Selfpublishing – zwischen literarischen Perlen und dilettantischen Schnellschüssen
Essay von Claudia Grothus
Jedes Buch ist eine Blackbox. Denn Bücher haben ein einzigartiges Merkmal: Wenn wir eins kaufen, dann wissen wir nicht, ob es uns gefallen wird. Trifft es nicht unseren Geschmack, ist das Geld trotzdem ausgegeben. Ein angelesenes Buch lässt sich nicht mehr umtauschen.
Verlage: Vom Gatekeeper zum Massenproduzenten
Bevor es Selfpublishing gab, haben Verlage eine gewisse qualitative Filterfunktion erfüllt, auf die man sich mehr oder weniger verlassen hat. Natürlich konnten Lesende nicht davon ausgehen, dass ihnen ein gekauftes Buch mit Sicherheit gefällt. Aber das war eher eine Frage des persönlichen Geschmacks und nicht so sehr der Qualität.
Um die Jahrtausendwende erschienen dann die Print-on-demand-Verlage (POD) auf dem Markt und die literarische Welt befürchtete eine Flut minderwertiger Veröffentlichungen, welche die Buchmarktqualität insgesamt senken, das Auffinden hochwertiger Literatur erschweren und den Markt übersättigen würden.
All diese Befürchtungen sind eingetreten
Auf der anderen Seite hat sich der Buchmarkt demokratisiert. Insbesondere Nischenliteratur oder Genres, die gerade nicht en vogue waren, hatten eine Chance. Sowohl Autor:innen als auch Verlage müssen durch die Möglichkeit der On Demand-Printverfahren weniger finanzielle Hürden nehmen, denn hohe Druckauflagen mit den entsprechenden Lagerrisiken haben sich deutlich verringert. Autor:innen haben über Selfpublishing mehr Kontrolle über ihre Außendarstellung, ihre Einnahmen und Rechte.
Auswirkungen auf den Buchhandel
Die Abhängigkeit der Lesenden von Buchhandlungen hat sich stark verringert. Sehr viele Selfpublisher veröffentlichen ausschließlich E-Books, die naturgemäß online gehandelt werden.
Selfpublisher möchten zwar gerne ihre Werke auch über Buchhandlungen anbieten, die Barrieren sind jedoch für beide Seiten hoch. Zumal für viele Buchhändler:innen immer noch Selfpublishing mit Amazon, dem großen Buchladen-Killer, gleichgesetzt und deshalb kategorisch abgelehnt wird. Außerdem lassen sich POD-Titel schwer in den stationären Handel integrieren, da sie nicht im klassischen Buchhandelsvertriebssystem verfügbar sind.
Selfpublishing hat den Buchmarkt revolutioniert
Selbstpublizierende Autor:innen (die nur für ewig gestrige Oldschool-Literaten ein NoGo bleiben) scheren sich nicht mehr um den Segen der Marktgiganten und schreiben einfach, was sie wollen.
Vorbei das Anbiedern bei Verlagen und Agenturen, das mühsame Verfassen von Exposees (die höchstwahrscheinlich von niemandem gelesen werden), die teils jahrelangen Wartezeiten auf keine Antworten und – im seltenen Erfolgsfall – die Bevormundung, was Inhalt, Länge, Gestaltung und Klappentexte der Werke betrifft.
Die Möglichkeiten des Selfpublishing setzen enorme kreative Spielräume frei. Weder muss ein Werk massenabsatztauglich sein, noch bestimmte Genres oder Modeströmungen bedienen.
Selfpublishing ist längst keine Notlösung mehr, sondern eine ernstzunehmende Alternative.
Ein überholtes Qualitätskriterium
Früher galt: Nur wer es in einen renommierten Verlag schafft, ist ein echter Autor. Verlage sorgten für Qualität durch Lektorat, Korrektorat und professionelle Gestaltung. Doch das Modell hat Risse bekommen.
Nicht nur, dass inzwischen auch bei den Verlagen Lektorat und Korrektorat wesentlich sparsamer gehandhabt werden. Verlage sind auch nicht mehr die Wächter der „guten“ Literatur. Von den Verlagsgiganten werden massenweise Bücher auf den Markt geworfen, die nur zu einem einzigen Zweck existieren: Sie sollen hohe Verkaufszahlen erzielen. Hier wird mehr Wert auf angesagte Cover, bunte Seitenschnitte und Mainstream-Themen als auf sprachliche oder erzählerische Qualität gelegt. Die größten Investitionen fließen nicht in die Bücher, sondern ins Marketing.
Mit dieser Strategie schaffen es Verlage, die Umsätze zu generieren, die sie benötigen, um einige wenige wirklich wertvolle und anspruchsvolle Werke, die naturgemäß keinen Massenabsatz finden, finanzieren zu können und damit das zu tun, was ein Verlag eigentlich möchte: Gute Literatur produzieren!
Alle wollen schreiben
Verlage werden mit Manuskripten überflutet. Rein wirtschaftlich wäre es völlig ausgeschlossen, so viele Lektor:innen zu beschäftigen, dass alle eingesandten Exposés wirklich ernsthaft geprüft werden können. Die Entscheidung, ein Werk zu veröffentlichen, ist für den Verlag jedes Mal ein finanzielles Risiko. Kein Wunder, dass hier der Schwerpunkt auf Bücher gesetzt wird, die sich rein statistisch am wahrscheinlichsten verkaufen.
Nachvollziehbar also, dass die Schere zwischen den Verlagen und den Autor:innen immer weiter auseinanderklafft.
Jeder kann publizieren
Doch zwischen literarischen Perlen und dilettantischen Schnellschüssen liegt eine enorme Bandbreite an Qualitäten. Während einige Autorinnen und Autoren ihre Kunst beherrschen, ihre Werke professionell lektorieren und korrigieren lassen und die Gestaltung ihrer Cover Profis überlassen, veröffentlichen andere ohne jegliche Kontrolle alles, worüber die beste Freundin sagt, das wäre doch ein echt toller Roman.
Menschen meinen, wenn sie etwas Besonderes erlebt oder spannende innere Prozesse durchlaufen haben, dass diese Erfahrungen erzählenswert sind. Sind sie auch. Aber das Geschehen und die begleitenden Emotionen so in Worte zu fassen, dass sie für Lesende auf nicht triviale Weise erlebbar werden, das ist eine Kunst.
Einige Hobby-Autor:innen stellen sich unter „Kunst“ ein zufälliges Talent vor, das man einfach so ausüben kann. Ja, Talent ist von enormer Bedeutung, Handwerkszeug und jahrelange Übung sind aber ebenso Bestandteile von Kunst.
Will sagen: Die einen können ihr besonderes Schicksal, ihre wundervolle Fantasie oder ihre coolen Plot-Ideen sprachlich umsetzen und die anderen können es nicht.
So entstehen einerseits herausragende Bücher, die es ohne Selfpublishing nie gegeben hätte, andererseits aber auch Werke voller logischer Brüche, schrecklicher Sprache, Rechtschreibfehler und erzählerischer Schwächen.
Schreiben fördern
Grundsätzlich ist es höchst erfreulich, dass immer mehr Menschen, insbesondere Teenager und junge Erwachsene, eigene Texte und Geschichten verfassen. Ganz klar, dass die ersten Werke hochambitioniert, aber ohne jede Erfahrung geschrieben werden.
Aber nur dort, wo zuerst die eigenen Lebensträume, Herzenswünsche und Alltagsfluchten in die Tasten gehauen werden, wächst im Laufe der Jahre ein Stil, eine Botschaft, literarische Skills und vielleicht richtig gute Qualität.
Dass heute jede spicy Teeniefantasie über POD-Dienste für fünfzig Euro seinen Weg in ein gebundenes Buch finden kann – das braucht der Markt eher weniger. Und die jungen Autor:innen eigentlich auch nicht, denn sie sind womöglich stolz auf ein Werk, das von vorn bis hinten dilettantisch ist. Eventuell ist ihnen der schlüpfrig-naive Roman auch einige Jahre später peinlich. Aber egal, der Trend lässt sich nicht aufhalten. Besser die Menschen fangen an, schlecht zu schreiben, als dass sie gar nicht schreiben. Wir wissen ja: Der Meister und der Himmel …
Wie sollen wir uns aber hier als Lesende zurechtfinden?
Nach einigen enttäuschenden Kauf-Erfahrungen, bei denen es mir um jeden einzelnen Euro weh tat, war ich jahrelang der Ansicht: Niemals wieder ein selbstpubliziertes Werk kaufen!
Dann begann ich, für etablierte Verlage zu rezensieren und war bei so manchem Exemplar, das ich erhalten habe, erschüttert, was für schwache Texte ihren Weg über einen Verlag zwischen zwei Buchdeckel und in die Buchhandlungen gefunden haben. Ich empfand immer mehr eine breite Schnittmenge mittelschlechter Bücher, die sowohl über Verlage als auch über Selfpublishing veröffentlicht wurden.
Über den Selfpublisher-Verband wissen wir, dass inzwischen viele sehr ernsthafte und erfolgreiche Autor:innen bevorzugt selbst veröffentlichen oder hybrid auf dem Buchmarkt unterwegs sind.
So einfach ist es also nicht mehr, die Spreu vom Weizen zu trennen.
Wie finde ich lesenswerte Selfpublishing-Bücher?
Wenn man erstmal die Wahrnehmung dafür geschärft hat, erkennt man schon beim ersten Blick auf den Klappentext Schwächen oder No-Gos: Phrasen, Allgemeinplätze oder gar die Klassiker der KI („Tauchen Sie ein …“, „Erleben Sie …“) sind Hinweise auf eher nicht so prickelnde Leseerlebnisse.
Rezensionen geben sehr schnell Aufschluss darüber, ob hier Familie und Freunde einen Gefallen getan haben oder ob da wirklich jemand weiß, woher die Begeisterung kommt.
Der ausschlaggebende Teil des Buchangebots ist die Leseprobe. Meist genügen zwei oder drei Absätze, um zu erkennen, ob das Buch lektoriert ist, ob abgedroschene Redewendungen aneinanderreiht oder Klischee-Fantasien niedergeschrieben wurden.
Die Idee und die Umsetzung
Ein spannendes Leben oder eine gute Idee allein machen noch kein lesenswertes Buch. Erzählkunst ist eine Kombination aus Talent, Technik und harter Arbeit.
Nicht zuletzt benötigt ein gutes Buch nicht nur eine fesselnde Geschichte, sondern auch eine ansprechende Gestaltung. Selbstgebastelte oder laienhaft per KI generierte Cover lassen Rückschlüsse über die Qualität des Inhalts zu. Eine kurze Online-Recherche zur Autorin oder zum Autor kann weitere Aufschlüsse geben.
Eine große Chance auf viel Arbeit für wenig Geld
Selfpublishing ermöglicht es ernsthaften Autorinnen und Autoren, unabhängig zu bleiben. Sie können Nischenthemen aufgreifen, die von Verlagen abgelehnt werden. Sie können ihre Bücher selbst vermarkten und eine direkte Verbindung zu ihrer Leserschaft aufbauen.
Viele bekannte Autor:innen haben ihren Weg im Selfpublishing begonnen und sich eine treue Leserschaft erarbeitet. Und eines haben sie gemeinsam: Sie haben Zeit und Geld in ihre Bücher investiert – nicht nur in ihre Plots, sondern auch in die Qualität.
Selfpublisher können froh sein, wenn sie über die Buchverkäufe ihre Kosten für Lektorat, Korrektorat und Covergestaltung wieder hereinspielen. Die Idee, dass die unendlich vielen Stunden Arbeit, die in einem Buch stecken, mit einem auch nur ansatzweise akzeptablen Stundensatz vergütet werden, ist so illusorisch wie ein Lottogewinn.
Und ja, es gibt sie, die Autor:innen, die genau diesen einen Nerv der Zeit treffen, sodass ihre Werke wie Raketen in den Buchhimmel steigen, sich millionenfach verkaufen, in zig Sprachen übersetzt und dann auch noch verfilmt werden. Es gibt auch Menschen, die mehrere Millionen im Lotto gewonnen haben …
Fazit: Selfpublishing ernst nehmen und kritisch bleiben
Selfpublishing ist eine Revolution – und sie lässt sich nicht aufhalten. Doch mit dieser Freiheit kommt Verantwortung. Lesende sollten offen für neue Stimmen sein, aber gleichzeitig kritisch bleiben.
Viele gute Selfpublishing-Bücher können locker mit jeder Verlagsveröffentlichung mithalten. Doch ein schlechtes Buch bleibt ein schlechtes Buch – egal, wie leicht es veröffentlicht werden konnte.
Selfpublisher betreiben kreatives Marketing
Unser Gastautor Dario Schrittweise berichtet in einem eigenen Beitrag von sehr guten Erfahrungen mit Selfpublishing in einem interessanten solidarischen Projekt in Berlin. Hier zu lesen: Vogelfrei – der Buchladen für Selfpublisher:innen