31052022 Doppelausschreibung 13_14 Selbstaufgabe_Egozentrik LOGO

Hölle auf Erden

von Monika Kühn

Alexanders Eltern mussten früh erkennen, dass sie zwar ein hübsches Kind hatten, mit dem aber keiner spielen wollte. Wenn ihr Sohn nicht im Mittelpunkt stand, warf er sich auf den Boden oder schlug um sich.
In der Schule hielt er sich für genial und seine Mitschüler für Trottel. Er träumte von Macht und Reichtum. Um jeden Preis.

Nach dem Abitur studierte er Betriebswirtschaftslehre, dann wurde er Sachbearbeiter in einer Bank. Er hoffte, dort das große Geld zu verdienen, aber er hatte keine Position inne, in der er mit größeren Beträgen spekulieren konnte. Neidisch sah er auf die Herren in den höheren Etagen, die mit ihren Luxuskarossen vorfuhren und Anzüge von Armani trugen.

An einem Freitag vor Weihnachten fand im Casino der Bank die traditionelle Weihnachtsfeier statt, die aber außer der Dekoration nichts Weihnachtliches hatte. Es wurde gut gegessen und getrunken, und zu vorgerückter Stunde auch getanzt und zu Liedern von Udo Jürgens gesungen. Alexander grölte er mit anderen Männern: „Der Teufel hat den Schnaps gemacht …“
Dieses Lied hatte er am nächsten Tag ständig im Kopf. Der Teufel – Alexander fielen Märchen aus seiner Kinderzeit ein, wo jemand dem Teufel seine Seele verschrieb und dafür Reichtum ohne Ende bekam. Schade, dass es das nur im Märchen gibt, dachte er beim Einschlafen.

In der Nacht hatte er einen merkwürdigen Traum. Ein großer, schwarzhaariger Mann lehnte an einem silberfarbenen Jaguar.
„Das ist dein Traumauto, Alexander Maiwald. Du kannst es haben. Du musst es nur wollen.“
„Wer bist du?“
„Ich bin der Fürst der Finsternis.“
„Dann bist du der Teufel, du bist tatsächlich der Teufel!“
„TsetsRs, diesen Namen finde ich zu folkloristisch. Er klingt so nach Märchenbuch, als gäbe es mich gar nicht. Nenn mich Belial. Nun, wie gefällt dir der Wagen?“
„Ja, du meinst, der könnte mir gehören?“
„Er wird dir gehören, du musst es nur wollen.“
Alexander saß senkrecht im Bett. Er war hellwach. Der Traum war ihm so gegenwärtig, als sei er Realität. Du musst es nur wollen, diese Worte gingen ihm nicht aus dem Sinn.

Er fuhr am Montag nach der Arbeit bei der Jaguar-Vertretung vorbei und schlenderte durch den Verkaufsraum. Da stand er, der Jaguar F-Type R Cabriolet, silber-metallic, sein Traumauto.
Der Verkäufer kam auf Alexander zu. „Möchten Sie eine Probefahrt machen?“
Alexander wollte. Was für ein Gefühl! Er fuhr dicht auf, wenn ein Wagen nicht sofort nach rechts ausscherte. Und dann die Genugtuung, wenn er freie Bahn hatte. Platz für mich, hier komme ich! Ja, das war es, was er wollte.
Und so wie er beim Aufwachen den Ohrwurm im Kopf hatte: Du musst es nur wollen, so war jetzt sein neues Mantra: ja, ich will!

Am nächsten Morgen wurde Alexander zu seinem Chef gerufen. Der Abteilungsleiter für Investment war am Wochenende tödlich verunglückt, und man bot Alexander die Stelle an. Ja, ich will. Das fing ja gut an. Hatte der Teufel tatsächlich seine Hände im Spiel? Nur – was wollte er eigentlich als Gegenleistung?
Zwei Tage später kam sein Chef mit einem Herrn in sein Büro. Und da stockte Alexander der Atem: Der Mann sah genauso aus wie der in seinem Traum!
„Mr. Hell, darf ich Ihnen Alexander Maiwald vorstellen?“, sagte sein Chef, „er ist jetzt für Sie zuständig und wird Sie beraten.“ Und zu Alexander gewandt: „Mr. Belial Hell, ein guter Geschäftsfreund aus den USA. Sie besprechen mit ihm alles Weitere.“
Belial, das war der Name, den Alexander im Traum gehört hatte. Der Höllenfürst! Alexanders Gedanken überschlugen sich.
„Nehmen Sie bitte Platz“, sagte er.
„Darf ich Alexander sagen? Wir sind da nicht so förmlich. Und du kannst mich Belial nennen.“
Alexander schluckte. „Was kann ich für dich tun?“
„Ich kann etwas für dich tun. Du willst viel Geld, und damit Macht und Anerkennung. Das sollst du haben.“
„Das ist sehr verlockend – aber um welchen Preis? Ich habe bisher weder an den Himmel noch an die Hölle geglaubt, aber wenn es den Teufel doch gibt, dann stimmt das sicher auch: Wer sich dir jemals verschrieben hatte, musste seine unsterbliche Seele dafür hergeben.“
„Was für eine Seele?“, fragte Belial spöttisch, „und auch noch unsterblich!“
„Ja, was von mir übrigbleibt. So wie es in der Bibel steht.“
„In der Bibel“, bei diesem Wort verzog er das Gesicht „ist an keiner Stelle von einer unsterblichen Seele die Rede.“
„Woher willst du das wissen? Liest du etwa die Bibel?“
„Ja, wegen der Argumentation. Obwohl es eine sehr unangenehme Lektüre ist.“
„Ich möchte auch nicht in der Hölle schmoren.“
„Wie stellst du dir denn die Hölle vor? Das Höllenfeuer brennt und die armen Sünderlein werden geröstet? Vergiss es! Da bist du nicht auf dem Laufenden. Die Theologen von heute sagen, dass die Hölle kein Ort ist, sondern ein Zustand. Alles ist in jedem Menschen. Oder, um es mit Sartre zu sagen: Die Hölle, das sind die anderen.“
„Na gut. Also, was muss ich tun, um mit dir ins Geschäft zu kommen?“

Belial sah Alexander an. Seine Augen waren schwarz, ohne jeden Glanz, wie schwarze Löcher. „Du musst nur ohne Skrupel sein, Leute übervorteilen, kein Mitleid haben.“
Alexander nickte. „Kein Problem!“
„Gut, dann kommen wir jetzt zum Geschäft.“
Belial nahm seinen Aktenkoffer, den er neben den Tisch gestellt hatte, und öffnete ihn. „Das sind eine Million Dollar.“
Alexander starrte auf das Geld und hatte ein Kribbeln im Magen.
Belial fuhr fort. „Es ist Schwarzgeld. Ich möchte, dass du es reinwäscht und dass es wächst und gedeiht. Zu meinem und zu deinem Nutzen. Du kannst damit spekulieren auf Deubel komm heraus“. Er feixte. „Im wahrsten Sinne des Wortes.“
Alexander strich gierig über die Scheine. „Worauf du dich verlassen kannst! Es gibt da so schöne miese Tricks…“

„Dann sind wir uns also einig.“
„Ja. Aber warte noch. Du willst also gar nichts als Gegenleistung? Ist da nicht doch ein Pferdefuß? Was hast du denn davon, wenn ich die Leute übers Ohr haue?“
„Ich habe eine diebische Freude daran, wenn ich sehe, wie andere ins Unglück gestürzt werden und die Kriminalitätsrate ansteigt. Aber das Beste ist: Durch Gier und Profitsucht ist Seine Schöpfung in Gefahr. Regenwälder werden abgeholzt, Flüsse verseucht, die Klimaerwärmung schreitet voran. Ich habe jahrtausendelang versucht, die Erde zu einem trostlosen Ort zu machen, aber das ist mir nicht gelungen. Jetzt kann ich mich bequem zurücklehnen. Ich brauche nur Leute wie dich – dann habe ich schon jetzt die Hölle auf Erden.“

 

One thought on “Hölle auf Erden

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert