Was ich noch sagen wollte…
Was ich noch sagen wollte…
von Anne Wejwer
Ich habe euch gehasst. Ich habe euch gehasst, weil ihr mich zu Dingen gezwungen habt, die ich nicht wollte. Zu Sachen, die eurer Meinung nach richtig waren. Zu Taten, die ihr nicht begründen konntet. Und immer noch nicht könnt. Denn Vieles von dem ,was ihr tut, ist Unsinn. Ich habe euch gehasst. Euch und eure Worte und eure Taten, die nur selten zu euren Worten gepasst haben. Ich habe euch gehasst, euch Regelaufsteller, euch Selbst-nicht-dran-Halter, euch Meckerer. Ich habe euch gehasst, dafür, dass ihr euch nicht um mich gekümmert habt, dass ihr mich nie nach meiner Meinung gefragt habt, denn ich war ja noch ein Kind…
Ich habe euch gehasst, denn ihr habt mir Angst gemacht.
Ich war gerade erst in die Schule gekommen, als ich keine Angst mehr hatte vor großen Hunden oder Gespenstern. Und als ich kapiert habe, wo vor man sich wirklich fürchten muss im Leben. Und plötzlich hatte ich Angst vor Gewalt und Krieg, plötzlich hatte ich Angst vor Hass und Ignoranz, plötzlich hatte ich Angst davor, noch ewig ein Kind unter Erwachsenen sein zu müssen, und noch größere Angst hatte ich davor, eines Tages genauso schlimm zu sein wie ihr. Aber ich hatte auch Angst davor, gar nicht mehr erwachsen werden zu können, weil ich nicht wusste, ob es nicht doch vorher noch zu einem Krieg in Europa kommt oder einer Reaktorkatastrophe.
Doch über Krieg und Frieden habt ihr nie mit mir geredet. Vielleicht schien ich euch zu klein. Vielleicht wolltet ihr selbst nicht drüber nachdenken. Aber ich habe es getan, nachts, anstatt zu schlafen, weil mir die Bilder aus der Tagesschau nicht aus dem Kopf gingen und weil sie im Radio zwischen den Werbeblöcken von hungernden Kindern, abgeholztem Regenwald und Bombenanschlägen in Israel gesprochen haben. Und dann lag ich also im Bett wie tausende andere Kinder auch und habe versucht, aus all dem schlau zu werden – und das habe ich nicht geschafft.
Denn das einzig vernünftige Erklärung für all das Unheil in der Welt war eigentlich nur, dass ihr Erwachsenen dumm und egoistisch seid. Und das wollte ich nicht wahrhaben. Doch der Gedanke ging nicht aus meinem Kopf. Und dann wurde ich älter. Plötzlich wuchsen Pickel in meinem Gesicht und eine eigene Meinung in meinem Gehirn. Und beides hat euch nicht gefallen.
Schönheitswahn und Makellosigkeit haben für euch nicht zu einem pickligen Jugendlichen gepasst. Ihr habt mich ständig kritisiert und von Hautarzt zu Hautarzt geschleppt und mich nicht einmal gefragt. Denn ich wollte die Pickel gar nicht loswerden! Die Krater in meinem Gesicht schienen mir das Einzige zu sein, was meine verkraterte Seele spiegeln konnte. Und der halfen Antibiotika herzlich wenig.
Ihr hattet Glück, denn irgendwann wurden die Pickel weniger. Doch die Krater in meiner Seele blieben und meine eigene Meinung auch. Und ja, ich stehe dazu, denn immerhin hatte ich eine. Und das war es, was mich an euch aufgeregt hat. Wieso hattet ihr mir das Sprechen beigebracht, um mir doch nicht zuzuhören, um mir zu zeigen, dass meine Meinung euch völlig egal ist? Was war mit all meinen Sorgen um meine Zukunft, um diesen Planeten, um den Frieden in der Welt?
Ihr habt nur gelacht und mich ignoriert, gesagt, dass ich das alles nicht so ernst nehmen soll, dass ich Spaß haben soll, solange ich noch nicht erwachsen bin und vom Ernst des Lebens verschont. Und dann habt ihr euch gewundert, dass ich gesagt habe, dass ihr mich mal könnt. Dann war ich aufmüpfig, aggressiv, arrogant und pubertär.
Ihr Heuchler! Dabei hättet ihr froh sein können, ein Kind wie mich zu haben, dem die anderen Menschen nicht egal sind, dem die Umwelt nicht egal ist. Ein Kind, dass sich nicht für Marken und Statussymbole interessiert, sondern für Politik und Ökologie. Ein Kind, dass nicht den Scheiß aus der Werbung nachplappert sondern seine eigenen Gedanken hat und dazu steht, auch wenn das bedeutet, auf dem Schulhof verspottet zu werden.
Aber ihr wart nie stolz auf mich, ihr wart immer nur genervt. Von meinen Ideen, von meiner Kreativität, von meiner Energie. „Ökoschwachsinn“ habt ihr meine Ideale genannt, „Märtyrergelaber“ meine Begeisterung für Gandhi und Martin Luther King, für Nächstenliebe und Gewaltverzicht. Und wenn ich so drüber nachdenke, dann waren das Schlimmste an meiner Jugend nicht die Pöbeleien meiner Mitschüler, sondern ihr!
Und das werde ich euch nie vergessen, und ich werde auch euch immer wieder daran erinnern: An die Zeiten in meinem Leben, in denen ich euch so verachtet habe, dass ich lieber sterben wollte, als erwachsen zu werden. An die Streitereien, nach denen ihr mich ‚altklug‘ genannt habt und meintet, ich wäre zu früh erwachsen geworden. An die Momente, in denen ich auf der Brücke stand, weil es in meinen Augen keine Zukunft mehr gab. An all die Momente, in denen ich mich von euch nur eingeengt gefühlt habe, verletzt und völlig unverstanden.
Wie oft habe ich euch kritisiert und verurteilt für das, was ihr mit mir gemacht habt, was ihr mit allen anderen macht und mit der Zukunft. Wie oft habe ich mich für euch geschämt und für all die Erwachsenen, die Menschen ausbeuten, machtgeil und profitgierig durchs Leben pflügen und die letzten Selbstzweifel mit Bier hinunterspülen. Wie oft habe ich mich gefragt, was das für eine Zukunft ist, die ihr euern gedrillten Kindern ermöglicht, die ihr durch die Schule prügelt, damit ihr sie als hirntote Maschinen an die Industrie verfüttern könnt. Wie oft habe ich mich gefragt, wie wir mit dieser zerstörten, vermüllten, vergifteten und radioaktiv verseuchten Erde leben sollen, wenn ihr irgendwann gestorben seid. Wie oft habe ich mich gefragt, warum ich überhaupt in die Schule gehen soll, während ihr all das kaputt macht, wofür sich das Leben überhaupt lohnt. Ob ich überhaupt noch eine Chance hab. Gegen euch und diese Welt. Ob wir Kinder überhaupt noch eine Chance haben, gegen die Erwachsenen. Und das habe ich nicht geglaubt.
Am Morgen dieser Erkenntnis bin ich nicht zur Schule, weil ich dachte, dass das ja sowieso nichts bringt. Stattdessen habe ich mich auf dem Spielplatz versteckt, ganz oben im Klettergerüst, wie früher, und habe geweint. Plötzlich kam ein kleines Mädchen, legte ihre Kinderhand auf mein Knie, lächelte mich an und sagte „Nicht weinen!“, dann setzte sie sich neben mich.
Ich zog die Nase hoch und fand das ganze an Peinlichkeit nicht zu übertreffen. Mit siebzehn von einem Kindergartenkind getröstet zu werden, schon schräg.
„Passt schon“, murrte ich sie an, hoffte, sie würde verschwinden, doch sie blieb, bis ich aufgehört hatte zu weinen.
„Wird wieder gut, hm?“, fragte sie, als ich mich aufrappelte und wir beide am Guckloch standen, durch das wir den ganzen Spielplatz im Blick hatten.
Und plötzlich war ich wieder fünf Jahre alt, mit matschbekleckerten Hosen und einem Zahnlückengrinsen – und mit der absolut festen Überzeugung, eines Tages ein guter Mensch zu sein, ein weiser König, der den Armen helfen und das Böse besiegen würde. Das war der Moment, in dem sich mein ganzer Frust und meine Angst, meine ganze angestaute Wut in Mut verwandelt hat. Und diesen Mut habe ich noch immer.
Denn genauso, wie ihr es geschafft habt, diese Welt noch nicht völlig zu zerstören, habe ich es geschafft, volljährig zu werden, erwachsen geworden bin ich nicht. Genauso wie ihr früher gesagt habt, ich würde reden wie ein Greis, meinen sie jetzt, ich würde denken wie ein Kind. Und das ist gut so. Denn ich stehe hier und schreibe und kann nicht anders. Ich habe einen Traum, ich habe Verantwortung. und ich trage Liebe in mir, Liebe die größer ist als euer Hass, weil ich weiß, dass es Dinge gibt, für die es sich zu leben lohnt. Weil ich weiß, dass es Dinge gibt, für die man kämpfen muss. Und wenn ihr das nicht tut, dann machen wir das selbst.
Ihr habt mich nicht kaputtgekriegt mit euren immergleichen Tiraden und Behauptungen, mit euren ganzen Regeln und eurem Unverständnis. Ich bin gewachsen, ich bin stärker geworden, und ich bin nicht allein. Vielleicht habe ich noch nicht so viel Macht wie ihr, doch ich gebe nicht auf.
Ich habe euch gehasst. Ich habe euch gehasst, weil ihr mich zu Dingen gezwungen habt, die ich nicht wollte. Zu Sachen, die eurer Meinung nach richtig waren. Zu Taten, die ihr nicht begründen konntet. Und immer noch nicht könnt. Denn Vieles von dem, was ihr tut, ist Unsinn. Ich habe euch gehasst. Euch und eure Worte und eure Taten, die nur selten zu euren Worten gepasst haben. Ich habe euch gehasst, euch Regelaufsteller, euch Selbst-nicht-dran-Halter, euch Meckerer. Ich habe euch gehasst, dafür, dass ihr euch nicht um mich gekümmert habt, dass ihr mich nie nach meiner Meinung gefragt habt, denn ich war ja noch ein Kind…
Ich habe euch gehasst, denn ihr habt mir Angst gemacht.
Doch das könnt ihr jetzt nicht mehr. Denn ich habe aufgehört, mich vor euch zu fürchten. Ich habe aufgehört euch zu hassen, weil ich gemerkt habe, dass das nichts besser macht und weil ich nicht so enden wollte wie ihr.
Wir jungen Leute dürfen uns nicht weiter lähmen lassen von der Angst. Nicht von der Angst vor der Zukunft, vorm Erwachsenwerden und nicht vor dem Leben. Denn egal, wie groß oder wie klein wir sind, wir alle können diese Welt verändern. Wir haben Rechte, und wir sind viele. Wir müssen uns vom Leben nicht zu genormten und perfekten Standarderwachsenen machen lassen. Es ist unser Leben, und wir können selbst entscheiden, was damit passiert.
Lasst euch nicht von den Erwachsenen zerstören. Lasst euch nicht eure Pläne rauben. Lasst nicht zu, dass sie eure Träume zertrampeln und euch Kreativität und Empathie abtrainieren. Glaubt an eure Zukunft und hört nicht auf dafür zu kämpfen. Engagiert euch und macht den Unterschied, denn die Erwachsenen nicht machen. Ergebt euch nicht der Teenage Angst, überwindet sie durch Teenage Trust, Teenage Creativity und Teenage Power.
Macht, was ihr wollt, aber gebt niemals auf.
Teenager aller Länder, vereinigt euch!
One thought on “Was ich noch sagen wollte…”