zwischen dem, was (auf dem Papier) als inklusiv verkauft wird und dem, was in der Realität geschieht, nahebringen.
Ihre Forderung nach Gerechtigkeit für alle ist multidimensional und zeigt uns die sonst viel zu selten thematisierten Probleme der an den Rand gedrückten Personen auf.
Im Gegensatz zu anderen Autor*innen gibt Hannah Wahl einem nicht das Gefühl sich in irgendeiner Weise für mangelndes Wissen über (radikale) Inklusion schämen zu müssen. Vielmehr geht es darum zu begreifen, warum uns als Gesellschaft etwas daran liegen müsste, für Inklusion, ergo eine gerechte Welt, zu kämpfen. Zudem enthält das Buch ein Verzeichnis mit Worterklärungen, was sehr hilfreich sein kann.
Die Art der Darlegung lässt uns viel wacher durch die Welt schreiten. Manche brauchen dieses Buch vielleicht auch, um überhaupt auf Barrieren im eigenen Alltag zu achten und nachvollziehen zu können, wie viele für andere „normale“ Situationen Menschen mit Beeinträchtigung leider immer noch diskriminieren und ausschließen; Und wie subtil diese Ausgrenzung manchmal vonstattengeht.
Hannah Wahl spricht eine Vielfalt von Themen an, die weder alt noch ständig (in diesem Falle leider!) im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Beispiele dafür wären: Bevormundung, ausbeutende Arbeitswelt, Zwangssterilisierung von Frauen mit kognitiven Einschränkungen, Gewalt in Einrichtungen, mangelnde Inklusionsförderung an Schulen, Nachteile von Pilotprojekten oder weshalb Heime für Menschen mit Beeinträchtigungen abseits der Gesellschaft diskriminierend sind.
Interessant ist, dass sie die meisten Probleme auf den Kapitalismus zurückführt. Selbst wer nicht (vollständig) zustimmen würde, wird etwas Interessantes daran finden.
Mein einziger Kritikpunkt ist, dass die Autorin bemängelt, Betroffene nicht genug zu Wort kommen zu lassen und als eigentliche Expert*innen nicht als Beratung hinzuzuziehen, und dann selbst nicht so viele Zitate oder Meinungen von Betroffenen einbezieht.
Wenn man am Ende das Buch weglegt, dann kommt man sogar zu dem Schluss, dass radikale Inklusion gar nicht so radikal-aggressiv ist wie das Wort vielleicht impliziert. Und dass wir keine Angst davor haben dürften. Am allerwenigsten die Gesetzgeber. Denn solange wir uns dagegen sträuben, diskriminieren wir als Gesellschaft gleichberechtigte Menschen mit eigentlich denselben Rechten und ziehen Vorteile daraus. Und das darf in einer achso so modernen Welt wie unserer nicht sein!