Mara Laue: Von der Idee zum fertigen Text VSS Verlag

Von der Kunst des Prosaschreibens – 2. Der Aufbau einer Geschichte (Fortsetzung)

Tipps von Mara Laue

 2. Die Details

    1. Der Anfang

Er ist das Wichtigste für jeden Roman, jede Story. Er muss die Lesenden sofort in die Geschichte ziehen, sie zum Weiterlesen „zwingen“ und entsprechend spannend geschrieben sein. Idealerweise beginnt man gerade in den Spannungsgenres damit, dass man die Hauptfigur mitten ins (dramatische) Geschehen springen lässt, sofern das zum Gesamtplot passt. Wie das „Drama“ entstanden ist, kann später wohl dosiert „nachgereicht“ werden. Der Anfang darf gern geheimnisvoll sein. Beschreibungen von was auch immer sind für den Anfang tabu, sofern sie nicht eminent wichtig für das Verständnis der Lesenden sind. Der Anfang ist die „Eintrittskarte“ zum Publikum und entscheidet darüber, ob das Buch überhaupt gekauft wird.

Ein etwaiger Prolog dient der Spannungserzeugung und/oder um wichtige Informationen zu geben, ohne die man die nachfolgende Handlung nicht verstehen könnte. NIEMALS darf er die gesamte Vorgeschichte erzählen! Allenfalls ein einziges wichtiges Detail, aber nur, wenn es für die Gesamthandlung zwingend erforderlich ist. Andernfalls ist der Prolog überflüssig.

(Mehr zur Kunst, einen guten Anfang zu schreiben, gibt es in der nächsten Folge.)

    1. Der erste Absatz

Er dient der Orientierung. Er informiert die Lesenden darüber WO die Geschichte bzw. die Szene stattfindet (im Freien, einem Zimmer, Hotel, auf der Straße, in der Stadt etc.), WER anwesend ist und WORUM es in der folgenden Handlung geht. Diese Kriterien gelten auch für den Anfang jeder einzelnen Szene, jedes einzelnen Kapitels. Beim Spannungsgenre sollte der erste Absatz den/einen Konflikt zumindest andeuten oder klar benennen. Auch ein Rätsel oder eine geheimnisvolle Andeutung eignet sich gut für einen Anfang. Doch das hängt vom gesamten Plot ab. Nach dem Anfang geht es weiter mit:

    1. Handlung, Handlung, Handlung!

Zur Erinnerung: Handlung heißt, dass jemand aktiv etwas tut oder erlebt/erleidet, das die Geschichte voranbringt, diese und/oder eine Figur darin entwickelt/charakterisiert, den Lesenden wichtige Information liefert (und sei es indirekt) oder eine für das Verständnis der Handlung beziehungsweise für die Vorstellung eines Ortes erforderliche (!) Beschreibung liefert. Alle Textstellen, die diese Kriterien nicht erfüllen, sind überflüssig und sollten gestrichen werden (siehe unten „Stringenz“). Eine Aufzählung von Tätigkeiten („Sie räumte den Schreibtisch auf, holte sich Kaffee, arbeitete ihr Pensum ab, fuhr anschließend nach Hause und machte sich dort einen gemütlichen Abend, ehe sie zu Bett ging.“) ist keine Handlung.

Wichtig:

    • Jede Szene MUSS zur Entwicklung der Geschichte beitragen und einen direkten erkennbaren Bezug zu ihr haben (auch wenn sich die Relevanz zum Geschehen erst später offenbart).
    • Informationen, Rückblenden und Beschreibungen werden immer nur dort gegeben, wo sie für die aktuell ablaufende oder unmittelbar folgende Handlung zwingend ERFORDERLICH sind und auch nur in erforderlichem Maß. Weniger ist mehr! Gerade im Spannungsgenre darf man nicht zu früh zu viel verraten. Andeutungen – evt. häppchenweise über den ganzen Roman verteilt – erhöhen die Spannung. (Mehr dazu in einer späteren Folge.)
    • Die Vorgeschichte ist nur in den Teilen/Details relevant, die für die Handlung wichtig sind. Beispiel: Hat die Heldin Angst vor Höhlen, ist nur der Grund dafür wichtig, nicht wie viele Geschwister sie hat, wie ihre Grundschulzeit verlaufen ist oder wer dort ihre Freunde waren.

 

4. Konfliktentwicklung

Der Hauptkonflikt kann entweder zu Beginn der Handlung bereits bestehen = vor Einsetzen der Romanhandlung begonnen haben oder sich langsam entwickeln oder bereits ausgebrochen sein bzw. im ersten Absatz schon ausbrechen. Beim Spannungsgenre verbietet sich meistens (aber nicht immer) ein langsam steigender Konflikt. Wichtig ist, dass jede mögliche Lösung zunächst fehlschlägt und dieser Fehlschlag idealerweise negative Folgen für die Hauptfigur hat und evt. weitere (neue) Konflikte generiert. Immer wenn die Lösung zum Greifen nahe scheint, wird sie vereitelt und/oder Hedin/Held versagen, bis sie am Ende alle Konflikte gelöst haben. Dabei dürfen sie gern „Federn lassen“.

    1. Wendepunkte

Gerade in Spannungsgenres sollte man nach Möglichkeit (= abhängig vom Gesamtplot) niemals linear schreiben! Lässt man die Handlung mehrfach zwischendurch glaubhaft (!) die Richtung wechseln und für die Lesenden idealerweise unerwartete Wendungen nehmen, trägt das sehr zur Spannung bei. Das Lesepublikum darf die Handlung und erst recht die Auflösung nach Möglichkeit nie vorhersehen (z. B. weil man ähnliche Handlungen aus anderen Romanen oder Filmen schon kennt).

    1. Raum für die Antagonistinnen/Antagonisten

Sofern es ins Geschehen passt, ist ein probates Mittel, einen Teil der Geschichte aus der Perspektive der Feindinnen/Feinde der Hauptfigur zu schildern. Natürlich spricht nichts dagegen, die Geschichte aus nur einer einzigen Perspektive oder wechselnder Perspektive der Hauptfigur und deren Freundeskreis oder anderer wichtiger Personen zu schildern. Doch das Publikum hin und wieder in den „Kopf“ der „Bösewichte“ schauen zu lassen, steigert die Spannung.

    1. Retardierende Momente

Auch Ihre Hauptfiguren haben mal Freizeit und müssen sich ausruhen, essen, einen Kaffee trinken. In solchen Szenen wird die Spannung der Handlung zurückgeschraubt („retardiert“). Soll sich der Ermittler nebenbei verlieben oder die Heldin das Tauchen als neues Hobby entdecken, gehört das in die retardierenden Momente.

Wichtig:

Solche Szenen MÜSSEN der Stringenz halber ebenfalls eine wichtige Relevanz zum Gesamtgeschehen haben! Geschieht in ihnen nichts außer Kaffeetrinken, im Wasser planschen oder eine Unterhaltung über Gott & die Welt, sind sie überflüssig und verschleppen die Handlung.

    1. Das Ende

Das Ende muss alle bis dahin noch offenen Handlungsstränge auflösen. Für die Lesenden dürfen keine Fragen offenbleiben (Ausnahme: Fortsetzungsromane). Vor allem muss das Ende sich logisch konsequent aus der vorangegangenen Handlung ergeben und darf nicht „an den Haaren herbeigezogen“ oder gar durch einen Zufall herbeigeführt werden. Hier kann man mit der Erklärungs-/Aufklärungsspannung noch einmal die Spannung steigern, indem man das Ende nicht abrupt gestalten, sondern die Aufklärung/Erklärung der Handlungsmotive dem Geschehen „aus der Nase zieht“ und sie nicht linear erzählt (vielmehr von den Figuren erzählen lässt).

Wichtig:

    1. Alles, was nicht direkt mit der Haupthandlung und allen sich daraus ergebenden (!) Nebenhandlungen zu tun hat, hat im Text nichts zu suchen!
    2. Die gesamte Handlung muss spürbar und erkennbar durchgehend verknüpft sein. Niemals dürfen die Lesenden das Gefühl bekommen, dass ein Abschnitt/eine Szene nur die Seiten füllt („Füllszenen/-kapitel“) und nur zusammenhangloses (weil nicht mit der Handlung verknüpftes) „Gelaber“ enthält.
    3. ZUFÄLLE SIND TABU! Niemals darf eine Handlung oder gar das Ende durch Zufall passend gemacht werden. Alles muss sich logisch nachvollziehbar aus der Handlung konsequent ergeben, auch wenn sich diese Logik erst am Ende offenbart. Ein Zufall darf gern der Ausgangspunkt der Gesamthandlung sein. Doch einmal in Gang gesetzt, muss sich ab da konsequent eine Handlung aus der anderen zwingend ergeben, auch wenn theoretisch verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten der Handlung denkbar sind.
    4. Bei Geschichten/Romanen der Spannungsgenres darf die Auflösung nicht zu früh erkennbar sein. Überspitzt: Wenn man in einem Ermittlerkrimi auf „Seite 5“ schon weiß, wer die Tat begangen hat und warum sie begangen wurde oder wie die Lösung eines Rätsels aussieht, kann man sich den gesamten Roman sparen. (Ausnahmen gibt es, wenn sich die Geschichte um die spannende Jagd nach dem von Anfang an bewusst bekannten Täter dreht.)

So viel zum immer noch „groben“ Aufbau einer Geschichte, eines Romans. Jetzt gehen wir noch tiefer in die Details.

In der nächsten Folge beleuchten wir die Kunst, einen packenden Anfang zu schreiben.

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