Anika Landsteiner Nachts erzähle ich dir alles

Nachts erzähle ich dir alles – Rezension

von Maja Seiffermann

Anika Landsteiner: Nachts erzähle ich dir alles, Fischer Verlage, 2023, ISBN978-3-8105-3087-5, 368 Seiten, 24 € (D)

Bei mir stieg beim Betrachten, ebenfalls beim Aufschlagen des Buches die Befürchtung auf, ich hätte es mit einem kitschigen Liebesroman, einer vor unaushaltbarer Leichtigkeit triefenden Sommerschnulze zutun. Landsteiners neuer Roman überrascht jedoch positiv, er ist nämlich mehr als nur das. Doch selbst diejenigen, deren Vorfreude auf eine Romanze groß ist, werden von der Autorin garantiert nicht enttäuscht.

Leas Familie besitzt seit Jahrzehnten eine Villa in Südfrankreich. Da sich ihre Mutter Sorgen um die kurz vor dem Burnout stehende Tochter macht, rät sie ihr zu einem entspannenden Sommer in der Familienvilla. Widerwillig fährt Lea los und noch bevor sie sich der Entspannung hingeben kann, wird sie in ein gänzlich neues Chaos verwickelt; Ein fremdes Mädchen taucht im Garten auf, verstirbt kurz darauf und macht Lea zu ihrer letzten Kontaktperson. Gemeinsam mit dem Bruder der Verstorbenen geht Lea nach und nach dramatischen Ereignissen auf die Spur. Dabei müssen sich beide ihrer Vergangenheit stellen und kommen sich näher als es ihnen am Anfang lieb war.

Durch die Erlebnisse der verstorbenen Teenagerin behandelt die Autorin gesellschaftlich relevante, aber sonst zu selten besprochene Themen auf eine alltäglich zugängliche Art. Das nimmt der Handlung zwar die Leichtigkeit, verleiht ihr aber einen tiefgründigeren Charakter.

Besonders im Vordergrund steht die Vielfältigkeit der Liebe; Es geht um die Liebe in der Familie, längst vergangene Liebe, neue Liebe, unerwiderte, freundschaftliche Liebe oder die, die man am wenigsten kommen sieht.

Raffiniert hat die Autorin auch das antagonistische Verhältnis zwischen Verabschieden und Trennen und Begrüßen und Verlieben auf der anderen Seite hinbekommen. Der Wechsel sowie die Mischung aus den Komponenten machen das Buch zugleich authentisch sowie spannend.

„Kein Aber. Wenn überhaupt sind wir Menschen das Aber. Wir setzen dieses Gefühl sofort in Wechselwirkung, und zwar mit dem Verlangen, dass es erwidert werden muss, damit es Liebe ist. deshalb fühlt sich die Liebe so oft nach Verlust an. Nach Angst und Enttäuschung, nach Verrat und Betrug. Wir nehmen dieses opulente Gefühl, das überhaupt keine Grenzen kennt, und packen es in unsere kleine egoistische Erwartungshaltung. Und wenn es dann nicht besteht, wenn wir nicht zurückgeliebt werden, schmeißen wir es aus dem Fenster. Die wenigsten wollen lieben. Aber alle wollen geliebt werden.“

Landsteiner hat dieses seltene Talent, das Alltägliche, einem sonst so Widerwärtige oder Unangenehme, in eine Geschichte zu packen und in einem sinnvollen schönen Roman zu bündeln; all die Pausen während der Gespräche, all die Gefühle, „schmutzige“ Gedanken. Alles hat seinen Zweck und das macht das Lesen zu einer besonderen Erfahrung.

Das Leben spielt sich in Dialogen ab, insbesondere in denen, die nachts zustande kommen. Da ist man ja auch bekanntlich am ehrlichsten. Der Titel trifft daher mit seiner Simplizität ausgezeichnet den Inhalt des Buches.

Auch durch die ausgesprochen dynamische und keineswegs stockende Entwicklung der Beziehungen und Bindungen im Buch und die Kongruenz zwischen Handlung und Erzählgeschwindigkeit liest man den Roman nicht nur, um ihn fertigzulesen. Man liest ihn, um in Leas Welt eingesogen zu werden und um dem inneren Auge und dem Vorstellungsvermögen einen Urlaub zu gönnen.

 

 

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