Offline wie Online – Verlage kämpfen in Corona-Krise um Sichtbarkeit. Interview mit Michaela Harich und Mareile Herbst.
Der Buchmarkt steckt seit Jahren in einer Krise. Die Corona-Pandemie hat ihr Übriges dazu beigetragen. Mich hat interessiert, wie Kleinverlage mit der Situation umgehen und welche Strategien sie wählen, das große Unheil anzuwenden. Deshalb habe ich mir meine beiden Verlegerinnen Michaela Harich (Alea Libris) und Mareile Herbst (Autumnus) geschnappt und ihnen ein paar Fragen gestellt, die mir auf der Zunge lagen. Die Probleme und ihre Lösungen sind, so scheint mir, variabel wie die Verlage selbst.
Hinter dir liegt ein turbulentes Jahr. Die KNV-Insolvenz, das Libri-Delisting und aktuell die Corona-Beschränkungen. Wieviel Spaß macht das Verlegerinnenleben da noch? Was hat den Verlag am stärksten getroffen?
Mareile Herbst
Eindeutig die vielen, vielen Absagen von Lesungen und Diskussionen. Sie dienen nicht nur zum Verkaufsankurbeln der Bücher, sondern auch, um nicht immer jenseits der Wahrnehmungsgrenze zu sein. Der Buchhandel bekommt dann Bestellungen – und dann erst nerven die Versuche von KNV und Libri, den kippenden Buchmarkt am Laufen zu halten. Wir möchten auch unrentable Bücher im Programm halten – Ehrensache für kleine Verlage! Letztlich wird das bei manchem Titel nur gehen, indem bei uns direkt bestellt wird. Auch von den Buchhändlern, die darauf wenig Lust haben. Verständlicherweise – viel Arbeit für wenig Ertrag. Ich klappere schon immer kleine Buchhandlungen ab, die von schlauen Leuten betrieben werden. Wenn man eine große Anzahl (die Kleinverleger raunen sich Zahlen von 500 zu) von Buchhandlungen als feste Partner hätte, das wärs. Ich spreche natürlich nicht bei annähernd so vielen vor, und abrechnen muss ich noch die, die gleich die Tür von innen abschließen, wenn sie mich kommen sehen.
Michaela Harich
Die neuen Librikonditionen. Das ist einfach sehr unschön – für Autor:innen wie Verlegerin.
Kleinere Verlage leben bekanntlich nicht auf großem Fuß. Kleine Erschütterungen können schon große Probleme bedeuten. Inwiefern haben die Absagen von Messen und Lesungen ihre Spuren hinterlassen?
Michaela Harich
Gar keine, da wir nicht auf der LBM angemeldet haben und die Buchmesse Saar das Geld erstattet hat. Lediglich die Online-Version der Buchmesse Saar war ein wenig enttäuschend, da hätte uns die Präsenzveranstaltung mehr gebracht. Dafür war die FeenCon Online ein Erfolg.
Mareile Herbst
Die Unsicherheit, was stattfinden wird und was nicht, ist das stärkste Gift. Wir gehen normalerweise auf vier Messen im Jahr – 2020 auf gar keine, und 2021? Keiner weiß, ob wir die Messen dann nutzen können, um alle am Buch Beteiligten mal ans Tageslicht zerren zu können – was wirklich motiviert, beim Kampf um jedes verkaufte Buch dranzubleiben. Das fällt weg. Gut war, dass viele einzelne Direktbestellungen kamen, weil wir Einladungen und Werbungen verschickt hatten und nun doch mal die ein und anderen schauen wollten, was für Bücher wir das vorgestellt haben. Schade war es um die Unmengen an Wein, die ich für die Lesungen mit Weinproben passend zu den Büchern bestellt hatte – richtig gute Tropfen. Jeden Tag frage ich mich, ob sie nächstes Jahr (oder übernächstes) noch genießbar sind; sicher nicht!
In der aktuellen Situation sind viele Kulturschaffende darauf angewiesen, neue und digitale Wege zu beschreiten. Welche Maßnahmen hast du ergriffen? Welche Projekte hast du selbst als „Konsumentin“ verfolgt?
Mareile Herbst
Ich schaue und höre mir selbstverständlich alle Lesungen von unseren Büchern an. Ganz viele haben sofort äußerst unterhaltsame Sachen auf die Beine gestellt. Deswegen habe ich auf keinen Fall Zeit für Konkurrenzprodukte! Für die Bücher des kommenden Jahres hatten wir die super Idee, selber etwas zu drehen. Da ich Gespräche und Diskussionen für spannender halte als reine Lesungen, habe ich einen genialen Interviewer an Land gezogen, und wir haben einiges auf die Beine gestellt. Die Ergebnisse sprachen für sich: Unaufgeräumte Tische im Hintergrund, verwackelte Bilder und vor allem mieser Ton. Einiger Verbesserungsbedarf! Also haben wir aus unserem Freundeskreis eine Dokumentarfilmerin, einen Tontechniker und einen, der schneiden kann, gezwungen – auf das Ergebnis warten wir noch. Der Autor Amri Chouba macht an sich schon was her und hat sehr viel zu sagen, sein Buch „Im Takt der Beutelratte und anderer Terroristen“: lesenswert. Ich bin gespannt, wie man das wieder möglichst schlecht in Szene setzen kann.
Michaela Harich
Ich streame wieder mehr und versuche, mehr Menschen mit mehr Sichtbarkeit zu erreichen (was auch die Autor:innen tun sollten :P).
Der Staat hat Hilfsfonds geschaffen, die den kulturellen Akteuren über die erschwerte Zeit helfen sollen. Zumindest in NRW hat das eher schlecht als recht funktioniert. Hast du Erfahrungen mit diesen Hilfspaketen gesammelt? Und welche Unterstützung hättest du dir als Verlegerin gewünscht?
Michaela Harich
Als Verlag gibt’s das nicht so wirklich, hab ich festgestellt. Ich hätte mir umfangreichere Hilfe für die Branche gewünscht, weiß aber, dass Bücher nicht im Auto daher kommen und deshalb eine untergeordnete Rolle spielen. Solang ich aber meinen Brotjob hab, kann ich den Verlag noch gut alleine wumpen.
Mareile Herbst
Das gröbste Unheil ist der „Deutsche Verlagspreis“. Gerade 2020 hat alle Kritik sich bestätigt. Gewinnen lassen sich in der Verlagsbranche erkleckliche Summen, um ein gutes Programm auf die Beine stellen zu können. Zum Entsetzen aller können Verlage den Preis Jahr für Jahr gewinnen – immer dieselben Verlage! Bis jetzt dachte jeder, die fünfstellige Prämie würden immer andere Verlage erhalten. Nun ist klar, dass der Preis manche subventioniert und ihnen Vorteile verschafft und das Gegenteil des Ziels, eine bunte Verlagslandschaft zu erhalten, bewirkt. Nicht wenige fordern, dass der Deutsche Verlagspreis sofort abgeschafft gehört. Ich finde, es sollten sich einfach gleich nur noch die üblichen Verdächtigen bewerben können. Dann wissen die Intellektuellen des Landes wenigstens, wer wann wen bevorteilt. Falls das nicht geändert wird, bewerben wir uns natürlich weiter, damit wir als Zählkandidat Steigbügelhalter für die Günstlinge sind. Die Herren mögen dies bedenken: Ohne uns läuft nichts.
Es wird immer wieder betont, dass wir uns am Anfang befinden. Am Anfang der Epidemie, am Anfang der Krise, generell am Anfang… Welche Folgen hat die aktuelle Situation auf deine zukünftige Arbeit? Wie beeinflusst die Krise von heute das Verlegen von morgen?
Mareile Herbst
Für uns gibt es seit Jahren eine Krise: Illegale Downloads von unseren Büchern im Internet. Binnen Tagen nach Veröffentlichung sind die Bücher dort zu finden, und keine Autoren, Illustratoren, Lektoren – alle, die die Arbeit reingesteckt haben – haben irgendetwas davon. Es verdienen die, die die Plattformen betreiben – und damit Buchentstehung hintertreiben. Bei dem Thema geht gerade durch die Superkrise etwas voran, sogar im Justizministerium. Das ist gut. Alle, die ich kenne und die downloaden, was das Zeug hält, denken da jetzt ab und zu drüber nach, auch ohne dass sie ständig mein verhärmtes Gesicht auf dem verkehrsuntüchtigen Klapperrad vor sich haben.
Michaela Harich
Ich achte mehr darauf, wen ich unter Vertrag nehme und welche Präsenz online meine Autor:in hat. Ich kann es mir, da mein Privatvermögen reinfließt, nicht leisten, weiterhin darauf zu setzen, dass man den Verlag schon sieht oder die dazugehörigen Autoren. Ich verlager alles noch weiter ins digitale – das ist zumindest auch in Krisenzeiten zugänglich.
Verrätst du uns zum Abschluss noch, welche Projekte gerade in der Pipeline stecken und warum wir uns jetzt schon darauf freuen können?
Michaela Harich
Auf mehrere Reihen im phantastischen Bereich und eine außergewöhnliche Serie. Und einige kleine, feine Novellen, deren Autoren sich vielleicht auch aus dem Schatten der Online-Welt wagen 😛
Mareile Herbst
Wir haben uns entschlossen, das Frühjahrsprogramm 2021 bereits auf die Beine zu stellen, damit die Bücherwelt sich schon auf Mitte Januar, wenn die Bücher dann auf dem Markt sind, darauf stürzen kann. Die Beute wird reich sein: Das Genre Abenteuerroman erhält neuen Wind mit „James Cratchford. Durch die Wildnis“, der Roman „Twist!“ kombiniert pure Performance und nackte Evangelische und mal wirklich aus Frauensicht (was ist das? Lesen!), eine bitterböse Satire zur Suche nach Menschsein, wenn man eigentlich Verkäuferin in einem Flughafenladen ist („Im Fieber des Feng-Shui“). Und noch 12 weitere Titel! Mal schauen, bei welchen wir total daneben lagen, wie in diesem Frühjahr zum Beispiel bei der Polemik „Schule ist kein Naturgesetz“ von Angela Schickhoff. Da dachten wir, jetzt können wir unendlich Lyrikbücher querfinanzieren (also jetzt weiter ohne).