Schreiben – Ein Erfahrungsbericht

Schreiben – Ein Erfahrungsbericht

Essay von Frank Strick

Mein Name ist Frank Strick. Ich bin vom Schreiben besessen. Eine tolle Sache, aber wenn du dir Gehör verschaffen willst, dann ist es mit dem Schreiben nicht getan. Da musst du noch ganz andere Dinge tun. Verlage anschreiben, Literaturagenturen, Radiosender, Internetplattformen. Hörbücher produzieren, Facebookprofile, Webseiten. Einen Eigenverlag gründen, an Ausschreibungen teilnehmen, e-booken, twittern, bloggen. Ja, willst du dir eine wirkliche Chance auf Gehör verschaffen, dann musst du deinen Text zur Waffe machen. Dich mit anderen Autoren auf der Bühne batteln. Oder du machst gleich auf kriminell. Googleranking manipulieren, Fakenews platzieren, Algorithmen knacken, Likes kaufen. Solche Dinge.

Ja und der Text?

Vielleicht ein Ding für die Lesung, der klassischen Plattform der Literatur, die dem Produkt des Vorganges Schreiben Aufmerksamkeit schenkt und dem Autor vielleicht nicht Ruhm und Ehre, aber zumindest Gehör verschafft? In der Liga, in der ich mitspiele, besteht die Zuhörerschaft in der Regel aus wenigen Menschen, die sich gegenseitig kennen. Die sich gegenseitig die Hände schütteln und die sich gegenseitig auf der Bühne ablösen. Die kleinen, vom Schreiben besessenen Autoren.

Ja, und wenn man nach der zehnten Lesung die Texte seiner Autorenkumpel auswendig kennt, und die Autorenkumpel kennen deinen Text auswendig, dann hat der Autorenkumpelkreis es geschafft: Keine Überraschungen mehr. Schön zurücklehnen und den Abend an sich vorbeiziehen lassen. Manchmal schrecken wir hoch, weil einer von uns einen Text vorträgt, den noch keiner kennt. Oder es überrascht uns ein Gastautor mit einem Text und nicht selten dem vorangestellten Hinweis, dass sein Beitrag eine Zumutung ist, weil schlecht geschrieben, weil weder Talent noch Zeit, also auf dem Klo oder auf dem Weg hierher oder erstmal nur im Kopf oder sonst wo entstanden.

Der Gastautor hat recht. Sein Beitrag ist eine Zumutung. Mutet uns in der Regel viel Gewalt, viel Pornographie und viele Drogenexzesse zu. Wir leiden.

Ja und das Schreiben?

Tolle Sache. Aber aufgepasst. Es ist gefährlich. Es macht süchtig. Fängst du an, kannst du nicht mehr aufhören. Du glaubst an dich. Es hat einen winzigen Moment in meiner Karriere gegeben, da habe ich geglaubt, dass auch andere an mich glauben. Agenten, Verlage, Lektoren, Redakteure, alle haben an mich geglaubt. Wahnsinn. Frank Strick, der neue Stern am Autorenhimmel. Die Erde hat gebebt, der Himmel hat gebebt, der Allmächtige hat sich schlappgelacht, der Teufel auch, ich habe die beiden vereint, immerhin, für einen winzigen Moment. Agenten, Verlage, Lektoren und Redakteure haben nicht gelacht. Die haben von der Sache nichts mitgekriegt.

Schreiben macht überheblich. Schreiben fördert den Größenwahn. Schreiben treibt die Welt in den Abgrund. Auch Hitler hat geschrieben. Die Sau. Hat sich besser verkauft als ich.

Schreiben löst Revierverhalten aus. Der Kerl ist gut. Der ist besser als ich. Und der da hat einen Verlag gefunden. Und der hat das Publikum zum Lachen gebracht. Und der da, der hat mich bestohlen, das wollte ich schreiben.

Schreiben ist inflationär. Ansteckend. Du fängst an und kannst nicht mehr aufhören. Und wenn du den Kopf hebst und dich umschaust, dann stellst du fest, dass es dem Rest der Welt genauso geht. Plötzlich sind alle Schriftsteller, Autorenkumpel. Schütteln sich die Hände, wechseln sich auf der Bühne ab.

Und die Krönung: Schreiben ist heilsam. Wenn du ein Problem hast, schreib es nieder. Nimm dir einen Schreibstift und schreib es in Grund und Boden. Wenn ein Problem in einem Gegenstand ein Schreibwerkzeug erkennt, dann macht es sich in die Hose. Ja, die deutsche Ärztekammer steht auf Kriegsfuß mit dem Verband deutscher Schriftsteller. Ja, sogar ein Frank Strick bekommt Drohbriefe.

Ausschnitt aus dem Drohbrief der deutschen Ärztekammer:

 

Die oben skizzierten Untersuchungsergebnisse belegen also deutlich, dass in geografischen Räumen, in denen Menschen wie Sie, Herr Strick, andere Menschen in inflationärer Art dazu bewegen, Schreibstifte in die Hand zu nehmen, dass in diesen Räumen ein exponentiell steigender Patientenschwund zu verzeichnen ist. Und deshalb stellen wir unmissverständlich klar, Herr Strick: Wenn Sie nicht sofort damit aufhören, zu schreiben und anderen zu erzählen, wie toll das Schreiben ist, dann werden Sie etwas erleben, was Sie nicht vergessen werden …

 Ich prophezeie: Die Macht des Schreibens wird auch diesen Menschen ihre Grenzen aufzeigen. Etwas erleben, was ich nicht vergessen werde. Kann ja alles Mögliche sein. Zum Beispiel, dass die Ärztekammer das Schreiben als alternative Heilmethode anerkennt. Dass sie den Fischerverlag aufkauft und zum Rehabilitationszentrum umfunktioniert, und meine Autorenkumpel und ich werden Chefärzte.

Ich habe nicht aufgehört zu erzählen, dass Schreiben eine tolle Sache ist, und zwei Monate später, da hat meine Voicemailbox einen Anruf aufgezeichnet, der aus den USA kam. Hier der Wortlaut (übersetzt vom Englischen ins Deutsche):

Mister Strick, hier spricht Mike Taylor, und das im Namen der NIH, der National Institutes of Health, und mit denen will man sich nicht anlegen … (Aufnahme von Hustenanfall unterbrochen) … Nun, die NIH haben mich autorisiert, Sie davon abzuhalten, das zu tun, was Sie tun, Mister Strick, und dafür alle Maßnahmen zu ergreifen, die nötig sind, und ich meine alle, Sie verstehen? … (Aufnahme von Hustenanfall unterbrochen, auch andere Nebengeräusche, Fluglärm?) … Das ist meine letzte Warnung, Mister Strick, und die sollten Sie persönlich nehmen, ja wir wissen alle, dass diese Art von Dingen, dass Sie den Menschen erzählen, wie toll das Schreiben ist und so weiter, dass solche Dinge sich ausbreiten, ja, sie kennen keine Grenzen, Mister … (Aufnahme von Hustenanfall unterbrochen, Glockenläuten?) … Sie wuchern wie eine verdammte Krankheit, ja wie ein verdammtes Geschwür, Sie verstehen, Mister Strick? Ich lege jetzt auf, und, wenn ich das getan habe, dann muss ich davon überzeugt sein, dass Sie verstanden haben, wovon wir hier reden, Mister Strick. Kein Zweifel, dass wir wissen, wo wir Ihre Familie finden, Sie verstehen?

Die haben die Hosen voll, die US-amerikanischen Ärzte. Dass die heilende Kraft des Schreibens über den Ozean schwappt und ihre Krankenhäuser leerfegt. Herr Trump sollte Schreibstifte verteilen, bevor er die Gesundheitsreform abschafft.

Ich habe den Anruf als Drohung verstanden und bin investigativ tätig geworden, und ich muss sagen: Wahnsinn, was die heutigen technischen Möglichkeiten aus einem Schriftsteller machen. E-booken, Twittern, Bloggen und so weiter. Der Schriftsteller wird zum sozialen Netzwerker. Und nicht nur das. Der digitale Werkzeugkasten Internet hat Frank Strick zum Detektiv gemacht. Mit Hilfe des digitalen Werkzeugkastens Internet habe ich es fertiggebracht, aus der Aufnahme sagenhafte Schlüsse zu ziehen. Ich habe mit einem Audiotool Folgendes herausgefiltert:

Aufnahme.01

Flugzeuge. Ich will hier nicht ins Detail gehen. Es gibt heute Apps, die machen Herrn Derrick, Mister Kojak, Inspector Columbo und wie sie alle heißen überflüssig. Mit dem digitalen Werkzeugkasten Internet ist es einem Herrn Strick gelungen, herauszufinden, dass dieser Flugzeuglärm vom Houston Intercontinental Airport kommt. Und jetzt noch eine Audiodatei, die Herr Strick aus der Aufnahme herausgefiltert hat:

Aufnahme.02

Champions Community Church (CCC), Houston, Texas, 4 Meilen (Luftlinie) vom Flughafen und in der Einflugschneise gelegen. Herr Strick hat dann mit einer anderen App über die Bezugspunkte Flughafen und CCC herausgefunden, wo genau Mike Taylor gestanden hat, als er das Telefonat führte. Es war ein Leichtes für Herrn Strick, mit einer weiteren App, die den Flugplan verglichen hat mit dem Standort von Mike Taylor und so weiter und so fort, es war ein Leichtes herauszufinden, dass Mike Taylor zwei Stunden nach seinem Anruf in den Flieger nach München gestiegen ist.

Sie werden es ahnen, lieber Leser, haben es womöglich schon immer geahnt: Im Flieger gab es Schreibstifte. Für die Einreiseformulare. Für Mike Taylor. Er nahm den Schreibstift, und der Schreibstift nahm ihm seinen Husten. Ich prophezeie: Mit dem Schreibstift werden wir Menschen wie Mike Taylor nicht nur abwehren. Wir werden sie nicht nur besiegen. Wir werden sie überzeugen, umdrehen, bekehren, lieber Leser, wir werden sie heilen.

Der geheilte Mike Taylor stieg aus dem Flieger und erklärte, mir und meinem Autorenkumpelkreis seinen Heilungsprozess schildern zu wollen. Ich gebe hier den Dialog (mit Anmerkungen und übersetzt vom Englischen ins Deutsche) wider, den Mike Taylor und ich beim 97sten Autorenkumpeltreffen geführt haben:

 Autorenkumpeltreffen 97 (kleine Runde),
München-Sendling, den 27.08.2018

FS: Mike, Sie sind infiziert?
MT: Allerdings, und es fühlt sich toll an. Bin meinen verdammten Asthmahusten los.
FS: Wie war Ihr Flug mit Lufthansa?
MT: Toll. Aufregend. Ich war sehr beschäftigt.
FS: Mit was waren Sie beschäftigt, Mike?

Anmerkung: Mike Taylor zieht eine Klorolle aus der Hosentasche.

MT: Konnte kein anderes Papier finden, aber was soll’s.

Anmerkung: Mike Taylor entrollt die Rolle, es kommt ein Gedicht zum Vorschein. Er liest es vor.

MT: Dieser Stift nahm mir den Husten, als wir schmusten fern von Houston und lange noch nicht landen mussten.
FS: Ladys and Gentlemen, sehr geehrte Autorenkumpel, Mister Mike Taylor und die Macht des Schreibens. Vielen Dank für diese Demonstration, Mike.
MT: Es ist toll, hier in München-Sendling zu sein mit all diesen tollen Menschen. Danke.
FS: Schreiben wäre nicht Schreiben, wenn es nicht mehr wäre als Schreiben.
MT: Well …
FS: Was meinen Sie, Mike?
MT: Sie haben verdammt recht, Frank.
FS: Danke, Mike.

Das 97ste Autorenkumpeltreffen wurde zum Spektakel. Noch dazu stellte Mike Taylor im Anschluss unter Beweis, dass er der ausdauerndste Whiskeytrinker von ganz Texas war. Der Exzess dauerte drei Tage. Heute bin ich froh, dass ich den spontanen Satz vorher aufgeschrieben habe:

Schreiben wäre nicht Schreiben, wenn es nicht mehr wäre als Schreiben.

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