Macht Amazon nicht noch fetter! Bitte!
Kommentar von Walther
Wenn die Corona-Pandemie nicht so dramatisch wäre, könnte man zynisch feststellen, dass Jeff Bezos, reichster Mensch der Welt, Gründer und Chef des Versandgiganten Amazon im Moment sein Glück gar nicht fassen kann. Es müsste ihm vorkommen, wäre da nicht die Bilder aus den Beatmungssälen in den norditalienischen Krankenhäusern, als wäre dieses Virus gottgesandt. Ist es nicht. Er hat es auch nicht bestellt. Es kam in dieser Form wegen eines unverzeihlichen Fehlers chinesischer Regionalbehörden. Das Gedankenspiel wäre sicher absolut unverzeihlich, steckte nicht ein Korn Wahrheit in ihm, wobei das Korn mindestens die Größe des Protoplaneten Pluto hat.
Die aktuellen Ausgangsbeschränkungen und Geschäftsschließungen führen nämlich dazu, dass man wichtige Güter des täglichen Bedarfs nur noch online erwerben kann. Besonders dramatisch ist das für den Buchhandel. Er leidet sowieso schon darunter wie ein Vieh darunter, dass die Verlage den Handelskanal mit eigenen Online-Shops überspringen und zugleich ihnen der größte Buchhändler der Welt Namens Amazon die Luft abschnürt. Jetzt haben sie diesen Angeboten nicht einmal mehr ihr individuelle Sortimentspräsentation und ihre hilfreiche Beratungsleistung entgegenzusetzen – weil ihr Betrieb durch staatliche Anordnung geschlossen worden ist.
Nun soll hier keine Front gegen das richtige Prinzip der zwischenmenschlichen Ferne als Mittel der Ausbreitungsabbremsung gemacht werden. Darum geht es nicht. Es geht vielmehr darum, dass es eben nicht ausreicht, diesen kleinen Selbständigen zu helfen, die Krise irgendwie finanziell zu überleben, wenn sich bis dahin das Kundenverhalten geändert und neu konditioniert hat. Es ist, und das sei hier bewusst und pointiert ausgesprochen, eben nicht so ganz einfach, das Richtige zu tun – auch in existentiellen und lebensbedrohlichen Krisen wie diese. Vielmehr ist es nötig, aus dem Panikmodus gelegentlich auszusteigen und die Vernunft walten zu lassen. Schnellschnell ist nicht immer die richtige Strategie.
Wenn es möglich ist, in einer Bäckerei oder bei einem Metzger mit kontrolliertem und sequenziertem Zugang einzukaufen, dann klappt das auch in einem Buch-, Wäsche-, Schuh-, Textil- und jedem anderen Einzelhandelsgeschäft. Es ist also vielmehr die Aufgabe, diesen kleinen Selbständigen Mittel, Wege und Methoden aufzuzeigen, wie diese die Vereinzelung der Einkäufe mit Terminierungs- und Unterrichtungssystemen managen können. Hier könnten z.B. Messenger eingesetzt werden, die heute auf fast allen mobilen Geräten vorhanden sind. Man könnte die Kassen und die Beratungspunkte mit Trennscheiben versehen und mit Hygienevorschriften und -einrichtungen das Ansteckungsrisiko minimieren. Und danach sollten die Schließungsanordnungen umgehend aufgehoben werden.
Das geht so weit, dass der Autor sein Fahrrad, das er jetzt mangels Fitnessstudio-Zugang eigentlich reaktivieren wollte, weder repariert bekommt noch bei regionalen Fachhändler eines kaufen kann, seine Frau für ihre bettlägerige Mutter die Socken im Internet kaufen musste (Amazon), was sie sonst nie wegen ihrer Einstellung „Buy local“ nie getan hätte, und seine über 85jährige Mutter keine Armbanduhr kaufen kann, obgleich ihre alte mechanische irreparabel ist. Es gibt also eine Menge Un- und Widersinn zu beseitigen, der im Rahmen der berechtigten aktuellen Kontaktbeschränkungsmaßnahmen entstanden ist. Es wäre schön, wenn die Politik hier genauso lernfähig, schnell und pragmatisch handeln würde. Nicht nur der Kommentator wäre sehr dankbar darüber.
Man gestatte am Schluss noch einen weiteren Zwischenruf: Nachdem das Virus die Menschen aneinander wieder bewusster macht, wäre es wunderbar, sich wieder mehr für seine direkte Umwelt zu interessieren. Unser Leben wäre ärmer, wenn es nach der Krise weniger Handel und Wandel, weniger Kunst und Kultur, weniger Gastlichkeit, Gaststätten und Hotel gäbe. Jeder von uns kann einen Beitrag leisten – und wenn es nur dadurch ist, dass er bei Gastwirt nebenan mal eine Mahlzeit bestellt und abholt, seinen Vereins- und Fitnessstudiobeitrag weiterzahlt, auch wenn das Angebot gerade ausgesetzt ist.
Wir wollen doch nachher eine Welt um uns haben, die nicht weniger bunt, weniger vielfältig und weniger spannend ist als vorher.