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Stieferde

Geschichte von Sonja Gruber

Wir sind abgefallen.
Nichts als Geröll und etwas Matsch.
Du bist derart in die Kurve gerast. Als ob es schon bergab ginge statt den Pass hinauf. Die anderen rasen auch, aber sie passen … auf.
Du bist … als ob wir in einem Panzer … so hart. Deine Sonnenbrille wie immer schwarz.
Es wird langsam dunkel und kalt. Du versuchst seit Stunden, den Abschleppdienst zur Sau zu machen. Sieh doch ein, du bist denen egal; das Auto müssen wir ohnehin stehenlassen, ohne Haube, ohne uns, sieh doch … hinaus!
Wir sind über dem Rand und noch nicht drin, dürfen auf der Kruste … wandern, noch nicht mal kratzen. Sie ist so hart. Meine Sohlen brennen.

Wer da unten Feuer macht, frage ich dich. Du schnaubst, willst weiterrauchen. Der Wind bläst dir die Flamme weg, du stampfst auf. Mach sie bitte nicht aufmerksam auf uns, presse ich und höre schon ein Knarzen und ein Schmatzen. Jemand reibt sich die Pratzen. Sehen kann ich es nicht, vielleicht … ertasten. Ich bücke mich, halte mein Ohr an den lavaartigen Boden, erstarre. Jemand saugt sich an, von unten! Ein Anzug aus Planen hüllt mich langsam ein, ich kann nicht schreien. Das Vakuum der Panik.
Du stehst noch immer neben mir und fluchst. Der Stumpen deiner Zigarette landet in meinem Nacken, du beachtest uns nicht. Ich schiele zu dir hinauf, will mich kenntlich machen, will, dass du mich befreist.
Es scheint vorbei.

Du rammst mir deinen Absatz in die Seiten und pfeilst davon. Dort, dort hinten musst du plötzlich dein Tor erspäht haben. Diese Höhle, aus der nichts blickt als ein großes schwarzes Auge, die Gebärmutter, die dich einst hinaufgespuckt hat in die obere Welt. Du leckst dir gierig den Abschaum von den Fingern, der ihrer ist, klopfst an, haust.
Sie braucht dich nicht, du bemerkst es nicht, lärmst.
Ich, weit weg von dir, hänge schon lange in der saugenden Stummschaltglocke und wage endlich nachzusinnen. Über dich, über mich. Du warst immer so … rauh … zu mir, schimpftest über Gott und Welt, wolltest nie ein Licht, nahmst deine Brille auch beim Schlafen nicht ab. Deine Finger waren meistens kalt, ich durfte dich auch kaum … berühren. Du zucktest dann und suchtest … was?

Ich wollte dir helfen, um dich schnell zu erwärmen, doch das ließest du nur selten zu; nur wenn du wenig später nach mir treten, mich mähen konntest.
Ich ließ dich gewähren. Du ludst dein Gewehr.
Jetzt stopfst du hastig nach, hältst es schnurgerade gen deine riesige Mutter, zitterst theatralisch. Ihr ist das schnurz, will ich nach dir rufen, doch man lässt mir keine Stimme.
Du drückst ab. Dein Knall verhallt sofort, sie hat ihn wohl belustigt geschluckt.
Ich muss ein wenig lachen, auch wenn es schmerzt. Nein, es ist die Luft, die plötzlich einzieht um mein Gesicht! Habe ich die Falle überlistet, etwa mit meinen Gedanken? Mein neuer Anzug fällt rasch ab, ich bin darunter … ganz nackt.
Was habe ich mir nur dabei gedacht? Ein kaltes Krabbeln vom Nacken bis zu den Waden. Ich hebe den Kopf und drehe ihn erneut zu dir.
Wer bist du?
Das Krabbeln friert.
Da kauert eine dunkle Gestalt vor einem schwarzen Loch, eine spitze Kapuze weit ins Gesicht gezogen. Sie scheint zu warten.

Ich rufe deinen Namen, woraufhin die Kapuze sich bewegt. Sie — hat — kein —Gesicht! Da ist NICHTS!
Mir schießt, du schminktest dich vor mir nie ab.
Wo sind wir hier bloß gelandet? Warum ist es so kahl und so schwarz? Sind wir in einem Vulkan? Oder gar …?
Wachsen kann hier nichts.
Ich schüttle mich heftig, etwas von mir … ab, und merke: da ist keine Angst.
Die Gestalt indes kriecht langsam, fast tapsig, in den schwarzen Bauch. Asche zu Asche, denke ich, und schon tritt Rauch aus. Die Kapuze löst sich als erstes auf, es folgen Finger und Haut.
Ich muss meine Augen reiben. Bist du nun tot?

Etwas packt mich so brutal an den Schultern und schüttelt mich, dass ich, gerade aufgerichtet, beinahe wieder falle.
Ein schwarzer Klumpen plumpst mir vor die Füße. Ich erschrecke nicht, senke meinen Blick, betrachte endlich — dich. Dein Herz, es war nicht eingesperrt, du hattest einfach keins.
Eine knotige Hoffnung robbt sich umständlich aus meinem Rachen, macht immer wieder halt. Sie muss sehr alt sein.
Ich atme.
Aus.

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