Hemd oder Hose (c) Walther 2023

Magendrücken

Geschichte von Christoph Laible

Simon steht in der Tankstelle an und versucht, den Blick geradeaus zu halten, um die Schlagzeilen im Zeitungsständer nicht zu lesen. Der Mann vor ihm greift eine Zeitung und wirft sie auf den Tresen. „Jetzt fix: Kampfjets für die Ukraine“, sieht Simon aus dem Augenwinkel. Sein Magen krampft.
„Die Zeitung und die Nummer drei“, sagt der Mann.
„Macht 93,80“, sagt der Verkäufer.
„Geben wir´s aus, solange es noch geht, ha?“, sagt der Mann, deutet auf die Überschrift und legt einen Hunderter auf den Tresen. Beide lachen.
Simon ist an der Reihe.
„Die Nummer sechs.“ Er stockt, greift zwei Bifi. „Und die hier.“ Der Verkäufer kassiert ab und legt 30 Cent Wechselgeld hin. „Behalten Sie´s“, sagt Simon.

Im Auto isst Simon eines der Bifi. Sein Magen ist jetzt ein wenig besser. Er startet den Motor und schaltet das Radio ein. „Die russische Armee …“, sagt die Sprecherin und Simon schaltet das Radio aus. Er fingert das zweite Bifi aus der Verpackung. Er kaut, gibt Gas und fährt durchs Industriegebiet. Nach einer Weile kommt er an Werbeschildern vorbei.
„Nice Price Menü“, steht auf einem von Mc Donalds.
„Mit dem Krieg ist auch der Hunger auf dem Vormarsch“, auf einem von Brot für die Welt. Sein Magen zieht. Er biegt ab, fährt in die Innenstadt und parkt das Auto am Rathaus nahe dem Imbissstand. Er hievt sich aus dem Sitz und dabei schmerzen seine Knie. Draußen lehnt er einen Moment an sein Auto. Als die Knie aufgehört haben wehzutun, geht er in Richtung des Imbissstands. Schon auf dem Weg kann er die Hähnchen riechen. Am Stand angekommen, wischt er mit dem Handrücken Schweiß von der Stirn und bestellt zwei halbe. Danach sucht er sich eine Sitzbank und stößt die Holzgabel in die goldbraune Haut. Die Haut ist wunderbar knusprig und schmeckt salzig. Danach ist das Brustfleisch dran. Bei jedem Biss quillt Saft aus dem Fleisch und Simon saugt ihn zwischen den Zahnzwischenräumen hin und her. Danach macht er sich an die Flügel. Nach dem ersten Hendl ist Simon ein wenig schlecht. Trotzdem pellt er die Haut vom zweiten und schiebt sie in den Mund. Den Rest packt er ein.

Auf der Heimfahrt schaltet Simon das Radio gar nicht erst ein. Er denkt darüber nach, dass er in der vergangenen halben Stunde nur daran gedacht hat, wie gut das Hendl schmeckt. Und das Gute ist, dass er für zuhause noch eines hat. Aber kann man bei einem hautlosen Hendl auch an nichts anderes denken als daran, wie gut es schmeckt? Weil Simone es nicht mag, unsicher zu sein, hält er beim Metzger.

Er bestellt 200 Gramm Blutwurst, 300 Gramm Schweinebauch und 300 Gramm Speck. Dazu zwei Leberknödel und ein Glas Senfgurken. Während die Metzgerin alles einpackt, spürt er ihre Blicke auf seinem Körper. Sie reicht ihm das Sackerl über die Theke und grinst. Als er schon zur Kasse gehen will, fällt ihm ein Schild auf: „Frischer Heringskäse“ Was das wohl ist? Simon traut sich nicht zu fragen. Er hat wirklich genug, ist er sicher. Beim Zahlen muss er aufstoßen. Der Rülpser stinkt. Aber zum Glück sitzt die Verkäuferin hinter einer Scheibe und der Geruch von Gehacktem überdeckt den Gestank ein wenig. Die Verkäuferin lächelt und legt Simon 22 Cent Wechselgeld hin.
„Behalten Sie´s“, sagt Simon und lächelt zurück.
„Vielen Dank“, sagt die Frau. „Werfen Sie es hier hinein.“ Sie deutet auf einen Plastikkasten vor Simon. Er ist bis zur Hälfte mit Münzen gefüllt. Darüber steht:
„Wir bitten um Ihre Spende für die Ukraine-Hilfe! Mit Ihrem Beitrag werden dringend benötigte Medikamente sowie medizinisches Material angeschafft und direkt zu den notleidenden Menschen gebracht.“
Magensäure schießt Simon die Speiseröhre hinauf und in den Mund. Er schluckt herunter, schaut auf die Verkäuferin, auf den Kasten und wieder auf die Verkäuferin. Die Verkäuferin nickt erwartungsvoll. Hinter Simon räuspert sich jemand. Simon nimmt das Wechselgeld und wirft es zögernd in den Schlitz. Dann sagt er: „Ich hätte doch noch gerne 200 Gramm Heringskäse.“

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