Pa(a)r-Probleme
von Saskia Raupp
‚Gott, erbarme dich unser! Schick mir eine Sommergrippe mit Fieber und allen Schikanen. Hauptsache, ich muss nicht mit Rainer in den Golfclub und die glückliche Ehefrau mimen!‘ Schon eine halbe Stunde lag Angela wach und täuschte ihrem Gatten sonntägliche Verschlafenheit vor, den frommen Wunsch stumm wiederholend. Seit der Konfirmation hatte sie keinen Gottesdienst mehr besucht. Die zehn Gebote aber hielt sie hoch, vor allem das Vierte. Neben ihr schlug Rainer die Decke zurück, klopfte das Kissen aus und rumorte im Zimmer. Erst als Angela aus dem Bad unappetitliche Geräusche hörte, denen die Klospülung folgte, öffnete sie die Augen. Blinzelte. Fühlte mit dem Handrücken die Stirn. Kein Fieber. Keine göttliche Fügung. Dann eben aufstehen.
Nebenan prasselte Wasser. Garantiert nebelt er wieder den Spiegel ein. Sekundenlang war sie versucht, sich ins Bad zu stehlen und ‚SCHWEIN!‘ in den Dunst zu schmieren, aber sie dachte an ihre gute Kinderstube. Barfuß tappte sie in Richtung Küche, um für Rainer Kaffee und sich selbst einen Kräutertee aufzubrühen. Unterwegs stützte sie sich an Wänden und Möbeln ab. Der Korridor fuhr Karussell.
In der Küche warf sie Schranktüren und Schubladen härter zu, als es ihnen guttat. Sie hoffte, damit Rainers Gesang zu übertönen, der jeden Augenblick einsetzen musste. In den vier Jahren ihrer Ehe war kein Morgen vergangen, an dem er nicht Opernarien schmetternd aus der Dusche gestiegen war. Früher hatte sie seinem Bariton mit Entzücken gelauscht, während sie seine Brötchen mit Honig bestrich. Zumindest bis zu jenem Tag vor drei Monaten, an dem sie feststellte, dass Rainer Don Giovanni nicht bloß musikalisch nacheiferte.
Wie an jedem Sonntag hatte sie die Arztkittel waschen wollen und dabei ein Handy gefunden, das sie nicht kannte. Hatte Rainer schon wieder ein Neues? Sonst brach er über jede technische Entwicklung in Begeisterung aus und erklärte sie lang und breit. Angela hatte ein wenig mit dem Gerät herumgespielt – wieso konnte sie hinterher selbst nicht sagen – und gemerkt, dass im Telefonbuch nur zwei Einträge existierten: „Schatzi1“ und „Schatzi2“. Keine der beiden Nummern gehörte ihr.
Zitternd hatte sie das Handy zurück in die Kitteltasche gestopft, den Kittel in die Trommel der Waschmaschine. Sie hatte die Luke zugeknallt und Kochwäsche angeschaltet. Erst dann war sie zusammengebrochen. Den ganzen Waschgang hatte sie schluchzend vor der Maschine gekauert, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Obwohl Waschmaschine und Trockner sich anstrengten, den Beweis für Rainers Untreue auszumerzen, und obwohl ein Vierteljahr vergangen war, fühlte Angela sich immer noch wie gelähmt.
Natürlich hatte sie daran gedacht, ihn zu verlassen. Doch ihr graute bei der Vorstellung, die gemeinsame Zahnarztpraxis aufzugeben, auf die sie stolz war. Und auf die ihr Vater stolz war. Der hatte sie mit einer nicht unerheblichen Finanzspritze unterstützt. Er, Orthopäde und Sportmediziner, war es auch gewesen, der Angela eintrichterte, nichts sei erbärmlicher als ein Mensch, der aufgab, ohne zu kämpfen. Rückblickend bestand ihre Kindheit aus Tennisturnieren und Olympiaden, zu denen sie ihr Vater kutschierte, und die sich wie die Perlen einer Kette aneinanderreihten. Aufgeben war keine Option. Das galt auch für die Ehe.
„Ma in Ispagna son già mille e tre“, tönte es aus dem Bad. Angela drückte aus dem Blister eine der grünen Pillen, die sie Patienten normalerweise vor Wurzelbehandlungen gab, und mit einem großen Schluck Wasser direkt aus dem Kran spülte sie das Ding hinunter. So verwandelte sich die innere Leere zumindest zeitweise in Gleichgültigkeit. Der Preis, den sie dafür zahlte, waren Schmerzen, gleich hinter den Ohren. Beidseitig stachen sie in ihren Kopf wie zwei Picker in einen Maiskolben.
Apropos Maiskolben: Hoffentlich gab es nachher beim Barbecue keine. Nach dem Abnagen hingen den Leuten immer kleine Fetzen in den Zahnzwischenräumen, die sie unauffällig mit der Zunge heraus zu lutschen versuchten. In solchen Momenten musste Angela sich zusammenreißen, die Zahnseide, die sie stets bei sich trug, in der Handtasche zu lassen. Rainer fand es geschäftsschädigend, sich außerhalb der Praxis um die Dentalhygiene potentieller Patienten zu sorgen.
Sie wusste genau, wie das nachher laufen würde. Immer das gleiche Theater. Sie sah sich im Porsche sitzen, wie immer zählte sie die vorüberfliegenden Ahornbäume, wie andere Leute Schafe. Siebenundvierzig waren es. Rainer fuhr wie immer zu schnell und nahm weniger schnittigen Autos die Vorfahrt.
Er redete wie ein Wasserfall und erklärte, wie er das heute gewinnen wollte. Angela nickte in regelmäßigen Abständen und sagte, sie verstehe, auch wenn das gelogen war, weil sie ihm gar nicht zuhörte. Hinterher stand das entsetzliche Barbecue im amerikanischen Stil auf dem Programm, was gleichbedeutend war mit zu viel Fett und zu viel Whiskey. Natürlich mussten Angela und Rainer mit der pferdegesichtigen Marion spielen, die Rainer über seine Exfrau kannte.
Alle in diesem Club kannten Rainers Ex und seine Kinder aus erster Ehe. Ein Grund, warum Angela sich nicht wirklich für Golf begeistern konnte. Marion redete laut und schnell. Kannte Gott und die Welt. Mit unterschwelligen Bemerkungen gab sie Angela das Gefühl, schuld an Rainers Scheidung zu sein. Dabei war er längst geschieden, als sie sich kennenlernten.
Dennoch schlug sich Angela wacker. In der frischen Luft fand sie zu ihrem federnden Gang zurück, der sie damals beim Tennis über sich hinauswachsen ließ. Und wenn sie darüber nachdachte, lagen Golf und Tennis gar nicht so weit auseinander. Es ging um Präzision, Treffsicherheit und einen guten Schwung. Bei jeder Bahn perfektionierte Angela ihren Abschlag.
Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren, wenn Marion und Rainer hinter ihrem Rücken lachten. Er klagte wieder, wie sehr ihm seine Kinder auf der Tasche lagen. Keinesfalls wolle er weitere in die Welt setzen, sonst bliebe ihm nichts vom Leben übrig. Wie sehr er Angela damit verletzte, merkte er nicht. Er hatte noch nie gefragt, ob sie Kinder wollte.
Trauer, Wut, Enttäuschung, Hass, Bitterkeit, alle angestauten Gefühle der letzten Monate schossen mit aus Angela heraus wie aus einer durchgeschüttelten Champagnerflasche. Ohne an die Folgen zu denken, holte sie mit dem Golfschläger aus und schleuderte ihn Rainer in die Fresse. Etwas knirschte, dann fiel Rainer mit dumpfem Knall zu Boden.
Marion schrie: „Du hast ihn umgebracht!“
Rainer lag reglos neben dem Schläger im Gras. Angela beugte sich zu ihm hinab, fühlte den Puls, als seinem Mund ein leises Röcheln entwich. Blut troff aus den Mundwinkeln. Marion stieß sie beiseite und kniete vor Rainer nieder. Er schlug die Augen auf. Leichenblass aber ziemlich lebendig. Verdattert blickte er von der knienden Marion dicht an seinem Gesicht zu Angela hoch. Sein Gesicht färbte sich rot, dann grün, dann übergab er sich in großem Schwall in Marions Schoß. In dem Gemisch aus Schleim, Blut und Erbrochenem lagen drei Schneidezähne auf der ehemals weißen Hose.
Lächelnd erwachte Angela aus ihrem Tagtraum und nahm sie sich eine Banane aus der Obstschale.
„Rainer, Frühstück!“ Sie schälte die Frucht und biss hinein.
„Guten Morgen, meine Teuerste!“
Er zwinkerte ihr schelmisch zu. Das bin ich also mittlerweile für dich, die dritte und die teuerste. Sie würgte einen Bananenfaden hoch und spuckte ins Spülbecken.
„Bist du etwa schwanger?“
„W-Was? Nein, nein.“
Angela winkte ab, „ich hab mich bloß verschluckt.“
„Dann bin ich ja beruhigt.“
An seinem linken Ohrläppchen hing noch ein Wölkchen Rasierschaum, um die Hüften hatte er ein weißes Handtuch geschlungen. Für sein Alter sieht er immer noch gut aus, stellte Angela fest. Doch was hatte sie davon?
Rainer nippte am Kaffee.
„Igitt!“
Nun war er es, der zum Spülbecken rannte und spuckte.
„Du hast Zucker mit Salz verwechselt. Bist du sicher, dass mit dir alles in Ordnung ist?!“
„Ich bin nervös“, gab Angela zu.
„Vielleicht solltest du im Garten ein paar Abschläge üben, bevor wir losfahren. Ich erzähle immer, dass du früher eine Spitzensportlerin warst.“
„Das war im Tennis!“
„Na und? Ich weiß, wie schlecht du verlieren kannst. Außerdem wollen wir mich nicht als Lügner bloßstellen, oder?“
„Nein, das wollen wir nicht.“
Sie ging sich anziehen. Die traurige Erkenntnis war, dass sie Rainer immer noch liebte. Er hatte Recht, sie konnte schlecht verlieren. Sie würde seine Affären aushalten, bis er von allein zu ihr zurückfand, aber warum sollte nur sie leiden?
War die Krise überstanden, wollte sie ein Kind als Aufwandsentschädigung. Das war jawohl das Mindeste. Und wenn nicht, musste sie wohl oder übel zu anderen Mitteln greifen.
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