Ohne Moos nix los
Kurzgeschichte von Stefan Lochner
Vermaledeite Unsicherheit. Lars saß bei seinen Freunden Robert und Hilbert auf dessen Boot und schlürfte einen Cocktail.
„Die drei Mädels kommen gleich!“, kündigte Hilbert an. Der hatte gut reden, leider war Lars der einzige, der kein Geld und den Hilbert sicher nur eingeladen hatte, damit dieser sich über ihn erheben konnte. So strahlte sein Reichtum umso mehr. „Ich hoffe, du hast genug Knete, um dich spendabel zu zeigen.“
„Wie denn? Ich bin nur ein armer Student.“
Die Dutzenden Brillanten an Hilberts Uhr leuchteten im Licht auf, so dass ihm seine Discounteruhr peinlich war. „Hast du mir ein Bier?“
Robert grinste. „Na, sind wir auf dem Prolltrip?“
Hilbert winkte ab. „Ich habe ein Craftbier, das kann man immer trinken.“
Er reichte Lars eine winzige Flasche, deren Inhalt dem eines Sektglases entsprach. Es schmeckte wie ein bitteres Nichts. Inmitten der tiefen Polster, des Metalls und edlen Holzes fühlte er sich wie ein Fremdkörper. Seine beiden Bekannten passten hierher, die avisierten Frauen würden auch wissen, dass er nicht in diese Umgebung passte. Mit einem überlegenen Lächeln blickte Hilbert auf sein goldenes Smartphone. „Sie kommen.“
Sofort legte Robert seine Schuhe auf den niedrigen Tisch. „Das wird ein netter Abend. Pass genau auf, Lars, das ist ja für dich etwas Neues.“
Der wünschte sich weit weg, um sich nicht zu blamieren. Hilbert stand auf. „Füße vom Tisch. Damenbesuch.“ Er fuhr sich durch die glatten Haare und trat ins Freie. Stimmen erklangen wie Möwengekrächz, Hilbert stellte sich am Eingang auf und ließ drei junge Frauen ein. Die vorderste trug ihre langen braunen Haare zu einem Zopf geflochten, ihr Gesicht war stark geschminkt. Ihr folgte eine Kleine mit lockigen schwarzen Haaren und einem dunklen Teint. Ihre dunklen Augen ließen Lars erstarren, selbst die breite Nase störte ihn nicht. So eine Frau hätte er nie im Leben angesprochen. Die Dritte schwebte auf hohen Schuhen herein, ihre strähnigen blonden Haare passten zu dem kurzen Röckchen und dem tief ausgeschnittenen Top. Sie wirkte billig, auch wenn sich die beiden anderen ebenfalls prostituierten. Hilbert reichte der ersten die Hand. „Hallo Francoise, willkommen in meiner bescheidenen Hütte. Ich würde mich freuen, wenn du mir heute ein wenig Gesellschaft leisten würdest.“
Strahlend ergriff sie seine Hand. „Nichts täte ich lieber. Schön hast du es hier, Hilbert.“
Ihr süßer französischer Dialekt erregte bei Lars ein Schauern, er wollte schon aufspringen, da drängte sich Robert vor und schnappte sich die Lockige. „Ich bin Robert. Hast du heute schon etwas vor?“
„Sehr angenehm. Ich denke nicht. Übrigens, Florence.“
Natürlich, für Lars blieb nur noch die Blondine, obwohl seine Freunde wussten, dass er auf braunhaarige Frauen stand. Natürlich bemühte er sich, seine Enttäuschung zu verbergen. „Lars. Schön, dass du gekommen bist.“
„Tatjana.“ Sie blickte ihm fest in die Augen. „Ich verspreche dir, dass es ein schöner spannender Abend für dich wird.“
Ahnte sie seine Vorbehalte? Ihr harter osteuropäischen Akzent schmerzte in seinen Ohren. Nachdem Hilbert an alle einen Champagner verteilt hatte, nahmen die Pärchen nebeneinander Platz. Klingens Anstoßen, dann herrschte Schweigen, bis alle ihren ersten Schluck getrunken hatten. Tatjana trug ein angenehmes Parfüm, bevor Lars ihr das sagen konnte, erhob Hilbert die Stimme. „Schön, dass wir so wunderbaren Besuch haben. Dass jeder von uns Männern solch eine schöne Tischdame bekommen hat, macht uns stolz.“
Lars musterte Tatjana von der Seite, er ekelte sich vor der Menge an Lippenstift, den sie aufgetragen hatte. Nicht nachdenken, ermahnte er sich, einfach genießen, dass eine Frau neben ihm saß. „Ist alles in Ordnung, Lars?“
Er nickte. „Ich bin glücklich.“
„Das sieht man dir nicht an. Du schaust ständig zu Florence.“
Hilbert räusperte sich. „Nachdem wir alle noch schüchtern sind, schlage ich vor, dass wir mit einem Spiel beginnen.“
Oh nein, das hörte sich nicht gut an.
„Ich charakterisiere nun Lars, Robert und mich. Jede von Euch Hübschen, die ihren Nachbarn errät, wird von diesem angemessen belohnt.“
Verdammt. So hatten sie nicht gewettet, dafür hatte Lars kein Geld. Er erbleichte, doch die drei Frauen schienen begeistert und solche Spielchen zu erwarten. Nachdem Robert und Hilbert natürlich sofort erkannt wurden, Florence und Francoise sich Brillanten und Bargeld in die Oberteile schieben durften, kam Lars an die Reihe.
„Wir suchen unser Küken. Im Gegensatz zu Robert und mir meint er studieren zu müssen, geht also keiner geregelten Tätigkeit nach.“
In Tatjanas Augen blitzte es auf. Ihr war klar, sie musste sich nur mit den Brotkrumen abgeben. Aber, sie machte gute Miene zum armen Spiel und küsste ihn auf die Wangen, drückte dabei ihre Brust auf seine. Leider wurde davon sein Geld auch nicht mehr, und so schob er ihr erst einmal einen Fünfziger in den Ausschnitt. Dabei streckte ihm tatsächlich die Brust entgegen, dass ihm schwindelig wurde. Wie gerne hätte er ihr ein ganzes Geldbündel geschenkt!
„Danke“, hauchte sie, als wäre sie nun Millionärin. In ihren Augen sah er keine Enttäuschung. Vielleicht teilten die Mädels am Ende die Einnahmen. Heimlich öffnete er seine Geldbörse und schob noch einen Schein nach. „Danke!“
In einem unbeobachteten Moment wollte er seine Freunde um Geld bitten. Zwischenzeitlich untersuchte Robert interessiert das Top seiner Nachbarin, die sich ein wenig zierte.
„Nachdem das so nett war, zocken wir um die Kleidung der Damen, danach dürfen sie sich um ihren Auserwählten kümmern, aber es soll sich für sie lohnen.“
Die beiden Französinnen bedauerten grinsend Tatjana, was Lars schmerzte, denn er konnte nicht mehr mithalten und stand auf. „Mir ist es nicht gut.“
„Geldbeutelschwindsucht“, grinste Hilbert, die anderen lachten. Zu Lars‘ Erstaunen folgte ihm Tatjana an die frische Luft und sie setzten sich auf das Heck des Bootes. In der Dunkelheit leuchteten die Häuser am Pier. „Ich habe wirklich kein Geld mehr!“
„Da habe ich wohl Pech gehabt. Dafür bist du ein Netter.“
Er runzelte die Stirn. „Von nett lebt es sich schlecht.“
„Das stimmt, geht mir auch so.“
Plötzlich schmiegte sich Tatjana an ihn, schüchtern legte er seinen Arm um ihre Schulter. „Du bist wirklich hübsch.“
„Danke. Auch wenn dir Florence sicher besser gefällt.“
„Die habe ich schon vergessen, aber dir schmeichelt jeder Mann. Wenn du lachst, glühen deine Augen.“
Sie blickte zur Uhr. „Verdammt. Bitte warte hier.“
Was stellte sie sich denn vor, sollte er von der Yacht springen? Lars folgte Tatjana bis zur Tür und spickte ins Boot. Die Blondine wurde mit einem Hurra begrüßt und nach Hilberts Aufforderung tanzte sie an einer Stange. Zusammen mit den Französinnen feuerten die Männer Tatjana an, Robert stopfte ihr einen Schein ins Top, sie neigte ihm ihren Kopf zu. Lars konnte sich das nicht mit anschauen, drehte sich um, lehnte sich an die Reling und starrte ins trübe Wasser. Ohne Geld war man nichts. Schließlich fiel ein Lichtschein auf ihn, die leichten Wellen glänzten unter ihm. „He, mach nichts Falsches!“
Tatjana hielt in der Hand zwei Stofftaschen. „Lass uns verschwinden! Das ist für dich.“
Er blickte in den Beutel, sah Geld, verstand sie nicht.
„Wir müssen verschwinden. Oder gefällt die der Prunk und Protz?“
„Wie meinst du das?“
„Bist du schwer von Begriff. Nimm deinen Geldbeutel und Ausweis und folge mir.“
„Und meine Klamotten?“
„Die brauchst du nicht!“
Wie in Trance folgte er der blonden Frau auf den Steg und weiter auf die Uferstraße. „Da vorne ist ein Nachtclub mit ein paar Tischen. Ich lade dich ein.“
„Nein! ich habe auch Geld.“ Ein Rest Männlichkeit wollte in ihm auf. Auf der Uferpromenade schlichen zwei dunkle Karossen näher. Alle Gespräche in Nachtklub verstummten. Sie hielten vor dem Steg, der zu Richards Boot führte.
„Was wollen die?“
„Geld lockt Schmeißfliegen an.“
„Du wusstest es?“
Tatjana starrte in die Dunkelheit.
„Warum hast du mich in Sicherheit gebracht?“
Sie blickte zu den Gestalten, die auf die Yacht kletterten.
„Die nehmen das Geld, auch die Mädels müssen ihren Anteil zurückgeben.“
„Also gehörst du zu den Verbrechern?“, Lars verbarg seine Enttäuschung nicht.
„Das läuft über unsere Agentur. Mal kommen sie, mal auch nicht.“
Tatjana nippte an ihrem Cappuccino. „Es ist ein Vabanquespiel. Wegen unserer Flucht muss ich außer Landes, sonst bringen die mich um. Du wohnst in Deutschland?“
„Also magst du mich nur, weil ich deine Rettung aus der Organisation bin?“
„Nein, weil du Geld hast.“ Sie deutete auf den Beutel. Er grinste breit. „Vergiss nicht. Jetzt kann ich mir jede Frau leisten.“
Lars blickte zu der Kellnerin, die ihm zulächelte.
„Untersteht dich. Kleiner Tipp. Ich bin eifersüchtig. Lass uns zahlen, wir müssen los.“
Bei der Hektik vermochte Lars nicht zu sagen, ob die Flucht eine gute Entscheidung war. Bald rasten sie in einem Taxi zum Bahnhof.
„Du bist kreidebleich“, stellte Lars fest.
„Ja. Ich weiß nicht, wie das ausgeht.“
„Mir hingegen geht es so gut, wie noch nie im Leben. Heute Mittag war ich noch arm und hatte keine Freundin.“
„Und, ist es so besser?“
Er musterte die Blondine, die in der abendlichen Kälte zitterte.
„Ich weiß nicht.“
Sofort drückte ihm Tatjana einen weiteren Kuss auf den Mund. Zum ersten Mal störte er sich nicht am Lippenstift.
„Zur Strafe.“
„An diese Bestrafungen könnte ich mich gewöhnen.“
Sie lächelte mit ihrem schmalen Mund: „Vielleicht war das ein teurer Kuss für mich.“
Frech antwortete er: „Oder auch für mich!“
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