Kämpferin
von Martina Sens
Von Anfang an war sie mir sympathisch. Obwohl sie so gänzlich anders war als ich. Karrierefrau. Materialistin. Gerne betonte sie, dass sie besser verdiente als die meisten Männer in diesem Land. Und sie hob es deutlich hervor, dass sie, als allein stehende Frau, ein Haus gebaut hatte, ein großes Haus, ein luxuriöses Haus. Das komplette Gegenteil von mir.
Ich war überhaupt nicht materialistisch. Karriere war mir nie wirklich wichtig. Aber Ehrlichkeit. Das war der Verbindungspunkt. Sie war total materialistisch, absolut erfolgsorientiert – aber ehrlich und geradlinig, wie ich es selten erlebt habe. Sie machte Kampfsport – und der brutalste davon war ihr der liebste.
Es war nicht leicht, sich gegen sie zur Wehr zu setzen. Physisch nicht und auch verbal nicht. Sie war gebildet, hatte studiert, war es gewohnt, zu reden, zu erklären. Abschreckend möglicherweise für Männer mit geringer Bildung. Die hatten es sehr schwer, ihre Argumente zu widerlegen – sollten sie überhaupt zu Wort kommen, denn sie redete nicht nur gebildet und gut, sondern auch sehr viel.
Ich mochte sie. Sie war geradlinig. Wir unterhielten uns über alle möglichen Dinge. Auch über Männer. Wir waren beide seit Jahren alleine, obwohl wir das nicht wollten. Irgendwie waren wir auf der Suche nach einem passenden Mann. Und auch da waren wir so unterschiedlich, wie es unterschiedlicher nicht sein könnte.
Sie träumte von einem schönen, von einem reichen Mann, von einem, den sie nach gutem Sex in ein anderes Zimmer verweisen könnte. Mir wäre Aussehen, finanzieller Status oder Potenz nicht wichtig gewesen. Ich träumte von Verständnis, von Anschmiegen
und Halten. Ich träumte von einem, der zu mir stand, der mich auffing, wenn ich fiel. Einen, für den ich wertvoll war.
Sie war tough, sie war hart und ich mochte sie sehr. Selten, dass sie irgendwelche Weichheiten oder Schwächen zeigte. Sie stand über jedem wie auch immer gearteten Angriff. Nichts schien ihr nahe zu kommen, nichts schien sie zu verletzen. Schmerzen nahm sie gelassen hin – im Kampfsport und im Alltag.
Irgendwann bemerkte ich, dass ihre Augenringe immer markanter wurden. Sie verlor an Gewicht. Sie wurde immer blasser, kam nicht mehr ganz so regelmäßig ins Kampfsporttraining. Ich machte mir Sorgen. Ich wusste, dass sie sehr viel arbeitete, und sie war im wahrsten Sinne des Wortes eine Perfektionistin bis in die Haarspitzen. Ich hatte ihr schon einige Male zugesehen, wenn sie sich die Haare zurechtmachte, wenn die Frisur wirklich bis auf jedes einzelne Haar perfekt sitzen musste. So war sie.
Ich fragte sie schließlich, ob es ihr gut ging, ob alles in Ordnung war. In ihrem blassen, etwas ausgezehrten Gesicht begannen nun die Augen über den dunklen Augenringen zu leuchten: „Ja, alles bestens. Ich habe zwar den Megastress – dir kann ich es ja sagen: ich betreue jetzt zwei Flüchtlingsfamilien. Den ganzen Tag organisieren, hin und herfahren, die Kinder in der Schule oder im Kindergarten anmelden. Und das alles zusätzlich zu meiner sowieso schon sehr stressigen Arbeit. Ich habe nicht einmal mehr Zeit zum essen. Die Kinder sind talentiert, und das muss ich doch fördern. Ich will sie in Sportvereinen unterbringen – da werden sie gefördert und können sich auch leichter integrieren. Und die Frauen – ich sag dir, die haben mehr Sex als wir beide zusammen. Der einen musste ich die Antibabypille besorgen, was ihr Mann nicht wissen darf, die andere hat sich einen Pilz eingefangen.“
Sie holte kurz Luft. Sie redete gerne und viel. Und dann flackerte das Funkeln in ihren Augen wieder auf.
„Die sind so nett und so dankbar. Ich kann es gar nicht erklären, aber, obwohl ich keine Stunde mehr für mich habe an so einem Tag, gibt mir das alles so wahnsinnig viel.“
Sie arbeitete sehr viel und in ihrer wenigen Freizeit gab sie nun Deutschunterricht für Asylanten, unterstützte und förderte deren Kinder, wo sie nur konnte. Sie wusste, wie wichtig Bildung für diese Kinder, für alle Kinder war. Sie beobachtete und fand Talente und Neigungen heraus, und dann suchte und organisierte sie Möglichkeiten, um diese Talente zu fördern. Sie opferte ihre Zeit und auch ihr Geld, um diesen zwei Familien ein besseres Leben hier zu ermöglichen. Sie setzte all ihr Wissen und Können ein, um diesen Menschen zu helfen.
Sie war eine richtige Kämpferin – und kämpfte für das Richtige.
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