„Näher am poetischen Herzen“ – Interview mit Stephanie Mattner vom Sternenblick e.V.

von Oliver Bruskolini

Die Förderung der deutschsprachigen Lyrik ist kein Leichtes, das ist uns überaus bewusst. Umso erfreuter sind wir, wenn wir auf andere begeisterungsfähige Menschen treffen, die sich demselben Kampf verschrieben haben. Der Berliner Verein SternenBlick existiert als Projekt seit 2013, als eingetragener Verein seit 2018, und verfolgt das gleiche Anliegen wie wir: die Förderung guter Poesie. Wir haben uns mit der Gründerin, Lyrikerin und Herausgeberin Stephanie Mattner über SternenBlick, Poesie-Förderung und gute Lyrik ausgetauscht…

©Stephanie Mattner

Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen, um mit uns über SternenBlick zu sprechen. Vielleicht könnten Sie unseren LeserInnen kurz erläutern, worum es bei dem Projekt geht und welche Ziele es verfolgt?

SternenBlick war ursprünglich ein Publikationsprojekt und ist nun seit April 2019 ein gemeinnütziger Verein, der sich nach wie vor die Förderung von zeitgenössischer Poesie auf die Fahne geschrieben hat. Mit regelmäßigen Ausschreibungen zu verschiedenen Themen, Lesungen, Workshops und einem Lyrikpreis setzen wir unser Ziel um. In Kürze erscheint unsere 40. Publikation (Anthologien, Autorenbände, 2 Heftreihen) und an die 800 AutorInnen haben in den verschiedenen Veröffentlichungen mitgewirkt. Daneben engagieren wir uns mit der Initiative „Dichter für Toleranz“ dafür, unsere Reichweite für gesellschaftskritische Themen einzusetzen. Kurzum: Wir versuchen, unserem Slogan „Näher am poetischen Herzen“ tatkräftig zu entsprechen.

 

Wie kam es zu der Idee und wie gestaltete sich der Anfang? Auf Ihrem Blog sprechen Sie von einem „grandiosen Fehlstart“. Was ist geschehen?

SternenBlick ist 2013 als kleines Publikationsprojekt zweier Dichter gestartet. Damals wollten der Kieler Lyriker Ben Kretlow und ich als Berliner Pendant eine gemeinsame Anthologie herausgeben, die dann letztlich 2014 unter dem Titel „SternenBlick – Ein Gedicht für ein Kinderlachen“ erschienen ist. Der Start war jedoch holprig und wir mussten lernen, dass die eigene Begeisterungsfähigkeit manchmal eben doch nicht ausreicht, um andere von einer Sache zu überzeugen. Nachdem auch nach mehreren Monaten nur wenige Einsendungen vorhanden waren, standen wir kurz davor die Unternehmung aufzugeben.

Da Aufgeben für mich keine Option ist (meinem damaligen CrossFit-Trainer sei gedankt), krempelte ich die Ärmel hoch, überarbeite die Webseite, informierte mich ausgiebig über Ausschreibungsorgane im Netz und konnte so innerhalb kurzer Zeit doch noch um die 200 Einsendungen erzielen, von denen knapp 70 dann in der finalen Anthologie vertreten waren. Inzwischen haben wir je nach Thema zwischen 600 und 1000 Texte, die uns zugeschickt werden und ich bin sehr froh – allen Startschwierigkeiten zum Trotz – dass SternenBlick inzwischen ein fester Bestandteil im poetischen Literaturgeschehen ist.

 

Als gelegentlichem Beobachter ist mir aufgefallen, dass in den letzten zwei Jahren viel bei SternenBlick geschehen ist. Es wirkt beinahe wie ein Entwicklungsschub. Für ein paar Monate schien der Blog stillzustehen, dann explodierten die Aktivitäten förmlich. Der Lyrikpreis wurde eingeführt, ebenso die offene Lesebühne. Vielleicht könnten Sie unseren AutorInnen beide Neuerungen kurz vorstellen?

Man kann es als Ruhe vor dem Sturm sehen oder als kreative Pause. Ende 2018 hatte ich mich entschieden SternenBlick in einen Verein umzuwandeln. Die nächsten Monate war ich dann damit beschäftigt, Enthusiasten zu finden, die nun gemeinsam mit mir die Idee von „Poesie beleben“ in die Tat umsetzen wollten. Unter den SternenBlick-Poeten wurde ich fündig und wir arbeiteten hart an einer Satzung und die Umwandlung in einen Verein. Nun mit unserer geballten Power und den vielen Schultern, auf die die Arbeit verteilt werden kann, konnten endlich Ideen Realität werden, die quasi schon lang in der Schublade lagen.

Einen eigenen SternenBlick-Lyrikpreis zu veranstalten, war ein lange gehegter Wunsch. Jedes Jahr um den „Welttag der Poesie“ (21.März) soll nun die Ausschreibung unter verschiedenen Themen stattfinden. Die Wahl zum Gewinner trifft unsere Jury, die selbst aus visierten Poeten besteht. Zu gewinnen gibt es einen eigenen Lyrikband, der von uns veröffentlicht wird und die Chance einer von 50 DichterInnen zu sein, den wir in die Anthologie zum Lyrikpreis aufnehmen.

Auch unsere halboffene Lesebühne im Herzen von Berlin ist eine Idee, die mir schon lange im Kopf herumschwirrte. Besonders freue ich mich, dass wir als Veranstaltungsort die „Abbaubar“ im „Zentrum Danziger50“ gewinnen konnten. Mit diesem Ort verbinde ich eine schöne Erinnerung an meine erste Lesung vor Publikum (2015). Von den Veranstaltern der damaligen Lesebühne („CrazyWords“) wurde ich ermutigt und bestärkt. Es ist mir wichtig, dass sich unsere Besucher und Lesenden wohlfühlen und sich Profis und Neulinge auf Augenhöhe begegnen. Jeder kann vom anderen etwas lernen und jeder geht mit guten Gedanken nach Hause. Immer am zweiten Freitag um Monat kommen Literaten und Musiker zusammen und präsentierten ihre Texte zu je einem festgelegten Motto. Wir freuen uns über jeden Besucher.

 

Auch wir von zugetextet.com haben uns die Lyrikförderung auf die Fahne geschrieben. Beispielsweise durch die Petition „Der Dichtung eine Bresche“. Und es ist gar nicht so leicht. Die Lyrik ist ein wenig das Sorgenkind der deutschen Literaturlandschaft. Das mag einerseits am Zeitgeist liegen, andererseits werden den Initiatoren auch externe Steine in den Weg geworfen (KNV, Libri, die Post…). Wie sehr treffen die aktuellen Entwicklungen Sie und SternenBlick? Haben Sie Ideen oder Wünsche, was unternommen werden könnte, um die Situation zu verbessern?

Lyrikförderung ist in der Tat schwierig. Allein der Prozess einen Poesieverein zu gründen, war gespickt mit dicken Geröllbrocken. Eine Förderung von Kunst- und Kultur findet quasi kaum noch statt und würde es nicht Menschen geben, die unermüdlich ihre Freizeit der Sache widmen, würde der Bereich wohl gänzlich zum Erliegen kommen. In erster Linie würde ich mir daher Wünschen, dass weniger in Rüstung und mehr in Kunst und Kultur – generell Bildung investiert wird. Und dann würde ich mir für jene unermüdlichen Poesieförderer wünschen, dass sie mehr wertgeschätzt werden. Sie halten das kulturelle Erbe in Ehren. In unserem Blog nenne ich sie die „Helden der Lyrik“, weil sie das für mich sind.

 

Sie dichten selbst, haben mit „Wortgeworden“ einen eigenen Gedichtband bei Diotima veröffentlicht. Wie haben Sie Ihre eigene Begeisterung für die Lyrik entdeckt? War der Weg Ihres Werdegangs eher mit Talent oder mit fleißigem Üben gepflastert?

Aus heutiger Sicht, würde ich sagen, dass die poetische Begeisterung mich schon seit früher Kindheit begleitet hat. Die erste Berührung mit poetischen Texten hatte ich im Grundschulalter, als das Konzept Freundesbuch/Poesiealbum aufkam. Während meine Klassenkameraden daran interessiert waren, möglichst viele Einträge von Freunden darin zu versammeln, begeisterte ich mich für die Sprüche und stellte schnell fest, dass Erwachsene viel schönere Sprüche einschrieben. Bewaffnet mit einem Notizheft und einem Stift, klingelte ich bei sämtlichen Nachbarn meines kleinen Heimatdorfes und bat sie ihre alten Poesiealben herauszukramen und notierte mir die schönsten Sprüche. Als es nichts neues mehr zu entdecken gab, verlor ich dann bald die Lust. Einige Jahre später jedoch kam ich mit Goethes „Faust“ in Berührung. Das Buch hat mich so begeistert, dass ich selbst anfing zu schreiben und dann auch die Lyrikbände der örtlichen Bibliothek aufsog. Viel geübt habe ich nie. Der poetische Moment kommt manchmal über mich – ergriffen von einem Gefühl oder Lied – fließen die Wörter aus mir heraus und ergeben am Ende einen lyrischen Text. Ob es nun Talent ist, vermag ich nicht zu beurteilen. In jedem Fall ist es eine tiefe Liebe und Verbundenheit.

 

Zum Abschluss eine Frage, die nicht nur unsere Redaktion jährlich auf den Konferenzen beschäftigt, sondern die generell oft diskutiert wird: Was macht gute Lyrik aus? Welchen Standpunkt nehmen Sie in dieser Debatte ein?

Für mich ist das Wesentliche an guter Lyrik, dass sie berührt und zwar nachhaltig. Sicherlich ein sehr weibliches Prinzip etwas zunächst auf der Gefühlsebene zu erfahren, aber es bildet für mich den Kern. In den SternenBlick-Anthologien ist auch meistens Prosa enthalten und so kommen mitunter Leser mit Lyrik in Kontakt, die sie sonst meiden. Die von mir am häufigsten gehörte Reaktion ist dann, dass sie Gedichtinterpretation und –rezitation in der Schule ganz furchtbar fanden, aber dass sie sich hier und da in einem Gedicht aus dem jeweiligen Buch wiedergefunden haben. Hier will SternenBlick ansetzen – nicht elitäre Ausgrenzung, sondern Begeisterung wecken und fördern. Nur ein Gedicht, das zu Herzen geht, wird auch dort verwahrt werden. Ist dieser Punkt erfüllt, kommt noch eine Originalität in der Sprache oder/und den erzeugten Bildern hinzu und fertig ist gute Lyrik.

4 thoughts on “„Näher am poetischen Herzen“ – Interview mit Stephanie Mattner vom Sternenblick e.V.

  1. Es würde genügen, zwei Passagen aus dem Interiuw mit Stephanie Mattner herauszugreifen, um ihre lyrische Intention zu charakterisieren: „Für mich ist das Wesentliche an guter Lyrik, dass sie berührt und zwar nachhaltig“ und „Nur ein Gedicht, das zu Herzen geht, wird auch dort verwahrt werden.“
    Mit diesen beiden Aussagen hat sie einen guten Freund in mir ge-
    wonnen, der auf diesen „Stern“ blickt und sich freuen darf, in ihren Anthologien zwischenzeitlich zweimal einen „Landeplatz“ gefunden zu haben.

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