Was gute Reim- und Formlyrik ausmacht und wie man sie herstellen lernt

Es wird wieder ein Shitstorm über uns hereinbrechen, wenn wir uns heute zum Thema „Reim- und Formlyrik“ äußern und diese Überlegungen damit begründen, dass sie aus gegebenem Anlass entstanden sind. Denn dass der gegebene Anlass etwas mit der laufenden Ausschreibung zu tun hat, kann man sich eigentlich an den fünf Fingern abzählen. Nun denn, wagen wir es dennoch, unseren geschätzten Autor*innen unsere Gedanken mitzugeben.

Bevor wir ins Thema einsteigen, sei vorab bemerkt, dass wir jeden einzelnen Text willkommen heißen und uns über jede einzelne Einsendung freuen. Wir finden, dass hinter einer Sendung viel Herzblut, ehrliche Schreibarbeit und einiger Mut steht. Gerade bei Poesie sind die Texte oft sehr persönlich. Daher fällt es auch so schwer, hier eine doch deutliche Kritik anzubringen. Denn, wenn wir uns schon darüber auslassen, was gute Reim- und Formlyrik sei, dann muss das ursächlich damit zu tun haben, dass viele der Gedichte, die uns eingereicht worden sind, eben die Grundbedingungen guter Poesie wenigstens rein handwerklich nicht erfüllen.

Wir stellen zum einen fest, dass in der Mehrzahl der Fälle das Metrum nicht stimmig ist. Zum anderen ist zu beklagen, dass die Sprache unter der Last von Versmaß und Reimzwang zum Teil so verbogen wird, dass sie fast zerbricht und ein/e Leser/in mit geschultem Sprachempfinden beinahe körperliche Schmerzen erleidet. Nun kann man sich mit dieser Situation abfinden oder versuchen, ein paar Tipps zu geben, wie man diese unnötigen Fehler vermeidet. Dabei sei vorausgeschickt, dass – erstens – noch kein guter und versierter Dichter vom Himmel gefallen ist und dass man – zweitens – das Schreiben guter Reim- und Formlyrik wie jedes Handwerk, sei es Hobby oder Beruf bzw. Berufung, erlernen kann. Man muss sich aber, das ist nunmal leider wahr, dieser Übung auch unterwerfen und nicht glauben, weil sich ein Gedicht so schnell verfassen lässt, sei das Dichten ein Kinderspiel.

Eine Warnung sei an dieser Stelle ausgesprochen: Familien und Freunde sind in diesem Fall ein schlechtes, weil zugewandtes und selten wirklich fachmännisches, Publikum. Wenn sie die Texte gut finden, heißt das ungefähr genau gar nichts.

Was kann man nun konkret tun? Das Erste wäre, sich sachkundig zu machen, was denn ein Metrum oder Versmaß ist. Das Zweite, sich damit zu beschäftigen, wie Gedichtformen aussehen, wo sie herkommen und wie sie typischerweise gestaltet sind. In beiden Fällen hilft das Internet rasch weiter:

So weit, so gut. Wenn wir uns durch die Texte an Links hindurchgearbeitet haben, wissen wir, was hinter den Begriffen steckt und wie ein Vers, eine Strophe und ein Gedicht aussehen sollte, das Form und Reim folgt sowie ein richtig schwingendes bzw. swingendes Versmaß hat.

Nun wird die Behauptung in den Raum geworfen, dass es schließlich so etwas wie Kunstfreiheit gäbe und man aus dem Bauch heraus schreibe. In der Tat sind diesen beiden Schlagetot-Argumenten erstmal wenige Punkte entgegenzusetzen. Der Demokratisierung der Kunst kann man schwer entgegnen, auf den ersten Blick wenigstens. Allerdings ist das auf den zweiten Blick doch nicht ganz richtig, denn es bedarf natürlich schon einer gewissen Kunstfertigkeit, um Kunst herzustellen. Und irgendwann im Laufe der Diskussion kommt man nach und nach zum Ergebnis, dass es tatsächlich objektive Kriterien für Kunstqualität gibt und der Künstler zwar selbst festlegen kann, was für ihn Kunst ist, aber es eben leider den Leser und die Leserin, den Kritiker und die Kritikerin, kurz: das Publikum, gibt, zu dem auch Verleger und Redakteure gehören. Was für die Freiheit des Künstlers gilt, nimmt auch der für sich in Anspruch, der diese Kunst rezipiert: Die Freiheit, davon das zu halten, was er für recht und billig und angemessen hält. Und schon sind wir wieder bei der vorherigen Anmerkung, dass man gutes Handwerk mit einigem Training ganz gut erkennen kann und das Ergebnis dieser Erkenntnis als nachprüfbares Bewertungskriterium heranziehen darf.

Wie kann ein Autor erkennen, dass er ein handwerkliches Gedicht geschrieben hat? Dazu braucht man zum einen ein geschultes Ohr bzw. Auge – hier heißt das ein antrainiertes Rhythmusgefühl. Um das einzuüben, wird empfohlen, die eigenen Texte sich selbst laut vorzutragen. Man sollte zwischen dem Abschluss des Schreibens und dem lauten Vortrag des Texts genügend Zeit lassen, damit man nicht mehr weiß, wie der Text klingen soll, sondern gezwungen ist, ihn vor sich selbst zum Klingen zu bringen. Form- und Reimlyrik ist die in Schrift geronnene Fassung rhythmischer Sprache, sie selbst ist eigentlich zum gesprochenen Vortrag und nicht zum Leise-für-sich-Lesen gedacht.

Wenn man Zweifel hat, sollte man betonte und unbetonte Silben der Verse markieren. Es gibt auch die Möglichkeit, die Texte zu ixen, indem man unbetonte Silben mit einem kleinen „x“ versieht und betonte mit einem großen „X“. Am besten fügt man dieses Silbenbild unter dem betroffenen Vers ein, bei dem man das Gefühl hat, dass hier vielleicht etwas nicht ganz stimmig ist. Manchmal hilft es auch, eigene und fremde Texte komplett mit diesen Silbenbildern zu versehen, um sich daran einzuüben.

Zu guter Letzt: Viele gute Gedichte lesen und diese eventuell zusätzlich nach ihrer Rhythmik analysieren! Nun sagt der eine oder die andere, ein guter Poet zu werden, könnte regelrecht in echte Arbeit ausarten. Leider ist diese Erkenntnis völlig richtig. Irgendwelche Texte, die so aussehen, dass sie Gedichte wären, schreiben sich schnell. Gute Gedichte herzustellen dauert hingegen etwas länger. Das soll aber nicht ermutigen. Keiner der großen Meister ist an diesem Teil des dichterischen Missvergnügens vorbeigekommen. Es besteht also Hoffnung, dass am Ende eines längeren Wegs ein erstklassiges Gedicht darauf harrt, geschrieben zu sein. Diese Aussicht darf als Motivation  verstanden werden und als Aufforderung, sich auf den in der Rückschau durchaus erfüllenden Weg dahin aufzumachen.

2 thoughts on “Was gute Reim- und Formlyrik ausmacht und wie man sie herstellen lernt

    1. Hallo Julia,
      danke für die freundliche Nachricht. Wir werden in Kürze einen Artikel zum Thema „Was ist eine gute Kurzgeschichte?“ veröffentlichen. Ebenfalls besprechen wir in der kommenden Doppelausgabe 7/8 „Was ist ein Gedicht?“ von Peter von Matt und die 40. Ausgabe der Frankfurter Anthologie. Zu guter Letzt werden wir in naher Zukunft einen Blogeintrag zum Fragestellung „Vers libre und ungereimte Poesie – ist doch die leichteste aller Übungen! Und wenn nicht?“ veröffentlichen.
      Wir sollen damit allen Autor*innen, die sich so viel Mühe machen mit ihren Texten, bessere Startchancen geben, den erhofften Erfolg tatsächlich erreichen zu können. So wäre allen geholfen; Ihnen, uns, den Macher*innen von zugetextet.com und den Leser*innen der Texte auf Blog und im Magazin.
      Herzl Gruß Die Redaktion

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