Paul Auster 4321

Wenn man vier Chancen bekommt, lernt man dazu – Rezension

von Walther

Paul Auster, 4321, Faber & Faber UK, London 2017, ISBN 978-0-571-32464-4, 1070 S., Small Paperback, £ 6,99 – aktuell auf der Verlagsseite £ 9,99
in Deutschland erschienen als
Paul Auster, 4321, aus dem Englischen von Thomas Gunkel, Werner Schmitz, Karsten Singelmann und Nikolaus Stingl, Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek 2018, € 18,00

Das vierte wichtige Buch, das wir im Rahmen unserer Miniserie mit Rezensionen englisch-sprachiger Literatur vorstellen, handelt von vier Lebensvarianten eines Sohns eines jüdischen Einwanderers aus der Ukraine vor dem Beginn des 2. Weltkriegs. Sein Nachname ist abgeleitet aus dem jiddisch-deutschen „vergessen“ und lautet „Ferguson“ – was eigentlich auf skandinavisches Herkommen hinweist. Diese Art von Wortwitz setzt der Autor öfter ein – weswegen das Lesen der Originalausgabe einiges an Sprachspaß der Übersetzung, die als sehr gelungen beschrieben wird, voraushaben muss.

Archibald Ferguson wird 1947 geboren. In vier Varianten durchlebt und -leidet er die amerikanische Nachkriegszeit bis in die frühen siebziger Jahre. Die Handlung ist – auf den ersten Blick – im Wesentlichen auf die US-Ostküste und die US-Bundesstaaten rund um New York beschränkt. Das stimmt nicht ganz, da in zweien der vier alternativen Biografien, die jeweils zufallsbedingt sehr unterschiedliche Wege beschreiten, bis eine übrigbleibt, da die drei anderen durch den Tod des Protagonisten enden, auch die Westküste und das so wichtige Paris berührt werden. Soviel Spoiling sei an dieser Stelle gestattet.
Wer außerhalb der USA und der israelitischen Glaubensgemeinschaft etwas über die USA, das US-Judentum, Antisemitismus und Rassismus, Vietnam-Proteste, das Leben der US-Mittelklasse, das US-Bildungssystem und die Welt der Kunstschaffenden in den USA erfahren will, dem sei dieses Buch empfohlen. Es ist nicht umsonst für den Pulitzerpreis 2017 geshortlistet gewesen, und der Rezensent ist bei Weitem nicht der einzige, der Paul Auster wegen seines Schaffens, aber auch wegen dieses Buchs für einen Nobelpreiskandidaten hält.
So tragisch die aktuelle Entwicklung in den USA für das Land selbst, die ganze Welt, aber auch den Kampf für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sowie gegen Rassismus und den damit eng verwobenen Antisemitismus ist – wer Paul Austers 4321 und einige andere Werke von US-Autoren in den letzten Jahren aufmerksam verfolgt hat, findet viele Urgründe der aktuellen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Lage in der Vereinigten Staaten viel früher sichtbar und angelegt, als das aus der heutigen Berichtserstattung zu entnehmen ist. Paul Austers 4321 ist ein Schlüsselelement, um zu erfassen und zu begreifen, warum die heutige USA zu dem geworden ist, was sie heute ist.

Wenn es Schwächen gibt, sind es vielleicht diese: Die vier Einzelstorys zerfasern sich etwas und verlieren sich manchmal in Details, deren Sinnfälligkeit man erst später versteht. Es gibt einige Längen, bei denen Paul Auster die Fokussierung verloren geht, vielleicht, weil er meint, dass dieser Aspekt für das zu erschaffende Gesamtbild nötiger ist, als der interessierte und etwas vorgebildete Leser am Ende meint. Das kann eventuell auch daran liegen, dass sich der Rezensent immer sehr für die USA interessiert hat, ohne dem American Way of Life zu erliegen bzw. diesen zur Blaupause für eine bessere Welt zu stilisieren.
Wer 4321 gelesen hat, weiß, dass der amerikanische Traum eine Chimäre ist, die ein äußerst zähes Leben hat. Es bedarf bedauerlicherweise eines Donald Trump, um beide als Popanz zu entlarven, den Traum und ihn, um zeitgleich festzustellen, dass seine Beschwörung immer noch verführt – vielleicht weil, die ihn als letzte träumen, an ihm festhalten müssen, um nicht in ein unerträgliches Nichts names Wahrheit und Selbsterkenntnis zu fallen.

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