Mara Laue: Von der Idee zum fertigen Text VSS Verlag

Von der Kunst des Prosaschreibens – Die Kunst der Perspektiven

Kluge Hinweise von Mara Laue

7. Anrede und Figurenbenennung

Wenn wir uns als Schreibende in einer Perspektive bewegen, kommen wir nicht umhin, außerhalb der wörtlichen Rede über andere Personen zu berichten als diejenige, durch deren Augen wir die betreffende Szene betrachten. Eine solche „betrachtete“ Person kann ein Verwandter sein, eine Freundin, ein Ehepartner, ein Kind, der Hund und jeder mögliche andere. In der wörtlichen Rede, dem inneren Monolog und in der Ich-Perspektive ist jede Anrede solcher Figuren erlaubt, denn dadurch wird der Text authentisch und lebendig.

Beispiele:

Wörtliche Rede:
„Mensch, Oma, wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert, nicht mehr im neunzehnten.“
„Und dann habe ich zu meinem Zuckermäuschen gesagt: Lass mal gut sein, ich mach das schon.“

Ich-Figur:
Hm, dieser Duft aus der Küche, da läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Mama hat wieder Vanilleplätzchen gebacken.
Ich war schon sehr gespannt, was (mein) Goldhäschen diesmal zum Abendessen gezaubert hatte.

Innerer Monolog:
Verdammt, Papa hat den kaputten Zaun entdeckt!, fuhr es Simon durch den Kopf.

Was in der wörtlichen Rede niemand als Anrede gebrauchen würde (von ironisch gemeinten Äußerungen, persönlichen Koseformen und in alten Märchen abgesehen), wären Dinge wie:
„Mein lieber Mann, hast du daran gedacht, die Zeitung zu kaufen?“ Wir sagen ohne Anrede (wenn die Lesenden ohne diese Information wissen, wer spricht): „Hast du daran gedacht, die Zeitung zu kaufen?“ Oder wir reden die Person mit ihrem Namen an: „Hast du daran gedacht, die Zeitung zu kaufen, Tom?“
„Sag mal, Opa Norbert, hast du irgendwo die Zange gesehen?“ Stattdessen sagen wir: „Opa, hast du irgendwo die Zange gesehen?“ Oder wir lassen auch den „Opa“ weg, wenn ohne diese Nennung klar ist, wer gemeint ist. Denkbar wäre ebenfalls, wenn auch in der Realität eher selten, dass der Enkel seinen Großvater nur mit dem Namen anredet: „Sag mal, Norbert, hast du irgendwo die Zange gesehen?“

Ausnahmen gibt es natürlich immer, aber in der Literatur sollten wir sparsam mit Ausnahmen umgehen, es sei denn, sie wären ein wichtiges Charakteristikum der Person, die sie dann aber permanent verwendet. Befinden wir uns in der personalen Perspektive und schreiben in der 3. Person Singular, dann wirkt es für viele Lesende befremdlich, wenn ihnen außerhalb der wörtlichen Rede und dem inneren Monolog plötzlich Oma, Opa, Zuckermaus, Tanti, Mama und Pappilein begegnen: Simon erstarrte, als er Pappilein im Garten fluchen hörte. Verdammt, der hatte den kaputten Zaun schon entdeckt. Hier würden wir in jedem Fall „seinen Vater“ schreiben. Sie seufzte, als sie das Haus betrat und Oma schon wieder mit Opa streiten hörte. Letzteres könnte man zwar belassen, besonders wenn es sich um einen Jugendroman handelt und die Hauptperson jugendlich ist, die von den Großeltern permanent als „Oma“ und „Opa“ denkt, aber bei erwachsenen Figuren wirkt in der personalen Perspektive meistens besser, wenn man hier „ihre Großmutter/ihr Großvater“ oder „ihre Großeltern“ schreibt, weil die Koseformen wahlweise als (zu) intim oder sogar als Unreife der Figur empfunden werden.

Auch in der Ich-Perspektive ist es bei erwachsenen Figuren, die den Lesenden ihre Geschichte erzählen, besser, sie dieser Situation angemessen „mein Vater/meine Mutter/meine Großeltern“ usw. sagen zu lassen oder Freunde und Ehepartner mit dem Namen zu benennen. Bei „Tante Sybille“ oder „Onkel Norbert“ gilt der Verwandtschaftsgrad dagegen als Bestandteil des Vornamens. Das gilt auch für „Opa Felix“, wenn in der Geschichte die zwei Großväter einer Person auftreten, um sie zu unterscheiden. Dies ist  aber die Ausnahme.

Grundsätzlich kommt es hierbei auf die Situation in der Geschichte und teilweise auch auf das Genre an. In einem humorvollen Unterhaltungsroman kann man zur Unterstreichung des Humors auch in der personalen Perspektive ruhig einmal Dinge schreiben wie:

„Pappilein, reg dich doch nicht so auf“, bat Jana und lächelte beschwichtigend.
Aber Pappilein hatte die Schnauze voll. „Hausarrest!“, brüllte er. „Drei Wochen lang!“

Hier signalisiert das außerhalb der wörtlichen Rede wiederholte „Pappilein“, dass der Beschwichtigungsversuch der Tochter nicht funktioniert hat. Grundsätzlich sollte man aber den Gebrauch von Kosenamen und Kosebezeichnungen der wörtlichen Rede vorbehalten. Letztendlich entscheidet aber auch in solchen Dingen der Verlag, wie er es gerne hätte.

WICHTIG:

Wir müssen die Figurenbenennung innerhalb der Perspektive derselben Person IMMER einhalten! Wenn wir unseren Helden seinen Onkel Norbert als „Onkel Norbert“ bezeichnen lassen, passt es nicht, wenn er ihn ein paar Seiten oder Kapitel weiter außerhalb (!) von wörtlicher Rede nur noch „Norbert“ oder „Norbi“ nennt. Jede Person hat immer ihre ureigene „Bezeichnung“, mit der sie von einer anderen denkt. Wechseln wir diese grundlos oder gedankenlos, sind die Lesenden irritiert.

Ein beliebter Neulingsfehler ist, dass in der wörtlichen Rede die Figuren einander ständig mit Namen anreden:

„Tom, das geht so nicht.“
„Aber natürlich geht das, Ina.“
„Nein, Tom, wenn ich’s dir doch sage!“
„Hör auf mich zu nerven, Ina.“
„Ich nerve dich, Tom? Das nimmst du zurück!“
„Nein, Ina, denn du tust genau das!“

In der Realität reden wir einander äußerst selten mit (Vor-)Namen an; achtet mal darauf. Unsere Figuren sollten das auch nicht tun, weil das den Dialog unrealistisch macht. Oder, wenn angezeigt werden muss (z. B. bei der Anwesenheit mehrerer Personen in derselben Szene), wer angesprochen wird oder spricht, nur ein einziges Mal, damit die Lesenden wissen, wer den Dialog führt. Ansonsten lassen wir wie im richtigen Leben die Anrede weg. (Mehr dazu in einer späteren Folge, die sich mit Dialogen beschäftigt.)

In der nächsten Folge:
Was zu beachten ist

In weiteren Folgen:
Dialogführung, eine Kunst für sich

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