Immer wieder sonntags… (… als das Glück dich nach Haus gebracht)

von Angela Hippe

Marie warf noch einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel, dann öffnete sie die Tür.

Carl trat hinein, schaute sie an und strich ihr behutsam mit Zeige- und Mittelfinger über ihre Schläfe und Wange. Dann umfasste er mit seiner linken Hand ihren Hals und küsste sie direkt auf den Mund.
„Hallo Carl“, begrüßte sie ihn lächelnd.
„Es duftet wie immer herrlich“, sagte er.
Sie bat ihn Platz zu nehmen und fragte: „Möchtest du einen Aperitif?“

Wie jeden Sonntag entschied Carl sich für Champagner. Er nahm die Flasche, entfernte zunächst ordentlich das Silberpapier und drehte dann gekonnt den Korken heraus.
Marie sah ihm immer gern dabei zu, weil er den Champagner so unaufgeregt öffente. Nicht wie die meisten Menschen, die beim Öffnen einer solchen Flasche, einhergehend mit „Aaahs“ und „Uuuuhs“ herumhampeln, weil sie Angst haben, dass ihnen der Korken um die Ohren fliegt. Carl wußte, dass er es konnte und das mochte Marie an ihm sehr. Er schenkte ihnen beiden ein und erhob das Glas: „Auf dich, Marie, weil du eine tolle Frau bist.“
„Oh, nein“, antwortete sie leicht errötend und unterbrach den peinlichen Moment, indem sie sagte: „Das Essen braucht noch einen wenig“.

„Dann ist das jetzt wohl ein günstiger Moment“, sagte Carl, „ich habe dir nämlich etwas mitzuteilen.“
Marie zuckte leicht zusammen, so eine förmlich und vor allem direkte Ansprache war sie von ihm nicht gewohnt, antwortete aber betont lässig: „Natürlich, schieß los, was gibt es denn?“
„Ich werde heiraten!“
„Oh“, entwischte es ihr spontan. Dann fügte sie schnell hinzu: „Wie schön für dich, ich freue mich sehr.“
„Danke“, erwiderte Carl, und sie stießen ein weiteres Mal an, diesmal jedoch konnten sie ihren Blicken nicht standhalten, sie schauten beide betreten zu Boden, bis Carl in die Stille hineinsagte: „Marie, das hier ist unser letzter gemeinsamer Abend.“
Sie blickte auf und er konnte in ihre erweiterten Pupillen sehen. Doch ehe sie sich mit Tränenflüssigkeit füllten, drehte sie sich hastig um und ging in die Küche. Er folgte ihr.
„Marie, diese Abende mit dir waren schön. Aber ich dachte, dir wäre unsere Art der Beziehung klar und …“
„Will sie das nicht? Oder warum hörst du auf?“, unterbrach sie ihn.
„Ich möchte nicht, dass du mir solche Fragen stellst“, antwortete er.
„Weiß sie eigentlich, wer du bist? Weiß sie, dass es Frauen wie mich in deinem Leben gibt? Nein, natürlich nicht“, raunte Marie, während sie den kochenden Topf vom Herd riss und voller Wucht auf den Glastisch im Wohnzimmer setzte. Reflexartig nahm Carl ihn wieder herunter und stellte ihn in die Küche zurück.
„Ach“, rief sie, „versteck dich ruhig in der Küche. Das ist ja so eure Art. Ihr Jungs, ihr kommt in unsere vermeintlich schöne heile Welt, macht es euch für einen Moment darin bequem, aber wie es uns wirklich geht, das wollt ihr nicht wissen.“

Carl, der jetzt im Türrahmen stand, konterte selbstbewußt: „Natürlich kenne ich nicht deine tiefsten Ängste und Sorgen. Aber genau das ist ja das Spiel!“
„Genau, ein Spiel, das ist es für dich“, zischte Marie feindselig.
„Für mich aber ist es mehr als das. Ich sehe den Menschen in dir. Du siehst in mir nur ein Objekt.“
„Marie“, antwortete Carl betont leise, „siehst du das wirklich so?“
„Wie sonst?“, erwiderte sie, „Männer wie du wollen doch gar nicht sehen, dass Frauen wie ich auch Gefühle und Würde haben. Deshalb seid ihr ja ….“
„Was?“, unterbrach er herausfordernd.
„Callboys!“
Ernüchtert sah er sie an, sah in ihre kajalverschmierten Augen und sagte dann ganz ruhig:
„Ich bin sehr erstaunt, Marie, dass du dir anmaßt zu glauben, du würdest den Menschen in mir sehen können. Du bezahlst mich jetzt seit zwei Jahren jeden Sonntag zwei Stunden lang dafür, dass ich dir die Komplimente mache, die du hören willst, dass ich dich so verwöhne, wie es deiner Vorstellung entspricht und dass wir den Sex haben, denn du dir vorstellst. Findest du angesichts dieser Tatsache wirklich, dass du mich mehr als Mensch würdigst als ich dich?“

Beide standen sich nun direkt gegenüber, und Carl schaute Marie demonstrativ in die Augen.
Doch sie drehte sich überfordert um und ließ sich in einen der Sessel fallen. Wie zum Schutz hielt sie beide Hände vors Gesicht. Carl zögerte einen Moment, doch dann setzte er sich neben sie. Er legte seine Hand auf ihren Rücken und strich sanft auf und ab.

„Hör zu, Marie“, sagte er nach einer Weile, „wir haben jetzt genau zwei Möglichkeiten. Entweder gehe ich nun durch diese Tür und komme nie wieder. Oder, ich gehe jetzt durch diese Tür, warte einen Moment, und, wenn ich dann wieder hereinkomme, vergessen wir, was gerade war, schlafen noch ein letztes Mal miteinander und gehen dann würdevoll auseinander.“
„Ja, bitte geh!“, antwortete sie und Carl verließ die Wohnung.

Als er wenige Minunten später vorsichtig klopfte, öffnete Marie ihm direkt die Tür. Ihre Augen waren nicht mehr verschmiert, und ihr Blick war wieder klar. Sie sagte nichts, sondern schaute ihn an und strich behutsam mit Zeige- und Mittelfinger über seine Schläfe. Er umfasste mit seiner linken Hand fest ihren Hals und presste seine Lippen fast hastig auf ihren Mund. Mit seiner Unterlippe zog er fordernd ihre Oberlippe zu sich heran und verlieh dem Ganzen mit seiner anderen Hand Nachdruck, indem er sie noch fester an sich zog. Doch Marie löste sich plötzlich von ihm und trat einen Schritt zurück.
„Ich danke dir, Carl“, sagte sie und schaute ihm dabei fest in die Augen.
„Du hast meine sonntägliche Leere immer so charmant gefüllt, dass ich meine Einsamkeit nie spüren musste. Dafür danke ich dir, aber viel mehr noch danke ich dir für deine Worte. Das, was du eben gesagt hast, ist bitter, es ist schmerzlich, und es ist wahr.“
Sie küsste ihn zart auf die Stirn und ließ dann hinter ihm die Tür ins Schloss fallen.

Dann ging sie zu ihrem PC, überwies ein letztes Mal zweihundert Euro und schenkte sich ein Glas Champagner ein. Sie erhob ihr Glas und sagte laut zu sich selbst: „Ich trinke auf die mutige Liebe, voller Ehrlichkeit und mit all ihrer Einsamkeit!“

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