Von Kasten zu Kasten
Von Kasten zu Kasten
von Eileen Leistner
„Nz, nz, 3 Tage wach“, singe ich, bevor ich mich hinabgleiten lasse, in das dunkle Loch, aus dem mir dröhnende Bässe und die Ausdünstungen gespritzter Träume entgegenschlagen. Tief atme ich den Duft ein.
Bitte halt mich so lange fest, bis mein Geburtstag vorbei ist.
Befreit von den Zwängen der Zeit, jubiliert mein Körper, mein Blut gerät in Wallungen, versetzt alles in mir in Schwingungen. Ich muss mich ihnen hingeben. Muss tanzen. Ein Mädchen kommt uns entgegen, sie sieht so scheiße aus, dass ich befürchte, ihre dünnen Beine könnten gleich unter ihr zerbrechen.
„Alter, die ist krass durch“, raunt mein Kumpel, den alle nur Doktor nennen, mir ins Ohr. Er selbst ist so riesig, dass er mit seinen riesigen Muskelbergen kaum durch den Gang passt.
„Ja total pferdig. Mit riesigem Überbiss“
„Alter“, lacht der Doktor. Wir haben das Ende der Treppe erreicht und ein paar Bekannte hier unten begrüßen uns.
„Habt ihr Teile?“, fragt einer.
So wie sein rechtes Auge zuckt, hat der mehr als genug, aber der Doktor heilt alle, die mit ihrem Leid zu ihm kommen.
„Seit wann seid ihr hier?“, will ich wissen.
„Keine Ahnung, Mann. War´s hell, als ihr reingekommen seid?“
Ich lache.
„Spielt keine Rolle“
Der Doktor entdeckt noch ein paar Freunde, und wir trennen uns. Mich zieht es auf die Toilette, auf die jeder mit mindestens einem Freund geht. Den lasse ich jetzt langsam auf den Klodeckel rieseln. Ich zerhacke die Scheiße schon lange nicht mehr, je krasser es brennt, desto besser. Jetzt bilden sich Tränen in meinen Augen, und ein beißender chemischer Geschmack läuft meinen Rachen runter.
„Das System ist das Problem“, steht auf der beschmierten Toilettentür. Ich atme noch einmal tief ein, wische mir über die Augen, packe mein Zeug ein. Irgendetwas Nasses zieht durch meine Stoffturnschuhe. Mir geht es gut.
„Geile Hose“, verwickelt mich ein Kerl mit Zylinder auf dem Kopf in ein Gespräch, auf einmal fangen seine Augen an unruhig hin- und her zu huschen.
„Hast du draußen Männer im Anzug gesehen?“
„Da war´n echt welche … Haben jemanden gesucht, mit Fotos und so. Sau komisch.“
Ich klopfe dem Kerl auf die Schultern, der innerhalb von Sekunden auf die Hälfte zusammengeschrumpft ist, und lasse ich ihn stehen.
Als ich die Tanzfläche erreiche, flackert das Licht, und für den Bruchteil einer Sekunde fällt der Bunker in Sekundenschlaf. Als er seine Augen wieder öffnet, liegt noch ein trüber Dunst auf seiner Sicht, nur ich sehe für einen kleinen Moment lang, dass die Menschen vor mir zu Papierfiguren geworden sind. Schnell kneife ich mich selbst, merke, dass ich warm bin und es weh tut. Gut.
Der Dunst verzieht sich wieder und die Tänzer werden wieder das, was sie waren.
Das Produkt eines riesigen Zufalls…
Ein Typ rennt vor mir mit einer grün leuchtenden Brille auf dem Kopf im Kreis und schüttelt dabei seinen erhobenen Zeigefinger, als würde er eine imaginäre Klasse ermahnen. Dabei kaut er wie ein Irrer auf einem Kaugummi herum.
Die Krone der Schöpfung…
In einer Ecke steht ein Mädchen mit roten Haaren, wedelt mit den Armen, als schüttele sie einen riesigen Teppich aus, nur um danach auf ihm davonzufliegen, und schiebt dabei den härtesten Fratzengulasch, den ich je gesehen habe.
Lachend stütze ich mich an der Wand ab, beobachte die Menge in ihrer Selbstgefälligkeit. Dabei habe ich gesehen, dass ein winziger Funke reichen würde, sie alle in Flammen aufgehen zu lassen.
Zwei Mädchen mit hochgepushten Titten und tonnenweise Make-up im Gesicht stolzieren an mir vorbei. Ihre Überheblichkeit zwingt mich in die Knie.
Jahrmillionen langer Überlebenskampf… und das hier hat gewonnen…
Ich lache so lange, bis mir der Bauch zu weh tut und ich die Augen schließen muss, um endlich wieder ruhig atmen zu können. Mir wird klar, dass ich mich auf dem Boden herumgekugelt habe, also setze ich mich wieder aufrecht hin, dabei bemerke ich, wie krass geil sich der Stoff meiner Goahose anfühlt. Auch mein Superman-T-Shirt hat einen weichen Stoff, der meine Haut förmlich streichelt. Die harte Wand hinter mir bietet eine angenehme Stütze. Ein Typ setzt sich zu mir.
„Du bist ein lächerlicher Zufall“, kläre ich ihn auf.
Er nickt bedächtig. Sein Gesicht ist irgendwie faszinierend, es ist wie eines dieser modernen Kunstwerke, so nichtssagend, dass man krampfhaft etwas hineininterpretieren muss.
„Weißt du was“, sagt er nach einer Weile, „wir bauen uns Kästen aus Stein, stellen Sachen rein und kehren nach jedem Tag wieder dorthin zurück. Selbst wenn wir in anderen viel schöneren Ländern sind, kehren wir in unsere persönlichen Kästen zurück. Selbst wenn wir sterben, wollen wir in Kästen liegen.“
„Oder verbrannt werden“, antworte ich.
Dann prusten wir beide los und bedenken das einfache Volk mit einem amüsierten Blick. Jetzt will ich doch tanzen.
Hydrieren. Zwischendurch immer wieder hydrieren.
Die Wasserflasche habe ich immer am Start. Keine Ahnung, ob aus dem Hahn Pisse oder Wasser läuft.
Ich mische mich unter die Menge, bis irgendwann ein Kumpel auf mich zukommt. Ich begrüße Rick mit einer langen stürmischen Umarmung. Dieser Kerl fühlt sich an wie ein Teddybär.
„Komm, Mann. Dem Doktor geht’s dreckig, glaub ich.“
„Ja, wer heilt jetzt den Doktor? Doktor kann den Doktor schließlich nicht selbst heilen… ein kranker Doktor braucht einen gesunden Doktor … denn ein Doktor ist ein Mensch und Doktoren doktern Menschen … Somit doktern Doktoren auch Doktoren … ein kranker Doktor plus …“
„Wenn du noch einmal Doktor sagst, hau ich dir in die Fresse“, fährt Rick mich an.
Ich will protestieren, doch mir kommt ein anderer Gedanke.
„Ey … hast du schon mal überlegt … Die Welt hat sich uns geöffnet und wir Menschen schließen uns in Kästen ein …“
Rick zerrt mich durch die Gänge, jedes Mal, wenn ich hier unten bin, habe ich das Gefühl alles ist anders. Es gibt nur wenige, denen die Gabe geschenkt ist, sich im Bunker zurechtzufinden. Rick ist einer dieser glücklichen Drecksschweine.
„Warum sind wir so ignorante Arschlöcher?“ stelle ich ihm die entscheidende Frage.
Sie verbleibt unbeantwortet, denn wir erreichen den Doktor.
Er sitzt in der Chill-Out-Area. Wie Zeus thront er mächtig auf einem der Stühle, andere knien um ihm herum, beten ihn an. Ich lache, will hin und sie über ihren Irrtum aufklären, doch als ich näherkomme, fallen mir die Bäche von Schweiß auf, die über seine Muskeln rinnen. Mein guter Doktor schmilzt.
„Hier bin ich und bringe Wasser. Immer schön hydrieren, mein Freund, dann wirste wieder.“
Auf meine angebotene Flasche reagiert er nicht mal mit einem Zucken. Ich hocke mich an die Stelle, in der ich das Sichtfeld seiner starren Augen vermute. Darin ist keine Iris mehr nur noch das riesige schwarze Loch, der Pupille.
„…ich will nicht schlafen …“, murmelt der Doktor.
Ich haue ihm auf die Schulter, es klatscht widerwärtig laut.
„Wir rasten im Kasten von all uns´ren Lasten“, deklamiere ich.
„Aber ich bin so müde.“
„Wenn die Ärzte da sind, kannst du schlafen“ sagt ein Mädchen und legt ihm einen nassen Lappen auf die Stirn.
„Aber dann … werde ich Käferbeine haben …“
„Alter, du bist so durch“, lache ich, „Was laberst du?“
Jetzt richtet der Doktor seine Zombie- Augen auf mich, sein Kopf sieht aus wie eine lächerliche weiße Kugel auf einem Berg. Vielleicht schmilzt sein Gehirn gerade, sein tolles, brillantes Doktorengehirn.
„Nein … hör mir zu … sag ihnen, ich darf nicht schlafen … denn, wenn ich aufwache, werde ich Käferbeine haben …“
„Du hast dann immer noch beschissene Muskelberge als Beine“, erwidere ich.
„Nein … die werden zu Käferbeinen und werden einfach unter mir zerbrechen … Ich weiß, dass sie beim ersten Schritt einfach zerbrechen werden …“
Sein Kopf zuckt, wie eine Maus, die man unter Strom gesetzt hat.
„Halt die Klappe, Mann. Du laberst gequirlte Scheiße.“
„Du könntest vielleicht auf Käferbeinen laufen … Doch unter mir … werden sie zerbrechen.“
Ich schlage dem Doktor ins Gesicht. In sein beschissenes, glühendes Gesicht. Dann beginnt der Bunker, mich hoch zu würgen.
„Kommt doch hinunter und holt mich!“
Der Typ vom Anfang steht am Fuß der Treppe und brüllt sich die Seele aus seinem dürren Leib.
„Na, los kommt herunter, ihr Schweine!“
Ich lasse ihn hinter mir. Der Bunker ist so gnädig, mich endlich zurück auf die Straße zu kotzen.
Draußen ist es dunkel, da muss ich wenigstens nicht die Gesichter der Anderen sehen. Die Sonne, die aus ihrem Arsch scheint, ist schlimm genug.
Ich habe einen unglaublichen Hunger, aber gleichzeitig möchte ich ihnen allen vor die Füße kotzen. Ich möchte überall sein, doch ich gehe nach Hause. Ich feiges, beschissenes Miststück.
In der U-Bahn starre ich eine alte Frau an, bis sie den Platz wechselt. Mein Zähneknirschen muss sie vertrieben haben.
Sobald ich zu Hause bin, mache ich mich auf die Suche. Nach irgendwas. Ich weiß nicht. Im Wohnzimmer liegt meine Mutter schlafend auf dem Sofa. Vor ihr auf dem Couchtisch steht ein Kuchen mit einer hellblauen 18 drauf. Ein paar Geschenke sind da und eine Kerze, die in ihrem eigenen Wachs erstickt ist.
Ich hole ein Messer aus der Küche und zerteile die 18 in eine 1 und eine 8. Dann zerhacke ich den Kuchen zu einer undefinierbaren Masse. Mit weißen Händen greife ich hinein und verschlinge sie. Bis zum letzten verdammten Krümel.
One thought on “Von Kasten zu Kasten”