Im gierigen Rausch von orangefarbenem Rot
von Julia Hoch
Schwarze, nackte Rippen strecken sich in den Himmel. Als wäre hier einst ein Wal auf dem Rücken liegend verendet. Ein offener Brustkorb, in ihm brummte einst das Leben, fand Wachstum statt, in jeder einzelnen Zelle. Es pochte das Herz. Silbrig reflektieren die Holzschuppen. Es knackt.
Mama schrie, als sie den Rauch bemerkte. Sie schrie mit einer Stimme, die ich niemals vorher gehört hatte. Sie schrie, sie stand, sie zitterte. Schrie, schrie, schrie.
Das strahlende Blau des Himmels und kleine wie im Kinderbuch geformte Wattewölkchen malen einen grotesk-fröhlichen Hintergrund für die feinen Rauchschwaden, die immer noch aus dem Inneren des Gebäudes hinaufsteigen. Geisterhafte, graue Fäden.
Der Rauch wurde dichter. Dicker. Drückender. Ich hielt Mama ein nasses Handtuch vor den Mund. Ich war durch ihr Schreien in eine drängende Dynamik geraten, die Handtücher waren plötzlich da, durch irgendeine Handlung, irgendeine automatische Reaktion hielt ich sie in der Hand. Funktionieren. Jetzt. Durch das Abdecken ihrer unteren Gesichtshälfte wurden ihre aufgerissenen Augen noch eindringlicher. Ich wimmerte.
Gestern noch rostrote, leicht bemooste, heute verrußte Dachziegel, nicht mehr da, wo sie sein sollen. Wo sie sonst beschützen, verhüllen, bewahren, sondern dort, wo sie nun, wo sie gegenwärtig sind. Am Boden. Wenige liegen außen, viele verbergen sich innen, hinter den Mauern, der noch stehenden, aber bröckelnden Fassade. Innen liegt der Schaden, außen ein paar Trümmer.
Das Feuer wollte hoch, wir nur hinaus. Es griff sich die Treppe hinter der Tür, der Tür zum Flur, das hörte ich, das fühlte ich. Ich erreichte den Fenstergriff. Kein Drehen war möglich. Ich schob Mama zum anderen Fenster hin. Ihre Miene eine Maske, nicht mehr sie. Ich erreichte den Fenstergriff. Erster Versuch, er gelang nur halb. Ich legte das Handtuch beiseite. Keuchen. Husten. Beide Hände. Ein zweiter Versuch. Er klappte. Der Rauch floss hinaus. Mama stand da, sie zitterte. Sie war starr, starr, nur starr.
Ein Rotkehlchen. Hüpft und flattert um die Ruine herum. Umrundet ddas Ganze, landet. Linst in die Umgebung. Das winzige, runde Ding mit der orangeroten Kehle, mit den dünnen, kurzen Beinen. Dib, dib, dib. Am Tag zuvor hat es in der Dämmerung noch seine Melodie geträllert, eine von hundert Möglichkeiten. Täglich gibt es sie, irgendwo.
Ich riss sie heran, schubste sie hinaus, stark, mit Schwung, sprang hinterher. Sie stand aus und lief ein Stück weit, ich folgte ihr. Die Einfahrt entlang. Weiter, weiter. Sie stolperte, ich fing sie auf. Wir setzten uns. Wir weinten.
Die Sonne blendet, der Briefkasten reflektiert, reflektiert an der einen kleinen Stelle, die nicht von Ruß bedeckt ist. Der Name ist nicht mehr zu erkennen. Die Post geht jetzt retour.
Es war hell, unglaublich hell, obwohl die Nacht zuvor so unglaublich dunkel gewesen war. Weiß und gelb und orange und rot und braun. Und schwarz. Und alles dazwischen. Das Feuer fraß im gierigen Rausch Löcher ins Dach. Kein schwarzes Loch. Weiß, gelb, orange, rot, braun. Es knackte. Krachte laut. Schepperte, polterte, schallte. Die Flammen loderten senkrecht empor, kein Wind, der sie verbog. Kein Regen, der sie unterbrach.
Der Apfelbaum im Garten präsentiert im geschmückten Edelkleid feierlich den Vollfrühling, Bienen schwirren mit schwerem Gepäck von Blüte zu Blüte. Sammlerinnen in tanzender Kommunikation, ein Wunder der Natur. Die Biene zieht gerne um, solange sie genügend Nahrung findet. Bildet Bienenwaben mit perfekter Bauform. Bienen stützen sich gegenseitig.
Tatütata. Das Martinshorn. Sie kamen, sie rasten an uns vorbei. Wir saßen im Gebüsch, am Rand, in meiner alten Kinderhöhle. Dort war es sicher, so war ich es auch. Wasser marsch. Es wurde dunkler. Wir gaben ein Zeichen, wir waren da. Nicht mehr drin. Sonst auch keiner. Denn er war schon gegangen.
One thought on “Im gierigen Rausch von orangefarbenem Rot”