Rezension: Kein Spaß im Cyberraum?
Kein Spaß im Cyberraum?
Rezension von Walther
A.J. Weigoni, Cyberspasz, a virtual reality, Edition Das Labor, Mülheim 2012
Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover, 320 Seiten
Erhältlich bei: http://www.editiondaslabor.de/
Im vorliegenden Band versammelt der Autor A.J. Weigoni die Novellen „Auf ewig Dein!“, „Der grosse Wurf, eine Sprechblasenoperette“, „Rahsaan – eine jazzthetische Story“, „Kopfkino, eine WortVideo für eingeweihte Ohryeure“ und „Der McGuffin – Nachruf auf den Kriminalroman“. Die Helden der Storys tauchen ebenso wie die Orte immer wieder auf, allerdings in unterschiedlichen Ensembles. Die Städte Köln, Düsseldorf und New York bilden die Einbettung der Handlungen, die zumeist im fortgeschritteneren Cyberzeitalter, also in nicht allzu ferner Zukunft, jedoch nicht so ganz heute, angesiedelt sind.
Die Themen der Storys sind sehr kunstlastig. In Story Eins und Fünf wird anhand des putativen Werks der Künstlerin Vera Strange über die Malerei und die bildende Kunst philosophiert. Die dritte Story betrachtet den Jazz, die vierte die kulturelle Relevanz des Films im Allgemeinen und im Besonderen. Die Story Zwei und die letzte Story haben das Thema „Kriminalität“ als einen Handlungsfaden. Alle Storys verbindet die Thematisierung der Stadt als bedeutendste und zugleich gefährlichste Zivilisationsleistung des Menschen.
Dass der Autor ein richtiges Problem mit den Auswüchsen des globalen Kapitalismus hat, sollte nicht insofern missverstanden werden, er liefere in seinen Texten ein alternatives Gestaltungsangebot menschlichen Wirtschaftens und Verhaltens. Er begnügt sich vielmehr mit einer sehr treffenden Analyse von Entwicklungen; dabei steht die Typologie und das dekuvrierende Verstehen postbourgeoisen Handelns samt der Erläuterungen seiner Motive im Vordergrund. Aufklärung tut in der Tat Not. Man darf hoffen, der geneigte Leser ziehe nachher die geeigneten Schlüsse, so man ein größerer Optimist ist als der Autor selbst.
Wer nun meint, das Lesen des Bandes gestalte sich angesichts der Inhalte dröge, hat die Rechnung ohne A.J. Weigoni gemacht. Das Dunkle in den Storys wird durch die Helligkeit der Sprache allemal wettgemacht – nein, es wird schlicht und ergreifend durch die fast schon überbordende Fabulierkunst des Autors weggespült.
„Leben in Möglichkeitsfloskeln. Fridolin und Justaff haben eine wortkarge Beziehung. Sie finden erst in der Erinnerung an gemeinsam Erlebtes ihre Gegenwart. Ihnen sind die Momente zwischen Ankunft und Abfahrt vertraut, der Zeitfluss stockt: nicht mehr und auch noch nicht dort: Fridolin und Justaff gehören irgendwie zusammen. Gehen füreinander durch dick und dünn, aber der eine mischt sich nie in die Angelegenheiten des anderen ein.“ (a.a.O, S. 74).
An dieser Miniatur kann die Vorgehensweise Weigonis erkennen. Begriffen werden auf sehr eigene Weise Definitionen beigegeben; dabei können diese Begriffe durchaus gewagte Neologismen sein, die der Autor quasi leichthändig aus dem Ärmel schüttelt und über den Text streut, als sprudelten sie einfach so aus ihm heraus. Wer sich auf das durch sie ausgelöste Assoziationsfeuerwerk einlässt, kann bereits beim Lesen was erleben.
Das o.g. Zitat ist insofern typisch, als die Schilderung zwischenmenschlicher Beziehungen der „hypermodernen“ Menschen untereinander in ähnlicher origineller Sprache in großer Zahl zu finden sind. Jeder dieser Einschübe ist durchaus dazu geeignet, wenigstens ein Schmunzeln beim Leser auszulösen. Seine Fabulierfähigkeit überzeugt ebenso wie seine Dialoge den Stückeschreiber durchscheinen lassen. Zu guter Letzt sei auch die bilderreiche, poetische Sprache hervorgehoben: Alle drei Ingredienzien legen die Grundlage für eine überaus unterhaltendes wie unterhaltsames Leseerlebnis.
Matthias Hagedorn und dem Verlag der Artisten sei es gedankt, dass die Werke Weigonis in wohl gestalteter Form bereitliegen, um entdeckt zu werden. Nachdem sein Schützling den Nahbell-Preis 2017 erhalten hat, ist zu hoffen, dass sich seine mühevolle Kleinarbeit für den Autor und ihn sich auszahlen. Es wäre sehr zu wünschen, ist sein Verlag, die Edition Das Labor, mitsamt ihrer Kulturnotizen KUNO, die Matthias Hagedorn herausgibt, doch eine dieser vielen überlebenswichtigen Hefebakterien, die den andernfalls ziemlich unlustigen, trägen und meist eher langweiligen Teig der deutschsprachige Literatur- und Verlagsszene gelegentlich etwas zum Blasenschlagen bringen.
Man kann heute bereits die poetischen Werke Weigonis komplett in einen sog. „Schuber“ erwerben. Ähnliches ist auch für die Prosa geplant. Ob sich Letzeres lohnt, werden wir in Kürze mit zwei weiteren Rezension zu ergründen versuchen. Die hier besprochene Novellensammlung „Cyberspasz“ ist auf jeden Fall empfehlenswert.
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